In Berlin war wieder Schwarz-Rot-Gold mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz zu sehen. Freilich, so viele wie früher waren es nicht die zur Maikundgebung gekommen waren. Aber sie kamen freiwillig, ging es doch um ihre ureigensten sozialen Interessen. Die FDGB-Vorsitzende Helga Mausch erklärte beim Treff im Lustgarten: "Ein undifferenziertes Überstülpen der Gesetze der Bundesrepublik werden die Gewerkschaften nicht hinnehmen." Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion verlange eine starke Gewerkschaftsunion. "Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Viel Beifall erhielt Jutta Braband von der Vereinigten Linken, als sie beklagte, dass der Entwurf für eine neue DDR-Verfassung der Volkskammer nur eine kurze Debatte wert war. "Diese Kammer ist ein Jammer", rief sie aus. PDS-Chef Gregor Gysi verschaffte sich Gehör, obwohl sein Mikrophon zeitweise stromlos war. Auch er forderte eine neue DDR-Verfassung.
Von Lustgarten zogen die Gewerkschafter dann durch die Straße Unter den Linden am Brandenburger Tor vorbei zum Westberliner Platz der Republik, wo noch 44 Jahren die erste Gesamtberliner Maikundgebung stattfand. Alte Arbeiterlieder erklangen, als die etwa 60 000 Teilnehmer eintrafen. Es gab Info-Stände, Imbiss und Bier - alles aus beiden Teilen der Stadt. Ebenso wie die Redner.
Westberlins DGB-Landesvorsitzender Michael Pagels unterstrich: "Nie wieder dürfen politische Parteien diesen Tag, der 1990 zum 100sten Mal begangen wird, und die demokratische Gewerkschaftsbewegung für ihre Ziele missbrauchen." Jetzt sei die Zeit der sozialen Offensive für mehr Einkommen, bessere und humanere Arbeitsbedingungen und die 35-Stunden-Woche in Ost und West.
Ingrid Roche vom Berliner Wohnungsbaukombinat forderte, alles zu tun, damit die Arbeitslosigkeit in Grenzen bleibt.
In vielen Städten der DDR waren Maikundgebungen im Gange.
In Frankfurt (Oder) sprachen sich polnische und deutsche Gewerkschafter für ein friedliches Neben- und Miteinander auch nach der Einheit Deutschlands aus.
Informationsstände der Gewerkschaften der DDR und der BRD bestimmten in Halle das Bild auf dem Obermarkt.
Den historischen 1. Mai vor 100 Jahren hatten rund 12 000 Dresdner gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Arbeiterführer August Bebel begangen. Daran erinnerte am Dienstag FDGB-Stadtchef Lothar Franke bei der Kundgebung auf dem Altmarkt. in der Elbestadt.
Verstärkte Mitbestimmung der Gewerkschaften bei den Wirtschaftsveränderungen in der DDR forderte der Vorsitzende der IG Metall der DDR, Hartwig Bugiel, in Leipzig. Er verlangte die rasche Verabschiedung eines Betriebsverfassungsgesetzes.
(Junge Welt, Mi. 02.05.1990)
Wanzleben (BE). "Wir sind für eine grüne Grenze, die aber beiderseitig durchlässig sein sollte", sagte Marianne Sandig, Vorsitzende der Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst in Wanzleben vor Landarbeitern aus der DDR und der BRD. Am Rande der Mai- Kundgebung, an der einige hundert Bürger teilnahmen, war zu hören, dass DDR-Landarbeiter ihren neuen Minister bis zum 10. Mai Zeit für entsprechende Entscheidungen lassen, danach die Grenzen dicht machen wollten.
Gegen die Zersplitterung von Gewerkschaften sprach sich Günther Lappas, Vorsitzender der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft im DGB, aus. Beide Seiten hätten die Absicht, in naher Zukunft zu einer Gewerkschaft zusammenzuwachsen.
(Bauern-Echo, Mi. 02.05.1990)
Erfurt. Das Stadtmaikomitee und die Gewerkschaften rufen alle Gewerkschafter und Bürger der Stadt Erfurt zur Maikundgebung am 1. Mai 1990 um 10.00 Uhr auf den, Erfurter Fischmarkt.
(Bauern-Echo, Mo. 30.04.1990)