Domplatz in Erfurt. Rund zwei Drittel seiner Fläche nehmen in diesen Tagen Wagen bundesdeutscher Unternehmen ein, die vom Auto über Möbel bis zu Bekleidung und landwirtschaftlichen Erzeugnissen eine Menge anbieten. Buchstäblich an den Rand gedrückt wurden am Donnerstag die Teilnehmer einer Bauerndemonstration des Bezirkes. Trotzdem verschafften sie sich Gehör für ihre Forderungen und landen Käufer für die preisgesenkt angebotenen Produkte.
Eugen Roth, Vizepräsident des Bauernverbandes der DDR und des landwirtschaftlichen Unternehmerverbandes Thüringen, verlangte von der DDR-Regierung sachkundige Entscheidungen, um die entstandene Lage zu meistern, wirksame Hilfe beim Übergang zur Marktwirtschaft zu geben und die in der Landwirtschaft Beschäftigten sozial sicher zu stellen. Um billiger und besser produzieren zu können, brauchen wir moderne Produktionsmittel, die wir auch kaufen können, sagte er.
Auf Flugblättern war zu lesen: "Es ist 5 vor 12 für die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft. Die Regierung handelt nicht im Interesse der Bauern! Wir bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft, aber nicht ohne Chancengleichheit, zum Eintritt in den EG-Agrarmarkt, aber nicht ohne staatlich geförderten Anpassungszeitraum."
Weil sie sich "übers Ohr gehauen fühlen" demonstrierten Bauern und Beschäftigte der Nahrungsgüterwirtschaft auch in Suhl. Sie forderten eine sofortige und angemessene Regelung der Eigentumsrechte und des Verkaufs ihrer Agrarprodukte, da westliche Erzeugnisse die hiesigen Arbeitsplätze zerstörten. Für ebenso lebenswichtig hielten die Demonstranten eine Entschuldung ihrer Betriebe, da sie mit solchen Hypotheken gar nicht erst an den Start zum Rennen in die Marktwirtschaft gelangen können.
Für eine neue Verfassung und gegen den Staatsvertrag demonstrierten gestern Abend im Berliner Lustgarten einige tausend Bürger.
Redner von Parteien und Bürgerbewegungen wandten sich gegen die Entmündigung des Volkes, in dem es von Entscheidungen, das seine Interessen unmittelbar berühren, ausgeschlossen wird. Entmündigt von der Volkskammer, von Abgeordneten, wie Tatjana Ansbach, Deutsche Liga für Menschenrechte in der DDR, betonte, die am 18. März das Mandat vom Volk erhalten haben. Notwendig sei eine Verfassung, die die politischen und sozialen Rechte der DDR-Bevölkerung festschreibt.
Große Empörung löste die Nachricht aus, dass die Volkskammer in ihrer gestrigen Sitzung beschlossen hat, das Staatswappen der DDR an öffentlichen Einrichtungen und Institutionen nicht mehr zu dulden. Wiederholt forderten Redner und Kundgebungsteilnehmer einen Volksentscheid über den Staatsvertrag. Es wurde mitgeteilt, dass Bürgerinitiativen über 33 735 Unterschriften für eine Volksgesetzgebung der Volkskammer übergeben haben.
Stürmisch begrüßt, kamen Wolfgang Ullmann, Vizepräsident der Volkskammer, und Gregor Gysi, Vorsitzender der PDS, direkt von der Volkskammersitzung zu den Demonstranten. Wolfgang Ullmann machte keinen Hehl daraus, dass er nach dieser Tagung ernsthaft überlege, ob er weiter Vizepräsident eines solchen Parlaments sein könne. Die Teilnehmer forderten, dass er als Sachwalter ihrer Interessen weiter im Parlament kämpfen möge.
Gregor Gysi wertete die Entscheidung über das Staatsemblem der DDR als den Versuch, öffentlich den Staat DDR aus dem Bewusstsein zu streichen. Angesichts der Ereignisse in der Volkskammer rief er dazu auf, dass sich die linken und demokratischen Kräfte des Landes enger zusammenschließen. Nur so sei zu erreichen, dass den Interessen der Bürger Gehör verschafft werde. Die Demonstranten antworteten mit dem Ruf aus den Novembertagen "Wir sind das Volk". Die Anträge in der Volkskammer zur Offenlegung des Parteivermögens wertete Gregor Gysi als Versuch, jede Opposition auszuschließen.