Der Staatsvertrag zwischen der DDR und der BRD zur Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ist am Freitag im Bonner Palais Schaumburg von den Finanzministern beider deutscher Staaten Walter Romberg und Theodor Waigel unterzeichnet worden. An der Zeremonie nahmen DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière und BRD-Bundeskanzler Helmut Kohl teil.
Zu Beginn hatte Kanzler Kohl die Unterschriftsleistung als glückliche Stunde und denkwürdiges Ereignis für alle Deutschen und Europäer bezeichnet. Mit dem Vertrag werde die Einheit in wichtigen Bereichen der DDR erlebbare Wirklichkeit und der Wille zur gemeinsamen Zukunftsgestaltung bekundet.
DDR-Ministerpräsident de Maizière sprach von einem wichtigen Tag, mit dem die Verwirklichung der Einheit beginne, von einem entscheidenden Schritt zu dem Ziel der Einheit Deutschlands in einer europäischen Friedensordnung. In seiner Substanz zeige der Vertrag den Willen, den Einigungsprozess nicht von oben zu gestalten. Die Interessen der Menschen seien der Handlungsmaßstab. Der Vertragsgeist entspreche den Wünschen der DDR-Bürger nach Freiheit, Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit. In ihrem sozialen Engagement wolle sich die DDR-Regierung von niemandem übertreffen lassen.
Die Grünen im Bundestag hatten ihre Teilnahme aus Protest gegen "Geist und Buchstaben" des Vertrages abgesagt, bei dessen Ausarbeitung das Parlament und die Öffentlichkeit zu bloßen Statisten degradiert worden seien. Die Abwesenheit des SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel wurde mit "anderweitigen dringenden Verpflichtungen" begründet. Die SPD habe sich noch nicht auf eine Zustimmung oder Ablehnung des Staatsvertrages festgelegt, erklärte Hans-Jochen Vogel. "Es gibt noch eine ganze Reihe offener Fragen", sagte er im Saarländischen Rundfunk und nannte unter anderem Finanzierungsfragen, den Schutz der DDR-Betriebe und die verbindliche Vereinbarung einer Umweltunion.
Zuvor hatten das Bundeskabinett und die Fraktionen der Bonner Regierungsparteien auf Sondersitzungen dem zugestimmt. Die DDR-Regierung, die am Freitag ebenfalls das Dokument billigte, wurde aufgefordert, brieflich ihre Zustimmung für einen Beitritt der DDR zur BRD nach
Artikel 23 des Grundgesetzes zu deklarieren.
Die DDR-Volkskammer wird den Staatsvertrag am kommenden Montag auf einer Sondersitzung in 1. Lesung behandeln. Das Parlament in Bonn will ebenfalls in einer Sondersitzung das Dokument am kommenden Mittwoch beraten. Drei Wochen später sollen Bundestag und Bundesrat den Vertrag verabschieden.
Der von der Volkskammer am 25. April 1990 gebildete Ausschuss Deutsche Einheit trat am Freitag zu seiner dritten Sitzung zusammen. In Anbetracht des Umfangs der vor ihm stehenden Aufgaben erhöhte er seine Mitgliederzahl von 19 auf 39 Abgeordnete. Die Präsidentin der Volkskammer, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, übernahm den Vorsitz.
Der Ausschuss wird am Montag, dem 21. Mai, seine Beratungen über den Staatsvertrag DDR/BRD fortsetzen und dazu den Parlamentarischen Staatssekretär, Dr. Günther Krause, hören. Oppositionelle Kräfte in der BRD, einschließlich Sozialdemokraten und Anhänger demokratischer Bewegungen, nannten den Vertrag im Gleichklang mit der DDR-Opposition eine Unterwerfungserklärung.
Von unserem Korrespondenten WERNER OTTO
(Neues Deutschland, Sa. 19.05.1990)
Der Vertrag wird durch verbindliche Leitsätze ergänzt.
Der vorgesehene offizielle Einband der DDR für das Vertragswerk in rot mit Wappen der DDR wurde kurz vor der Unterzeichnung gegen einen neutralen blauen Einband ausgetauscht.
In der Volkskammer erhielt der Staatsvertrag 302 Ja-Stimmen, 82 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung. Im Bundestag 445 Ja-Stimmen, 60 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung. Im Bundesrat stimmten nur Niedersachsen und das Saarland dagegen.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft kam am 13./14.06.1990 zu dem Schluss, der Staatsvertrag sei mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. Ebenso das Europäische Parlament am 12.07.1990.