So. 14. Oktober 1990
-
-
Für den Erhalt des Palastes der Republik
-
Warum dulden die Direktoren des Palastes der Republik die bedingungslose Preisgabe der Kulturstätte an das Bundeskanzleramt? Warum haben sich die Direktoren nicht für einen Sozialplan für die Mitarbeiter eingesetzt? Warum gibt es keine Übergangsspielstätte? Fragen über Fragen, die gestern nicht nur die Mitarbeiter des Palastes bewegten.
Etwa 500 Angestellte versammelten sich deshalb am Nachmittag vor dem Bühneneingang. Der Sprecherrat der Gewerkschaft hatte dazu aufgerufen, um für den Erhalt des Palastes der Republik als Kulturstätte zu demonstrieren. Außerdem forderten sie die Weiterführung der gastronomischen Einrichtungen des Hauses und eine Übergangsspielstätte für den Zeitraum einer Sanierung. Auch solle vom Bundeskanzleramt ein Sozialplan für alle Angestellten verabschiedet werden.
Buhrufe gleich zu Anfang. Andreas Göhnng, der Vorsitzende des Sprecherrates, teilte nämlich mit, dass am Freitag alle Schlüsselkästen des Hauses plötzlich verschwunden waren. Damit war der Zutritt zu den Technikräumen nicht mehr möglich. Und gestern, um 11 Uhr, blieben für die Mitarbeiter sämtliche Türen verschlossen. Damit waren die, die noch vor Wochen wegen Asbestverseuchung des Palastes für dessen Schließung demonstriert hatten, praktisch ausgesperrt. Die Palastdirektion versuchte mit allen Mitteln, die Protestveranstaltung zu verhindern.
Am 1. November wird der Palast der Republik dann endgültig vom Bundeskanzleramt übernommen. Doch ist schon jetzt bekannt, dass das Amt die Kulturstätte nicht nutzen will. Was dann mit den 1 700 Beschäftigten wird, die sich jetzt in Wartestellung befinden - keiner kann es sagen. Die Mitarbeiter aber meinen: "In einem weltoffenen Berlin sehen auch wir unseren Platz, mit Shows, Konzerten, Veranstaltungen für die Familie im ganzen Haus." Eines steht jedoch schon fest. Im Dezember wird es kein Weihnachtsmärchen, keine Straußkonzerte und keine IX. Sinfonie geben.
(Berliner Zeitung, Mo. 15.10.1990)
-
Überfall auf vietnamesische Arbeiter in Schwedt
-
Schwedt (ddp) Etwa 40 Jugendliche haben im brandenburgischen Schwedt vietnamesische Arbeiter angegriffen. Ein Sprecher der Polizei des Landes Brandenburg erklärte auf Anfrage in Potsdam, die Gruppe radikaler Jugendlicher habe wiederholt Steine gegen ein Ausländerwohnheim geworfen. Erst durch den Einsatz der Polizei habe die Ansammlung aufgelöst werden können. Die Polizeikräfte hätten bei der Aktion jedoch keine Gewalt angewendet. Der Sprecher sagte weiter, die Jugendlichen forderten mit Sprüchen wie "Ausländer raus" die Ausweisung der in der Stadt lebenden Vietnamesen. In letzter Zeit hätten die Auseinandersetzungen zwischen deutschen Jugendlichen sowie den in den Neubundesländern arbeitenden vietnamesischen Jugendlichen zugenommen und seien "wiederholt gewalttätig eskaliert."
(Der Morgen, Mo. 15.10.1990)
Die Landesverbände der Linken Liste/PDS in den westlichen Bundesländern können sich als Landesverbände der PDS konstituieren. Das beschloss der gestern in Berlin fortgesetzte 1. Parteitag der PDS. Die 480 Delegierten zogen damit die Konsequenz aus der Neufassung des Gesetzes für die Wahlen am 2. Dezember. Danach sind gesamtdeutsche Listenvereinigungen von Parteien der ehemaligen DDR und BRD verboten.
Der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi hatte zur Begründung des "sehr außergewöhnlichen" Schrittes erklärt, dies sei unter dem gegebenen Zeitdruck die einzig mögliche rechtliche Variante, gesamtdeutsch anzutreten und jenes "Milliönchen" Stimmen zu gewinnen, die für eine starke Opposition im Bundestag und außerparlamentarisch nötig seien. Er räumte ein, dass es aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen und Vorstellungen bei PDS-Mitgliedern im Osten und Linken im Westen Probleme gebe.
Der Beschluss des Parteitages hält zwar an Programm und Statut der PDS fest, doch seien beide Dokumente "überarbeitungsbedürftig". Die aus Zeitgründen vertagte Diskussion darüber sowie über den Prozess des "Zusammenwachsens" der Linken wird Anfang 1991 auf zwei gesamtdeutschen Kongressen geführt werden. Einen Beschluss soll der 2. Parteitag fassen.
In einer ohne Gegenstimmen angenommenen Erklärung "Für eine unüberhörbare Stimme der linken Opposition in Deutschland" heißt es: "Wir suchen den Weg nach einer Alternative zum bisher bekannten 'Realsozialismus' im Osten und zu den kapitalistischen Gesellschaften im Westen." Gemeinsam sei der Wille, "die eigene Geschichte nicht zu verdrängen, sondern sie anzunehmen und aufzuarbeiten".
Vertreter der Linken aus dem Westen führten auf dem Parteitag scharfe Wortgefechte gegen- einander. Erkennbar war auch die Sorge von PDS-Delegierten, dass sich die über 300 000 Mitglieder der Partei durch die überstürzte Aktion dem Willen von wenigen hundert zu erwartenden Mitgliedern im Westen unterwerfen müssten.
(Berliner Zeitung, Mo. 15.10.1990)
Berlin (ND-Dörre/Kuttan). Die PDS wird als einheitliche Partei an den Wahlen zum 12. Deutschen Bundestag am 2. Dezember teilnehmen. Den dafür notwendigen Beschluss fassten die Delegierten des 1. Parteitages, der am Sonntag in Berlin fortgesetzt wurde. Kern des Beschlusses ist, dass die Landesverbände der bisherigen Wahlpartei LINKE LISTE/PDS sich in eigener Regie zu Landesverbänden der PDS in den Bundesländern der ehemaligen BRD konstituieren können. Die bereits gewählten Kandidatinnen für den 12. Deutschen Bundestag können auf den offenen Listen der neuen Landesverbände der PDS weiterhin kandidieren, wenn sie von den Landesmitgliederversammlungen der PDS erneut gewählt werden. Für die entstehende Gesamtpartei, das wurde nach zum Teil heftiger Diskussion, an der auch Vertreterinnen der LINKEN LISTE/PDS teilnahmen, beschlossen, gelten Programm und Statut der PDS.
Eine weitere Voraussetzung für das Projekt ist, dass sich die bisherigen Landesverbände der LINKEN LISTE/PDS auflösen.
Gemeinsamer politischer Bezugsrahmen, so wird in einem mit zwei Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen angenommenen Beschluss des Parteitages festgestellt, bleibt das bereits beschlossene Wahlprogramm "Für eine starke linke Opposition". Die Delegierten einigten sich ferner darauf, dass der Beirat der LINKEN LISTE/PDS im Prozess des Zusammengehens der linken Kräfte aus Ost und West als "politische Klärungsinstanz" bestehen bleibt.
Das neue Herangehen an die Teilnahme zu den ersten gesamtdeutschen Wahlen machte sich auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gegen das undemokratische Wahlgesetz erforderlich. Mit dem danach beschlossenen Wahlgesetz sind Listenverbindungen zwischen Parteien der bisherigen BRD und der früheren DDR nicht mehr möglich. Damit standen PDS und LINKE LISTE/PDS vor der Frage: Treten wir gesamtdeutsch an, und wenn ja, in welcher gesetzlich möglichen Form, ohne dabei Befindlichkeiten und Besonderheiten von Ost- und West-Linken völlig außer acht zu lassen, erklärte PDS-Vorsitzender Gregor Gysi. Michael Stamm, Mitinitiator der LINKEN LISTE/PDS, verwies darauf, dass das ursprünglich aus der Not geborene Projekt der Listenverbindung jetzt der Prüfung unterzogen werden müsse, ob da Bündnis auch ohne äußeren Zwang von allen gewollt wird.
Die Diskussion auf der vorangegangenen Vorstandstagung und während des Parteitages selbst - bei der manche Kritik am Parteipräsidium und Parteivorstand ausgeteilt wurde machte deutlich, dass es Zeit braucht, um Schritt für Schritt zu einer demokratischen linken sozialistischen Partei und Bewegung zusammen zuwachsen. Doch die eilig geschaffene Gesetzeslage verlange, sich sofort darauf einzustellen, um sich als PDS auch den Wählern in den alten Bundesländern stellen zu können. "Wir wollen die Chance nicht verspielen. Wir streben einen Zusammenhang an, in dem die Gemeinsamkeit nicht Einförmigkeit meint, sondern die Akzeptanz von Unterschiedlichkeit einschließt", heißt es in einer ohne Gegenstimmen verabschiedeten Erklärung des Parteitages.
Parteitagsdelegierte, LINKE LISTE/PDS-Teilnehmer und andere Gäste waren sich einig, dass die Diskussionen über die Inhalte linker Politik in Deutschland intensiv weitergehen müssen. Deshalb wird der im ersten Halbjahr 1991 geplante 2. Parteitag - als gesamtdeutscher Parteitag neben den Landeskonferenzen mit zwei gesamtdeutschen Kongressen vorbereitet.
In seinem Schlusswort betonte Parteivorsitzender Gysi, der nunmehr eingeschlagene Weg sei zwar nicht der ursprünglich gewünschte, aber doch eine große Möglichkeit, einerseits erfolgreich an den Wahlen teilzunehmen und zugleich auch die Diskussion um eine neu zusammenwachsende starke Linke in ganz Deutschland weiterzuführen. Die PDS könne in diesem Prozess neben anderem ein ausgeprägtes Gefühl und die Fähigkeit der Solidarität einbringen. An die Adresse der CDU/CSU in Bezug auf ihre geplante parlamentarische Attacke gegen den Ehrenvorsitzenden der PDS gewandt, kündigte er entsprechende solidarische Aktionen an. Mit Beifall begleiteten die Delegierten seine Forderung: Hände weg von Hans Modrow! Wir werden uns zu wehren wissen!
(Neues Deutschland, Mo. 15.10.1990)
Δ nach oben