Gestern um 14 Uhr auf dem Innenhof des Betriebsgeländes der Schuhfabrik "Paul Schäfer" Erfurt Die Kollegen trafen sich zum Warnstreik. 24 000 Paar Schuhe werden täglich hier hergestellt. Um dort gleiche Menge wächst Tag um Tag die Halde. Bereits eine halbe Million Paar wurden wurden im zweiten Quartal storniert. Was dabei übrig blieb, bedeutet für die 4 000 Kollegen noch höchstens sechs Wochen Arbeit.
Wie hier in Erfurt legten in nahezu allen Betrieben der DDR-Schuhindustrie Kollegen für eine halbe Stunde die Arbeit nieder. Mit Protestmeetings wollen sie auf ihre ausweglose Lage aufmerksam machen. In Sorge um ihre gefährdeten Arbeitsplätze schlossen sich tausende in den Schuhbetrieben der DDR dieser Aktion der Industriegewerkschaft Textil-Bekleidung-Leder an. In Resolutionen an Ministerpräsidenten Lothar de Maizière werden Maßnahmen verlangt, die den Binnenmarkt vor unkontrollierter Einfuhr schützen und der bedrängten DDR-Schuhindustrie zu marktwirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit verhelfen. Diese Forderungen werden Montag um 11.30 Uhr vor dem Amtssitz des Ministerrates bei einer Protestaktion übergeben.
(Tribüne, Fr. 04.05.1990)
"Täglich gehen bei uns Briefe und Fernschreiben vom Groß- und Einzelhandel ein, die ihre Verträge stornieren. Für das zweite Halbjahr will niemand mit uns abschließen. Da können wir dichtmachen." Bittere Worte der BGL-Vorsitzenden Ursula Sabrowske der Weißenfelser Schuhfabrik "Banner des Friedens". Sie marschierte an der Spitze der mehrere tausend Streikenden, die sich auf der Merseburger Straße versammelten. Seit Mitte April hatten die Schuhwerker an den Ministerpräsidenten, den Wirtschaftsminister und die Volkskammerpräsidentin geschrieben - keine Reaktion, nun platzte den Gewerkschaftern der Kragen.
"40 Jahre lang durften wir keinen eigenen Vertrieb aufbauen, nun wendet sich der Großhandel von heute auf morgen von uns ab." So Betriebsdirektor Bernd-Rüdiger Zutz, der mit beim Streik dabei war, dem die Arbeiter aber die "Legitimität", absprechen. Die Schuhfabrik hat derzeit Mehrbestände von 900 000 Paar Schuhen - andererseits beklagen Bürger, dass es in den Laden keine Schuhe zu kaufen gibt.
Die Schuhwerker fordern etwas Zeit für die Umstellung und mehr Freiheit bei der Preisbildung. Die 28jährige Arbeiterin Karlitta Kurzhals ist bereit, buchstäblich alles mitzumachen, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten. "Wenn gar nichts mehr geht, müssen wir eben versuchen, die Solidarität derer zu gewinnen, in deren Betrieben es noch nicht so ernst aussieht." Zu starken Betriebsräten und starken Gewerkschaften bekannten sich deshalb alle Redner.
Am Donnerstagnachmittag legten auch Beschäftigte der Hirschberger Lederfabrik, der Lederwerke und der Schuhfabrik in Weida, der Schuhfabriken in Erfurt, Stadtilm, Bad Langensalza, Lobenstein, Lauchhammer, Hohenleuben, Ehrenfriedersdorf, Eppendorf und Lößnitz sowie in Berlin zeitweise die Arbeit nieder.
(Neues Deutschland, Fr. 04.05.1990)
Erfurt. Mit einem halbstündigen Warnstreik machten am Donnerstag ab 14.00 Uhr rund 3 000 Beschäftigte der Schuhfabrik "Paul Schäfer" Erfurt, der Sportschuhfabrik Ilmia Stadtilm und der Leder- und Schuhfabrik Bad Langensalza auf drohende Arbeitslosigkeit aufmerksam. Wie BGL-Vorsitzender Wolfgang Kliemann erläuterte, haben die Handelsorgane über eine halbe Million Paar Schuhe im II. Quartal storniert und für das 2. Halbjahr keine neuen Verträge abgeschlossen. Dies sei um so verwunderlicher, als die Läden einerseits zwar die Nachfrage nicht befriedigten, andererseits jedoch schon mit Angeboten aus dem Westen und aus Billiglohnländern spekulierten. Bei "Paul Schäfer" drohe das Aus für rund 3 500 Werktätige.
Weißenfels. Lahmgelegt hatten auch die 6 500 Beschäftigten der Schuhfabrik "Banner des Friedens" in Weißenfels bei einem einstündigen Warnstreik die Produktion und den Verkehr auf der F 91, wo sie auf einer Kundgebung ihre Forderungen nach klaren Konzepten der Regierung stellten.
Karl-Marx-Stadt. Auch in Schuhfabriken des Bezirkes Karl-Marx-Stadt traten am Donnerstag Werktätige mit kurzen Warnstreiks für die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze ein. Sie protestierten gegen die Weigerung des Großhandels, Erzeugnisse ihrer Betriebe abzunehmen.
Gera. Drei Viertel der Beschäftigten in der Hirschberger Lederfabrik hatten sich einem halbstündigen Warnstreik angeschlossen. Sie forderten von der Regierung unter anderem die Erhebung von Einfuhrabgaben für Schuhe und Leder aus der BRD.
(Junge Welt, Fr. 04.05.1990)
Geschlossen ging die Belegschaft der Schuhfabrik Lauchhammer auf die Straße vor ihrer erst im April 1989 übergebenen neuen Produktionsstätte. Dem Aufruf der IG Textil, Bekleidung, Leder zum Warnstreik gefolgt, protestierten die Werktätigen entschieden gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Auf Transparenten forderten sie von der DDR-Regierung den Handel zur Abnahme ihrer Erzeugnisse zu zwingen.
(Bauern-Echo, Sa. 05.05.1990)