"Ich schleppe heute vier Maate an, und du bringst nicht mal zwei. So geht das nicht!" Jene Dame, die hier lautstark ihrer Wut Luft macht, ist "Leutnant".
Hunderte Zocker drängten sich an diesem Dienstag gegen 17 Uhr auf dem Sportplatz der TSG Fredersdorf, ihre Autos führten im Ort zu einem nie dagewesenen Verkehrschaos. Gereizte Stimmung ließ auch den zufälligen Beobachter schnell erkennen: Hier geht es um einen hohen Einsatz. Ich sehe aus der Masse der Herumstehenden ein Schild ragen: "Mitspieler gesucht“. Daneben ein Campingtisch, dahinter "Admiral L.", der mir bereitwillig das Spiel erklärt: "Du kannst als einer von acht Maaten auf meiner Liste einsteigen, wenn ihr Maate komplett seid, bekomme ich von jedem 3 000 DM." ich muss an dieser Stelle sehr widerwillig drein geschaut haben - "Admiral L.", erklärte mir also sein Recht auf die 24 000 DM: Er habe schließlich auch als Maat angefangen und, wie sich das gehört. Seine 3 000 DM eingezahlt. Jetzt nach drei Spieltagen ist er dran. Wenn ich die 3 000 investiere, werde ich noch heute Leutnant, kann beim nächsten Treff zum Kapitän aufsteigen und beim übernächsten als Admiral ganz groß absahnen. Das ganze funktioniert todsicher - die Leutnante müssen bloß je zwei Leute überzeugen, als Maate einzusteigen (und zu zahlen!).
Inzwischen ist es dunkel, auf dem Platz spricht man mich immer wieder an, ob ich nicht einsteigen wolle.
Links neben der kleinen Freilichtbühne stehen Leute an einer Tür. Das sind die "Gewinner" - sie weisen im kleinen Kabuff die 24 000 DM vor und erhalten von der "Spielleitung" neue Listen.
Die Gebühr dafür beläuft sich auf schlappe 550 DM. Davon erhält die "Spielleitung" nur 250 DM sagt die "Spielleitung". 250 DM werden gegen einen Sekt-Bon eingetauscht. Sehen wir einmal davon ab, dass für zwei Kartons Sekt der Marke "Graf Luxemburg“ nicht viel mehr als 60 DM im Einkauf zu zahlen sind (auf der Bühne stehen mehrere Paletten!) - freuen wir uns über den edlen Verwendungszweck der restlichen 50 DM - die sind schließlich für UNICEF bestimmt!
Die Abrechnung eines Spieltages (des vorigen Sonntages) sieht so aus: 105 Admirale kassierten je 24 000 DM (gesamt: 2 520 000 DM), an die Spielleitung 57 750 DM. Konjunktur haben Glücksspiele in jeder Ecke der Ex-DDR.
Immer mehr herumirrende Leutnants, die zahlungskräftige und willige Maate suchen, weisen darauf hin, dass der große Crash bevorsteht - die "Spielleitung" wird sich rechtzeitig in eine andere Gegend der neuen Bundesländer absetzen.
Da sich noch nicht einmal das gute Westgeld auf wundersame Art vermehrt, gibt es von Spieltag zu Spieltag einen sprunghaft anwachsenden Bedarf an zahlenden Mitspielern. Nahm der Spaß in der Konsumgaststätte von Bruchmühle (bei Strausberg) seinen Anfang, musste nach drei Veranstaltungen vor 14 Tagen ins Eggersdorfer Gesellschaftshaus umgezogen werden - der Saal reichte nicht mehr aus. Auch die größeren Örtlichkeiten in Eggersdorf wurden bald durch das Lawinensystem des "Spiels" zu klein - da bleibt zunächst also der Sportplatz von Fredersdorf . . .
Für den Fredersdorfer Sportverein ist "eine Prämie von der 'Spielleitung' angekündigt", erfahre ich vom Vereinsvorsitzenden Gerhard Reimann. Er scheint von der Mildtätigkeit der westdeutschen „Spielleitung" zutiefst überzeugt zu sein.
"Wir von der Polizei warnen jeden vor diesem 'Spiel'. Leute, die am Anfang einsteigen, können Glück haben - am Erde aber bleiben viele, die ihren Einsatz verloren haben", so der Kommentar Peter Glasers von der Pressestelle der Berliner Landespolizei.
Die Auskunft der Pressesprecherin der Berliner Justizverwaltung, Frau Burkhard: "Es handelt sich weder um ein unerlaubtes Glücksspiel noch um Betrug - das ganze ist strafrechtlich nicht relevant." Schließlich kann sich jeder sein Risiko selbst errechnen. Ihre persönliche Meinung: "Bisherige Schattenseiten unseres Lebens im Westen sind jetzt auch die Ihren!"
Von ANDREAS KURTZ
(Junge Welt, Do. 18.10.1990)