Der Gründungskongress der Frauen-Union am Sonnabendvormittag begann gleich mit einem Eklat. Nach freundlichem Begrüßungspalaver vor allem der Westgäste an die Ost- Gastgeberinnen, ging der erste unmutige Ruf durch den Saal: Sie lassen hier die Westherren reden, eine Rede nach der anderen - wann können die Frauen aus der DDR zu Wort kommen, rief Ina Merkel, die Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) erzürnt in die nettfröhliche Gründungsstimmung und sorgte somit das erste Mal für Aufruhr.
Bis dahin hatten entscheidende Männer Entscheidendes zu sagen, schließlich ging es hier um die Gründung einer Frauenorganisation ihrer Parteien. Und das lässt man sich doch gerne zum parteipolitischen Gesicht stehen. Wolfgang Schnur teilte in seinem Grußwort die Forderung nach mehr Frauen in den Parlamenten, damit endlich Schluss sei mit der Männerwirtschaft und meinte dann gar, eine Frau sollte Ministerpräsidentin sein (womit er als Kandidat für diesen Posten allerdings ausscheiden müsste). Als nächster bedauerte Eberhard Diepgen die schwielige Situation der Frau in der DDR, die bisher alle Lasten zu tragen hatte. Dabei musste er sich dann doch noch die Zwischenfrage gefallen lassen, wie das denn für die Frauen bei ihm in Westberlin aussehe. Dass die Frauen in der DDR in die Volkswirtschaft integriert sei, habe nach Auffassung des Generalsekretärs der CDU/DDR, Martin Kirchner, nicht den Grund, dass sie sich so selbst verwirklichen kann, sondern den einer desolaten Wirtschaft. Nach solch markigen Reden von gerechter Lastenverteilung bis zum Nachholbedarf der Männer reichte es einer Zuhörerin neben mir doch. Nicht die Frau ist das Wichtigste, sondern die CDU, stellte sie fest. Dass Ina Merkel mit ihrem Zwischenruf die Versammlung etwas aufschreckte, liegt darin begründet, dass dies der einzige Weg war,dem UFV auf dem Gründungskongress der Frauen-Union Gehör zu verschaffen. Dreimal wurde der Antrag des UFV im Vorfeld von der Versammlungsleitung abgelehnt, ein Grußwort an die Gäste richten zu dürfen. Nicht einmal der Ministerin Tatjana Böhm wollte man das Rednerpult überlassen. Durch einen Kompromiss konnte Dr. Eva Schäfer vom UFV dann die Diskussion eröffnen. Sie stellte klar, dass mit dem Slogan "Ohne Frauen ist kein Staat zu machen", mit dem die Frauen-Union antrat, schon vor knapp drei Monaten der UFV in der Volksbühne aus der Taufe gehoben wurde. Doch letztlich gehe es nicht darum, wer Anspruch auf diesen Satz hat, sondern darum, dass der Frauenverband in den letzten Wochen eine enorme Arbeit geleistet hat, die er durch derartige Vereinnahmung nicht diskreditieren lässt. Der UFV sitzt am Runden Tisch, er hat eine Ministerin in der Regierung, er arbeitet in allen Ausschüssen des Runden Tisches mit, er stellte seine Kandidatinnen zur Volkskammerwahl auf. Dies alles war nur möglich, weil "Frauen über weltanschaulich-politische, religiöse, altersspezifische, nationale und sexuelle Schranken hinweg zusammengekommen sind", sagte Eva Schäfer. Sie bedauerte, nicht eingeladen worden zu sein, es wäre doch wichtig im Sinne der gemeinsamen Frauensache.
Ob dies auch von den Versammelten so gesehen wurde? Die waren vorwiegend aus dem Westen angereist und hatten nicht viel gemein mit den auffällig jungen Frauen am Tisch des UFV. Scheinbar wohlsituiert, werden sie sicher andere Probleme haben als jene, die ihre Kinder zu solchen Veranstaltungen mitnehmen (müssen). Denn wir sind mehr wert als ein Hühnerhof zu sein um einen Hahn, der auf dem Hof bestimmt". (Bärbel Bohley).
Anja Baum
(Die Tageszeitung, DDR-Ausgabe, Mo. 26.02.1990)
Unter dem Leitwort "Ohne Frauen ist kein Staat zu machen" eröffnete Sylvia Schultz (CDU) am Sonnabend im Hotel des Sportforums Berlin-Weißensee die Gründungsveranstaltung der Frauen-Union, in der sich Frauen der DDR und der BRD noch vor einer staatlichen Einheit Deutschlands als politische, parteiübergreifende Kraft formieren. Als prominentesten Gast begrüßte sie die Bundestagspräsidentin und Vorsitzende der Frauen-Union der CDU in der BRD, Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth. Ihr Engagement für Frauen erfahre über Grenzen von Parteien und Ländern hinweg große Wertschätzung, so dass die gemeinsame Frauen-Union, zu der sich in der DDR Frauen des Demokratischen Aufbruch (DA), der Deutschen Sozialen Union (DSU), des Neuen Forum sowie der CDU bekennen, vertrauensvoll in ihre Obhut gegeben werde. Wenn auch die geschichtlichen Hintergründe sowie die Erfahrungen der einzelnen Gruppierungen durchaus unterschiedlich sind, so sei doch das Verbindende stärker als das Trennende.
(Neue Zeit, Mo. 26.02.1990)