Brüssel. Am heutigen Dienstag um 12.15 Uhr unterzeichnet Wirtschaftsminister Dr. Gerhard Pohl den Wirtschafts- und Kooperationsvertrag zwischen der DDR und der Europäischen Gemeinschaft (EG). Das Abkommen, dessen Text erst mit der Unterschriftsleistung durch beide Parteien - für die EG setzt Irlands Außenminister Gerard Collins seinen Namen für den EG-Ministerrat darunter – veröffentlicht werden soll, ist als Übergangsmaßnahme gedacht bis zur Mitgliedschaft der heutigen DDR in der EG durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Wie alle Ostverträge wurde es aber auf 10 Jahre ausgelegt.
Der Kern sind folgende Bestimmungen:
• Öffnung der EG-Grenzen für DDR-Exporte bis spätestens 1995, insbesondere durch schnelle Beseitigung der mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung;
• "Meistbegünstigung" entsprechend der Grundregeln des internationalen Freihandelspakts GATT (Genf), so dass EG und DDR einander die bestmöglichen, irgend einem anderen Land der Welt gewährten Handelsbedingungen ebenfalls zugestehen müssen;
• Kooperation durch Herstellung günstiger Investitionsmöglichkeiten, so dass außer den Bundesdeutschen auch alle anderen EG-Partner in der DDR wirtschaftlich, durch Unternehmensgründungen und Beteiligungen aktiv werden können - und umgekehrt;
• weitreichende Zusammenarbeit in der Umweltschutz, Energie, Fremdenverkehrs- und Technologiepolitik;
• umfassende EG-Unterstützungen zur Ausbildung von Fachkräften für oberes und mittleres Management, moderne Berufe der Spitzentechnik, Umweltschutzspezialisten - auch die Sprachschulung gehört dazu.
Das Straßburger Europaparlament wünscht mit der DDR auch Abkommen im Fischereisektor, der Textil- und Stahlwirtschaft, sowie bezüglich der Sicherheit von Kernkraftwerken (letzteres ist hier, anders als im EG-Vertrag mit der UdSSR, ausgeschlossen).
Abschaffung der Lieferquoten wird es, wie der Bonner Agrarstaatssekretär von Geldern schon vor sechs Wochen sagte, vorläufig nicht geben. 90 Prozent der Agrargüter und Getränke sind von den Quoten erfasst. Dies bildet eine Voraussetzung für die - weiterhin gültige – EG-Regelung des "Innerdeutsche Handels", der laut Protokoll zum EWG-Vertrag mit der BRD ohne Erhebung EG-Zöllen auf Lieferungen aus der DDR stattfindet. Dabei bleibt es.
Für die Zeit nach dem 2. Juli (Innerdeutsche Währungsunion) sieht eine Vertragsklausel die dann erforderlichen Anpassungen vor. Sie müssen zwischen der EG und der DDR unter Beteiligung der Bundesrepublik ausgehandelt werden. Bis zuletzt waren Bonner Wünsche umstritten, hierbei anstelle der DDR die Federführung zu übernehmen.
Da der Vertrag mit der EG-Mitgliedschaft der jetzigen DDR Territorien gegenstandslos wird, nennen ihn in Brüssel manche einen "Phantom-Vertrag". Bis zur Vereinigung aber liefert er die juristische Grundlage für den raschen Ausbau der Beziehungen DDR-EG.
Nach einer Vertragsunterzeichnung zwischen der EG und der ČSFR am gestrigen Montag geht dem heute noch ein Abschluss mit Bulgarien voraus. Die EG wird zugleich die bisher Polen und Ungarn gewährte Hilfe auf alle anderen Ostländer einschließlich der DDR, auch Jugoslawiens beschließen - mit sprechender Erhöhung der Finanzmittel.
Von unseren Korrespondenten Hermann Bohle aus Brüssel
(Bauern-Echo, Di. 08.05.1990)
Das grundsätzlich auf zehn Jahre angelegte Handels- und Kooperationsabkommen enthält eine Revisionsklausel für den Zeitpunkt indem die beiden deutschen Staaten Einigung über die geplante Wirtschaftsgemeinschaft erzielt haben. Die EG-Kommission hat dem Beschluss der Bundesregierung zugestimmt, 6 Mrd. DM aus dem ERP-Sondervermögen für die Modernisierung der DDR-Wirtschaft einzusetzen.