Nun ist die Bombe geplatzt: Gestern, kurz nach 14 Uhr, gab PDS-Chef Gregor Gysi eine Pressekonferenz, auf der er eingestand, dass die Überweisung der 107 Millionen DM auf das Konto der sowjetischen Firma "Putnik" eine unrechtmäßige finanzielle Transaktion war.
Sein Stellvertreter und PDS-Finanzchef, Wolfgang Pohl, gab in einer persönlichen Erklärung zu, gemeinsam mit Wolfgang Langnitschke, Finanzbereichsleiter im PDS-Vorstand, dafür verantwortlich zu sein. Pohl und Langnitschke hatten versucht, in Anbetracht der ihrer Meinung nach drohenden Illegalität und Enteignung der PDS Geld für die Partei zur Seite zu schaffen. Einziges Motiv, so Pohl, war, die PDS retten zu wollen. Dabei kamen sie auf die Idee, Karl-Heinz Kaufmann und dessen intensive Beziehungen in die Sowjetunion zu nutzen. Zu keiner Zeit, so Pohl, hätten Präsidium und Parteichef Gysi von der Angelegenheit gewusst. Er sehe ein, dass sein Vorgehen ein schwerer politischer Fehler war. Pohl trat unverzüglich von seinen Ämtern zurück.
In der Nacht vom Donnerstag zu Freitag war Gregor Gysi aus Moskau zurückgekehrt. Nach Gesprächen im ZK der KPdSU wird ihm wohl klar geworden sein, dass die Urheber der ganzen Affäre im eigenen Hause zu suchen waren. "Zwar gibt es durchaus Forderungen der KPdSU an die PDS", so Gysi auf der Pressekonferenz, "auf keinen Fall aber in dieser Höhe." Mit wem er gesprochen hatte, wollte er nicht sagen, bestätigte ober, dass sich Kaufmann in Moskau befindet. Unmittelbar nach seiner Ankunft stellte Gregor Gysi dann Pohl und Langnitschke zur Rede, die sich schließlich offenbarten. Im Morgen darauf suchte Gregor Gysi unverzüglich den leitenden Staatsanwalt auf, um ihn seine Erkenntnisse mitzuteilen.
In einer Erklärung des Präsidiums des PDS-Parteivorstandes wird der Vorgang um die 107 Millionen DM zutiefst bedauert. Vertrauen und Redlichkeit der Bemühungen der ganzen Partei um Erneuerung seien in Misskredit gebracht worden.
Es bleibe außerdem die Tatsache des unehrlichen Umgehens mit dem tatsächlichen großen Problem der Altlasten der SED und des Versuchs, Glaubwürdigkeit auf Kosten der KPdSU zu gewinnen, was die Beziehung zu ihr hätte trüben können.
Man werde die Veröffentlichung der Eigentums- und Finanzlage der Partei aktualisieren und detaillierter vornehmen, zugleich auch beispielsweise die Frage der Unterstützung der Gründung von GmbH angehen, sowie sofortige Konsequenzen in der Kontrolle aller Finanzoperationen ziehen. Fest entschlossen ist das Präsidium offensichtlich, dem Parteivorstand einen Vorschlag zu unterbreiten, "wie in der Eigentumsfrage ein genereller Schnitt vollzogen werden kann". Dieser Vorschlag – so die Erklärung - soll dann der unabhängigen Untersuchungskommission bei der Regierung übergeben werden.
Parteichef Gregor Gysi hat den Wunsch nach seinem sofortigen Rücktritt geäußert, wurde vom Präsidium aber gebeten, noch einmal seine Entscheidung zu überdenken. Diese wird auf der Vorstandssitzung am, Sonnabend fallen. Auf jeden Fall will Gysi aber die Vertrauensfrage stellen. Der PDS-Vorsitzende ist offenbar tief getroffen von dem Vertrauensmissbrauch, seiner beiden Mitstreiter und trägt als Parteivorsitzen der ja letztlich auch die politische Verantwortung für das Geschehene. Gregor Gysi: "Ich war in bestimmter Hinsicht zu vertrauensselig, vielleicht auch nicht konsequent genug."
Wie das Pressezentrum des ZK der KPdSU am Freitag laut TASS mitteilte, habe das ZK der Partei das Unternehmen "Putnik" zu keiner Zeit mit Finanztransaktionen zwischen der SED und der KPdSU ermächtigt. "Vorgänge, die anfangs intern, später über in der SED und der DDR insgesamt offenkundig abliefen", heißt es in der Mitteilung, "führten in der Folge zu Stundungen bei den Verrechnungen früher übernommener Verpflichtungen im Januar 1990 in einem entsprechenden Protokoll des Präsidiums des SED/PDS-Vorstandes seinen Niederschlag fand."
Am Abend meldete dpa, dass die Berliner Kriminalpolizei den PDS-Schatzmeister und stellvertretenden Parteivorsitzenden Wolfgang Pohl und den Chef der Finanzabteilung der PDS, Wolfgang Langnitschke, festgenommen hat. Beide befinden sich in Polizeigewahrsam, erklärte Innensenator Erich Pätzold (SPD). Die PDS-Führung, und an ihrer Spitze Gregor Gysi, werde eingeholt von den Schatten der Vergangenheit, erklären die Grünen/Bündnis 90 zum Rücktritt des PDS-Schatzmeisters am Freitag in Bonn. Offensichtlich drohe Gysi, über die alten Seilschaften zu stürzen. Damit wäre dann wohl auch das halsbrecherische und schnelle Manöver gescheitert, "die alte SED im historischen Schnelldurchgang in eine handlungsfähige demokratische Oppositionspartei zu verwandeln", heißt es in der Stellungnahme.
Die illegalen Transaktionen der PDS wurden am Freitagabend von Berliner Mitgliedern und Sympathisanten der Partei verurteilt. Auf einer ursprünglich als Wahlauftakt geplanten Veranstaltung in der Kongresshalle am Alexanderplatz forderten zahlreiche Sprecher, endlich einen Schnitt beim alten SED-Vermögen zu machen. Zwar gingen der Partei Finanzen verloren, aber diese Altlasten würden die PDS immer wieder einholen, hieß es zur Begründung.
Gleichzeitig wurde wiederholt die Forderung erhoben, die Vermögensverhältnisse endlich restlos transparent zu machen. Dagegen sprachen sich die rund 500 Teilnehmer geschlossen gegen einen Rücktritt des Parteivorsitzenden Gregor Gysi aus. Dieser wurde am Abend vom zuständigen Oberstaatsanwalt Stange als Zeuge vernommen. Kurz vor 22.00 Uhr fuhren Gysi und Stange gemeinsam mit Kripo-Beamten der Abteilung Wirtschaftskriminalität vor dem Hause des PDS-Parteivorstandes in der Kleinen Alexanderstraße vor. Staatsanwalt Stange betonte, dass es sich nicht um eine richterlich angeordnete Durchsuchung handele, sondern nur um eine Sichtung des Aktenmaterials. Dies geschehe mit Zustimmung des PDS-Vorsitzenden.
Von SABINE SAUER
(Junge Welt, Sa. 27.10.1990)