Bernau. ADN/BZ Die historisch begründete Friedenspflicht des deutschen Volkes und der Antifaschismus müssten als Verfassungsgrundsätze festgeschrieben werden. Diese Forderung enthält das Programm, das die mehr als 400 Delegierten des Gründungskongresses für einen Bund der Antifaschisten der DDR gestern im Internationalen Jugendzentrum am Bogensee, Kreis Bernau, beschlossen haben. Zuvor hatten zum Teil scharfe Kontroversen um Formen und Radikalität von Vergangenheitsbewältigung die Programmdiskussion überschattet. Dabei standen die Bewertung und die historische Einordnung des Stalinismus im Vordergrund.
(Berliner Zeitung, Mo. 14.05.1990)
Es gab nicht wenige warnende Stimmen im Vorfeld: Dieses werde eine Totgeburt. Las man den Entwurf des Organisationsstatuts und des Programms, musste man den Kritikern Recht geben. Wer dem wachsenden Neofaschismus, Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus in unserem Lande lediglich "die weitere Aufarbeitung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandes in seiner ganzen Breite" und die Bewahrung des Andenkens der Opfer des antifaschistischen Kampfes entgegensetzen will, hat offenkundig das Gebot der Stunde nicht begriffen.
Der Beginn des Gründungskongresses im Internationalen Jugendzentrum am Bogensee nährte noch diesen traurigen Verdacht. 418 Delegierte von antifaschistischen Basisgruppen und Autonomen aus der ganzen DDR waren angereist - doch nur jeder fünfte war jünger als 30 Jahre, dafür hatten 52 Prozent bereits die 60 überschritten. Und auch sonst schien zunächst alles wie immer: das Wasserglas auf dem Rednerpult, Grußadressen von dieser und jener Organisation, viel und häufig gespendeter Beifall, ein Eingangsreferat mit bekannten Formeln. Nein, dieses Plädoyer für den organisatorischen Zusammenschluss aller Antifaschisten enthielt wenig Neues.
Doch dann! Die verausgeschrittene Basis probte nicht nur den demokratischen Aufstand, sondern vollzog ihn mit Worten und Abstimmungen. In Statut und Programm folgte der Kongress Ideen der "Jungen", deren Hoffnungsträger Hans Coppi bei den Vorstandswahlen mit Abstand die meisten Stimmen erhielt. Aktuelle Erfahrungen im Umgang mit all diesen Erscheinungen, die uns das Atmen schwer machen, aktive Auseinandersetzung, praktische Alternativen standen im Zentrum der meisten Diskussionsbeiträge. Es sprachen Auszubildende und Wissenschaftler, Pazifisten und NVA-Offiziere. Frauen und Männer der Kirche, in der DDR lebende Ausländer und Gäste aus Westberlin und der Bundesrepublik, Liberale und Linke, Schüler und Rentner: Das ganze Spektrum eben jener Menschen, die das Bekenntnis zu einer humanistischen Gesellschaft eint, die offen ist nach außen wie nach innen, in der Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Fremden sowie entschiedene Ablehnung von Gewalt und Faschismus zu Hause sind.
Erkennbar bei allen der tiefe Wunsch, sich zusammenzuschließen, um gemeinsam für diese Ideale zu streiten. Nein, keine feste Organisation, denn feste Strukturen neigen zur Erstarrung, sondern ein Bündnis von aktiven Antifaschisten, deren Gruppen als eine Art Bürgerbewegung im Territorium eigenständig agieren, das sich versammelt und konzentriert, wenn es die Situation erfordert. Eine Sammlungsbewegung also, die jedem Glied die eigene Identität belässt und offen ist für alle, eine Organisation, die nicht von einer allmächtigen Zentrale dirigiert wird und sich von Kampagne zu Kampagne kämpft.
Der Streit im Plenum, in Arbeitsgruppen und Kommissionen räumte den Ballast beiseite, den einige Lernunfähige vorm Gründungskongress aufgetürmt hatten. Wir wurden Zeuge einer Zangen-, nicht einer Totgeburt. Dieses Land (und wenn es demnächst Deutschland heißen wird) braucht eine starke antifaschistische Vereinigung, die entschieden Widerstand leistet gegen alle braunen Bemühungen, indem sie vorbeugend aufklärt und positive Werte vermittelt.
(Junge Welt, Mo. 14.05.1990)