Dr. Gierke, Leiter des HdjT, hatte mobilisiert. Man veranstaltete einen "Aktionstag zum Erhalt des HdjT", bei dem den Besuchern sämtliche Kunst- und Laienspielgruppen des Hauses vorgestellt wurden. Veranlasst sahen sich die Mitarbeiter zu dieser Aktion, nachdem ihnen niemand Gewissheit über die Zukunft ihrer Einrichtung geben konnte. Deshalb veranstaltete das Haus den Tag der offenen Tür, um das Publikum auf diese Weise auf die Probleme aufmerksam zu machen.
Es ging wieder einmal um den Beschlussentwurf des Magi-Senats zur "Überführung und Abwicklung der dem Magistrat nachgeordneten Einrichtungen". Vertreter des Kulturparks, des Büros für architekturbezogene Kunst sowie der Kulturakademie sahen sich von diesem Papier wie das HdjT bedroht. Sie übersetzten "Überleitung" mit Auflösung oder Schließung und äußerten die Befürchtung, dass sie der Sparpolitik des Magistrats zum Opfer fallen werden. Wolfgang Koppe, Sprecher der Kulturstadträtin Dr. Irana Rusta, betonte jedoch, "Überleitung" hieße lediglich die alte Rechtsform auflösen und in die neue zu überführen. "Verbindlich sagen wir jedoch die weitere Existenz der in dem Beschlussentwurf genannten Einrichtungen zu."
Das HdjT bleibt also erhalten. Ursache für das Hickhack zwischen Magistrat und HdjT war allerdings auch das schon seit längerem ausstehende Konzept für das Domizil. Zu erstellen war dieses von Roland Gierke, der es erst am 17. Oktober vorlegte und damit der Ungewissheit Vorschub leistete. Man hatte gemeinsam schneller Klarheit schaffen können.
(Berliner Zeitung, Fr. 19.10.1990)
Wann immer in Berlin die Rede von künstlerischer Vielfalt, von Nachwuchs, von engagiertem Jugend-Kulturbetrieb war - das Haus der jungen Talente galt als die Adresse. Und es würde ja auch fast an ein Wunder grenzen, wenn die Welle, von der sich gegenwärtig viele in diesem Land erfasst sehen, einen Bogen um das Haus machen würde - die Welle von Unsicherheit, von Angst uni Arbeitsplätze. Und prompt versetzt die Nachricht, dass eine Beschlussvorlage des Magistrats die "Überführung" und "Abwicklung" von kulturellen Einrichtungen vor sähe, Mitarbeiter und Hausfreunde des beliebten Talentetreffs in der Klosterstraße in helle Aufregung. Zu Recht, denn hier stände nicht „nur“ ein Verlust von 41 Arbeitsplätzen zu Buche, hier würde die Stadt um etwas ärmer werden, worum sie allerorten getrost beneidet werden darf: ein Stück echter Soziokultur von großer Ausstrahlungskraft.
Inzwischen sitzt eine Mahnwache vorm Haus, hängen Transparente an der Fassade, artikuliert sich Protest. Zwar hat es mehrfach mündliche Zusagen durch Frau Dr. Irana Rusta, die zuständige Stadträtin, gegeben, dass das Haus um jeden Preis erhalten werden solle. Nur über das WIE war bisher nichts zu hören bzw. zu lesen.
Nie, so war nun gestern von Brigitte Martin, Kulturverwaltung des Magistrats, auf einer Pressekonferenz im HdjT zu hören, sei eine Auflösung von kulturellen, dem Magistrat nachgeordneten Einrichtungen im Gespräch gewesen, mit Ausnahme des Berliner Hauses für Kulturarbeit, des Büros der Berliner Festtage und der Konzert- und Gastspieldirektion Berlin.
Bei allen anderen Einrichtungen aber gehe es ausschließlich um die zukünftige Rechtsform der jeweiligen Einrichtung. Das HdjT mache da keine Ausnahme. Entschieden werde darüber anhand inhaltlicher und verwaltungsstruktureller Überlegungen an den einzelnen Häusern. Und vom HdjT liege ja ein solches Konzept noch immer nicht vor! Dem widersprach HdjT-Direktor Gierke: Nach Vereinbarung seit vorgestern Nachmittag!
Um was also geht es? Haarspalterei? Kaum. Dass der Hintergrund dieser Streiterei nicht nur finanzieller Natur ist, liegt auf der Hand, trotz der Tatsache, dass künftig 90 Prozent des Berlin-Haushalts aus der Kasse des Bundes kommen. Die Vermutung, dass mit der herannahenden Landtagswahl in Berlin am 2. Dezember auch der Wahlkampf zu greifen beginnt, ist sicher nicht unbegründet. Dass man in diesem Zusammenhang unpopuläre Maßnahmen wie die Schließung eines solchen Hauses vor sich herschiebt, wäre nur allzu logisch.
Auch der Fakt, dass das HdjT Dach und Podium für eine basisdemokratische, sprich linke Kulturszene ist, mag schon ins Kalkül gezogen worden sein, das aber durchaus nicht mehr nur finanzieller, sondern knallharter politischer Natur ist.
Thomas Otto
(Junge Welt, Fr. 19.10.1990)