Mich persönlich bewegt im Hinblick auf den morgigen Tag einerseits Freude darüber, dass nun die künstliche Teilung Deutschlands beseitigt ist, andererseits Kummer darüber, unter welch - für die DDR - ungünstigen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen das geschieht. Als breite Bürgerinitiative Bündnis 90/Grüne haben wir es erreicht, dass es zu freien Wahlen in der DDR gekommen ist und auch zu einer Demokratisierung im Lande. Beides ist dann in den Einflussbereich der übermächtigen Koalition der Regierung der Bundesrepublik geraten. Aber diese Situation kann von uns nicht widerspruchslos hingenommen werden. Diejenigen, die es im vorigen Herbst auf ihre Verantwortung genommen haben, öffentlich auszusprechen, was die Bevölkerung im Lande DDR bewegte, werden es erneut tun müssen, indem sie aufklären, ermutigen, indem sie aufrufen, das Selbstbestimmungsrecht auch ernst zu nehmen.
Dr. Wolfgang Ullmann,
Bündnis 90/Grüne
Ich freue mich über die deutsche Einheit. Den Weg dorthin hätte ich mir allerdings anders gewünscht. Es hätte eine Reflektion der Bürger der Noch-DDR über ihre 40jährige Geschichte stattfinden müssen. Eine Reflektion, die die Menschen nicht gezwungen hätte, zu schnell eine belastende Geborgenheit zu verlieren und sozial unter die Räder des Zuges der deutschen Einheit zu geraten. Ich glaube, dass die demokratischen Kräfte in einem einheitlichen Deutschland stark genug sein werden, sich zuerst zur Demokratie und dann zu ihrer Parteiorientierung zu bekennen. Nur so sind sie in der Lage, ein einheitliches Deutschland zu gestalten, das den Anrainerstaaten nicht angst macht. Nur so ist es auch möglich, den anderen Bürger neben sich, egal welcher Hautfarbe oder Nationalität, gleichberechtigt zu akzeptieren.
Ich denke in diesen Tagen daran, dass ich in den Jahren 82 und 83 gemeinsam mit anderen in der Friedenskirche in Jena in Streitgesprächen über den Weg in die deutsche Einheit philosophiert habe. Damals wurden wir ausgelacht, weil wir daran dachten, dass der Demokratisierungsprozess in Ost- und Mitteleuropa den Weg in die deutsche Einheit offenlegt. Heute bin ich stolz darauf, damals mit meinen Freunden eine Vision gehabt zu haben, die sich setzt bewahrheitet. Ich möchte mein politisches Engagement künftig darauf legen, dass diese Vision ausgefüllt wird mit dem Realismus einer deutschen, demokratischen Einheit nach innen und nach außen. Ich wünsche mir Deutschland nicht als sozialdemokratisches Land, sondern als soziales und demokratisches Land.
Ibrahim Böhme, SPD
Ich bin in die Politik gegangen, um den Traum von der Einheit Deutschlands wahr werden zu lassen. Wenn dieser Prozess - von Anfang an ohne Blutvergießen! - nun vollendet ist, habe ich Im Prinzip mein persönliches politisches Hauptziel erreicht und ist der Traum von vielen Tausenden Menschen hier in der DDR, die sich deshalb in die Politik gestürzt haben, Wirklichkeit geworden.
Wir wollen jetzt mit Hoffnung und Freude in die deutsche Einheit gehen und mit Engagement, denn wir müssen eine vergleichbare Aufgabe leisten wie Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre im westlichen Teil Deutschlands.
Wir werden zuerst fünf Länder schaffen, die hinsichtlich ihrer Wirtschaftsstruktur und damit auch ihrer Überlebensfähigkeit jedoch bundesdeutschen Ländern noch nachstehen. Sie werden verstehen, dass ich als Spitzenkandidat der CDU vor allem an die Prosperität des Landes Brandenburg denke.
Mich erfüllt in dieser bewegenden Zeit viel Dankbarkeit gegenüber den Bundesbürgern, die doch auch im persönlichen Bereich Abstriche akzeptieren, um den Traum von der deutschen Einheit verwirklichen zu können. Das ist Ausdruck eines Patriotismus, den wir schon vor Jahren beerdigt geglaubt hatten, eines neuen Patriotismus im positiven Sinne, dem wir uns nun alle verpflichtet fühlen. Mit diesem großen Engagement sowohl der Bundesbürger wie der DDR-Bevölkerung für dieses gemeinsame Deutschland gehen wir einer guten Zukunft entgegen. Die Zweifel, die jetzt noch viele Menschen in sich tragen, weil ein neues System, eine neue Wirtschaft, ein neues Sozialsystem eingeführt werden, was auch sicherlich nicht ohne Widersprüche geht, lassen sich ausräumen mit dem Hinweis auf dieses Engagement, Deutschland als eine Drehscheibe des künftigen Friedens in Europa aufzubauen.
Peter-Michael Diestel,
Innenminister
In der Nacht vorn 2. zum 3. Oktober tritt die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland bei. Dies ist ein Vorgang von historischer Bedeutung.
Die Bürger der DDR haben bewiesen, dass man Demokratie erzwingen kann, wenn man den entscheidenden Willen dazu hat und ihn in richtiger Form umzusetzen versteht. Nicht Gewalt und radikale Methoden, sondern friedliche Demonstrationen und brennende Kerzen waren die Symbole der DDR-Revolution.
Die Belastungen der Vergangenheit, die im Augenblick noch überall spürbar sind, sollten unseren neuen Weg nicht versperren. Die Stasi-Vergangenheit zum Beispiel lässt sich nicht ohne weiteres zu den Akten legen. Doch darf sie auch nicht, gleich einer Hypothek, die gemeinsame Zukunft im vereinten Deutschland beschweren und damit ein friedliches Zusammenleben unter den Menschen unmöglich machen.
Auf die immer wieder gestellte Frage, was wir denn in die Einheit mitbringen, darf ich sagen: Uns selbst! Aber darüber hinaus bringen wir auch eine lange Geschichte mit, Kulturgeschichte, insbesondere von Johann Sebastian Bach bis Werner Tübke und vieles andere. Außerdem bringen wir eine in weiten Teilen beneidenswert schöne Landschaft ein und eine Solidarität, mit der wir in der Vergangenheit viele Probleme bewältigt haben. Für den gesamteuropäischen Einigungsprozess bringen wir umfassende Erfahrungen mit unseren Nachbarn im Osten mit. Dies gilt es auszubauen.
Lothar de Maizière,
Ministerpräsident
Es ist gut, dass dem 3. Oktober ein 1. Juli vorausgegangen ist. Die Währungsunion hat Illusionen beerdigt und Wahrheiten befördert. Wir wissen inzwischen alle etwas besser, was Einheit heißt. Die politischen Posaunenengel werden ihre Backen heute nicht ganz so prall aufblasen. Der nationale Weihrauch wird hoffentlich sparsamer abgebrannt und dürfte denn auch weniger Hustenreiz erzeugen.
Dennoch muss ich die Einheit und dass sie jetzt kommt nur bejahen. Ein längeres Siechtum der DDR hätte nur schlimmer für alle werden können.
Die gewaltsame Umsetzung der sozialen Utopie hat versagt. Das war nicht nur die Krankheit der DDR. Die Hast, mit der heute in der Sowjetunion auf die Marktwirtschaft zugestolpert wird, offenbart die von Gorbatschow anfangs nicht gesehene innere Logik der Perestroika: Der Sozialismus, der seit 1917 den revolutionären Sprung von der Theorie in die Praxis wagte, ist nicht umzugestalten, zu reformieren. Er Ist nur abzulösen. Darüber kann man wehklagen, aber der letztliche Fehlschlag des Experiments ist unbestreitbar.
Ich muss mir eingestehen, dass die soziale Sicherheit, auf die sich unser Sozialismus soviel zugute hielt, ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft war, der heute einzulösen ist. Die Lasten des Sozialprogramms haben wir der Wirtschaft aufgebürdet die das Korsett der Planwirtschaft, d. h. Bürokratie, Papier, Befehle, Devisenmangel, die Luft abschnürte.
Viele denken heute an die Öffnung der Mauer am 9. November. Wir wollten damals kundtun, dass die DDR entschlossen ist, sich in den Kreis zivilisierter Staaten einzufügen. Dass dies zum Überlebenstest für die DDR wurde, den sie nicht bestehen sollte, erfüllte sich als geschichtliche Notwendigkeit. Über Unausweichliches sollte man sich nicht beklagen. Man tut besser daran, sich darauf einzustellen.
Günter Schabowski,
ehemaliges Mitglied
des SED-Politbüros
(Tribüne, Di. 02.10.1990)