Mo. 1. Oktober 1990
Link Erklärung der vier Mächte über die Aussetzung ihrer Vorbehaltsrechte über Berlin und Deutschland als ganzes
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1. Parteitag der vereinten CDU
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Zwei Tage vor der Vollendung der staatlichen Einheit haben sich die Christdemokraten aus dem Osten und Westen Deutschlands am Montag auf ihrem ersten gemeinsamen Parteitag in Hamburg vereinigt. Die CDU sei die stärkste politische Kraft, sagte Helmut Kohl, der mit überwältigender Mehrheit zum ersten Parteivorsitzenden der gesamtdeutschen CDU gewählt wurde. In Hamburg erhielt er 98,5 Prozent der Stimmen. 943 Delegierte stimmten für ihn, vierzehn votierten mit Nein, sieben enthielten sich.
DDR-Regierungschef Lothar de Maizière ist mit großer Mehrheit zum stellvertretenden CDU-Parteivorsitzenden gewählt worden. 908 Delegierte votierten für de Maizière, vierundzwanzig gegen ihn.
Mit 82 Prozent der Stimmen wurde Volker Rühe als CDU-Generalsekretär in seinem Amt bestätigt.
Mit Ovationen feierten die Delegierten Kohl als den "Kanzler der Einheit". Großen Beifall bekamen auch die zweihundertfünfzig Delegierten aus den fünf Landesverbänden der Noch-DDR und Ost-Berlins mit dem DDR-Regierungschef Lothar de Maizière an der Spitze.
In seiner Grundsatzrede nannte Kohl "drei große politische Gestaltungsaufgaben" für das nächste Jahrzehnt: Die neuen Bundesländer müssten "schon bald wieder blühende Landschaften" werden: die europäische Union mit der Vision eines europäischen Bundesstaates müsse vollendet werden; Deutschland müsse seinen Beitrag bei der Gestaltung der Welt leisten. Kohl vertrat die Ansicht, dass die "überwiegende Mehrheit" der DDR-Bürger die Notwendigkeit erkenne, "gemeinsam eine Durststrecke zu bewältigen". Durch den Einigungsprozess entstehe "auf Jahre hinaus" eine zusätzliche wirtschaftliche Dynamik. Der wirtschaftliche Wiederaufbau der DDR werde Arbeitsplätze in ganz Deutschland schaffen.
Die Vergangenheit der Partei in der DDR, die früher als Blockpartei mit der SED verbunden war, sei gekennzeichnet gewesen von "rücksichtsloser Unterdrückung durch das Regime".
Der Weg von der Gründung der CDU in der Sowjetzone zu der Partei, die man in vierzig Jahren SED-Staat erlebt habe, umfasse bis zur Erneuerung seit dem vergangenen Jahr "viele bittere und tragische Abschnitte". Es sei ein Weg "verzweifelten Kampfes um Selbstbehauptung und manchmal auch von später Einsicht" gewesen.
Kohl dankte nicht nur den CDU-Mitgliedern aus der DDR für ihren kämpferischen Einsatz beim Aufbau einer neuen Demokratie, sondern hob auch den Beitrag der Kirchen beim Beschreiten dieses Weges hervor.
DDR-Regierungschef Lothar de Maizière hat um Verständnis für die Vergangenheit der CDU als SED-Blockpartei geworben.
Bedenken, dass die CDU durch das jetzige Zusammenwachsen eine andere werden könne, wollte er zerstreuen. "Die Partei wird nicht anders. Sie wird stärker. Ich sehe außerdem einen Zugewinn darin, dass wir von der Ost-CDU nach vierzig Jahren Diktaturerfahrung eine große Demokratiebegeisterung mitbringen".
Im Schnellverfahren hatten die West-Delegierten am Vormittag ohne Diskussion einer Reihe von Satzungsänderungen zugestimmt, darunter der Erweiterung des Präsidiums um drei auf zehn und des Bundesvorstandes um sechs auf sechsundzwanzig Mitglieder. Zu den Beschlüssen gehört auch, dass ein Parteimitglied ausgeschlossen werden kann, wenn es vor oder während seiner Mitgliedschaft "Mitbürger eines totalitären Regimes denunziert oder seine gesellschaftliche Stellung dazu missbraucht hat, andere zu verfolgen".
Die vereinigte Union wird ein sechzehn Punkte umfassendes Vereinigungsmanifest verabschieden. Darin geht es um die gemeinsamen Wurzeln und Wertvorstellungen der Partei, um Solidarität, Schutz der Umwelt und soziale Marktwirtschaft.
(Neue Zeit, Di. 02.10.1990)
Der 38. Bundesparteitag der BRD-CDU wird im Hamburger CongressCentrum eröffnet. Nach der Änderung des Statuts wird der Bundesparteitag bereits nach einer Stunde geschlossen.
Am Nachmittag wird der 1. Parteitag der vereinten CDU eröffnet.
Die fünf Landeverbände der CDU der DDR, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen treten der Bundes-CDU bei. Der Ostberliner Landesverband war bereits am 08.09. dem Westberliner Landesverband beigetreten.
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Die Gewerkschaftsjugend der DDR löst sich zum 03.10. auf
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Mit dem Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 löst sich die Gewerkschaftsjugend der DDR auf. Wie Geschäftsführer Ingolt Kern hervorhob, übernehme mit diesem Datum die DGB-Jugend die Geschäfte in ganz Deutschland. Alle jungen Kolleginnen und Kollegen in der Noch-DDR werden ermuntert, auch weiterhin in den Gewerkschaften aktiv zu sein.
(Tribüne, Di. 02.10.1990)
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Der Mieterbund der DDR stellt mit Wirkung 20.10. seine Tätigkeit ein
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Der Mieterbund der DDR e. V. stellt mit Wirkung vom 20. Oktober seine Tätigkeit ein. Wie Präsident Prof. Dr. Joachim Göhring am Montag ADN informierte, beruhe dieser Schritt auf einem Beschluss des Präsidiums des Bundes vorn 13. September. Dabei war den angeschlossenen Landesverbänden und Örtlichen Mietervereinigungen, die nicht einem Landesverband beigetreten sind, empfohlen worden, sich nach der staatlichen Vereinigung am 3. Oktober dem Deutschen Mieterbund e. V. Köln anzuschließen.
(Tribüne, Di. 02.10.1990)
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Demonstration für den Erhalt der Kunsthochschule
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Etwa 150 Studierende und Dozenten der Kunsthochschule Berlin-Weißensee demonstrierten am Montagmorgen vor dem Rathaus Schöneberg für den Erhalt ihrer Institution. Auf einem großen Transparent fragten sie "Hört der deutsche Kulturstaat am Brandenburger Tor auf? Lässt der Senat die Kunsthochschule Berlin ausbluten?"
Auf Flugblättern erklärten die Demonstranten, sie brauchten Mittel, um die Hochschule weiter zu finanzieren. Die Bildungsstätte verliere sonst ihr Profil und werde arbeitsunfähig.
(Neues Deutschland, Di. 02.10.1990)
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Der DGB hält niedrigere Preise und Honorare im Gesundheitswesen auf dem Gebiet der DDR vorübergehend für notwendig und zumutbar
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Der DGB hält niedrigere Preise und Honorare im Gesundheitswesen auf dem Gebiet der DDR vorübergehend für notwendig und zumutbar. Das erklärte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer in Düsseldorf. Entsprechend dem hier vorzufindenden niedrigeren Lohnniveau müssten Abschläge von den westlichen Preisen und Honorarsätzen festgelegt und vereinbart werden. Gelänge dies nicht, wäre nach Auffassung des DGB das Gesundheitswesen nicht mit dem durch den Einigungsvertrag festgeschrieben Beitragsatz von 12,8 Prozent finanzierbar.
(Tribüne, Di. 02.10.1990)
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Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit rechnet mit einer Übergangszeit von drei bis fünf Jahren für die Normalisierung des Arbeitsmarktes
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Mit einer Übergangszeit von drei bis fünf Jahren für die Normalisierung des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern rechnet der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke. Die Unterbeschäftigung in der bisherigen DDR liege bei etwa 1,5 Millionen.
Aufgefangen werden könne sie zum Teil durch Kurzarbeit, durch berufliche Qualifizierung und bald in zunehmendem Maße durch durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Vor allem der Dienstleistungsbereich sei völlig unterbesetzt.
Mit Hilfe der Bundesanstalt für Arbeit sind laut Franke inzwischen 38 Arbeitsämter und 161 Nebenstellen auf DDR-Gebiet eingerichtet worden, die ab 3. Oktober ebenfalls der Bundesanstalt unterstehen. Die Mitarbeiter dieser Arbeitsämter werden von rund 900 Experten aus der Bundesrepublik unterstützt. So beraten erfahrene bundesdeutsche Arbeitsamts-Direktoren die DDR-Kollegen.
(Tribüne, Di. 02.10.1990)
Von Oktober an werden die Autobahnstrecken in der DDR in das Kennzeichnungssystem der Bundesrepublik einbezogen, Autofahrer werden künftig auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin durchgehend die A 24, von Berlin in Richtung Ruhrgebiet die A 2 und von Dresden nach Frankfurt die A 4 benutzen.
(Berliner Zeitung, Mi. 12.09.1990)
Von der Abfertigung des alliierten Militärverkehrs an den früheren Grenzübergängen Drewitz und Glienicker Brücke wurden die sowjetischen Kontrollposten abgezogen.
(Berliner Zeitung, Mo. 01.10.1990)
Der West-Berliner Senat ist schon ab heute für die innere Sicherheit im Ostteil der Stadt verantwortlich.
Angesichts der befürchteten Unruhen zum Tag der deutschen Einheit geht die Polizeihoheit im Osten Berlins vorzeitig auf das Land Berlin über. Einem entsprechenden Ersuchen des DDR-Innenministeriums hatte Innensenator Erich Pätzold SPD) am Freitag entsprochen.
Unterdessen sicherte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) Unterstützung durch den Bundesgrenzschutz zu, falls die Berliner Behörden zur Bewältigung der Situation am Dienstag und Mittwoch auch Verstärkung durch die Polizei des Bundes anfordern.
Dies wäre der erste Einsatz des Bundesgrenzschutzes nach dem Ende der Vier-Mächte-Zuständigkeit in Berlin. Zum Schutz der Einheitsfeiern werden bereits zwei Einsatzabteilungen der nordrhein-westfälischen Polizei mit rund 1 200 Beamten die Berliner Polizei verstärken.
(Berliner Zeitung, Mo. 01.10.1990)
In Leipzig eröffnet das erste Quelle-Fachgeschäft.
Am Mittag geht die Führung der Polizei für ganz Berlin mit Zustimmung der vier Besatzungsmächte, des Magistrats und des Senats von Berlin auf die noch Westberliner Polizeiführung über.
In einem Schreiben des BRD-Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, an den DDR-Ministerpräsidenten, Lothar de Maizière bekräftigt er keine Mitarbeiter aus dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der DDR in das Auswärtige Amt zu übernehmen.
Am Rande eines KSZE-Außenministertreffens in New York unterzeichnen die Außenminister des "Zwei-plus-Vier"- Prozesses ein Dokument, mit dem die alliierten Vorbehaltsrechte suspendiert werden.
"Erklärung zur Aussetzung der Wirksamkeit der Vier-Mächte-Rechte und Verantwortlichkeiten
Die Regierungen der Französischen Republik, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und der Vereinigten Staaten von Amerika, vertreten durch ihre Außenminister, die am 1. Oktober 1990 in New York zusammengetroffen sind, unter Berücksichtigung des am 12. September 1990 in Moskau unterzeichneten Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland, der die Beendigung ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes festlegt, erklären, dass die Wirksamkeit ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Vereinigung Deutschlands bis zum Inkrafttreten des Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland ausgesetzt wird. Als Ergebnis werden die Wirksamkeit der entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken und die Tätigkeit aller entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte ab dem Zeitpunkt der Vereinigung Deutschlands ebenfalls ausgesetzt."
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