Berlin (ADN) Die Humboldt-Universität ist empört über die "Abwicklungs"-Entscheidung der Berliner Landesregierung. Sie sieht in dem Beschluss einen folgenreichen Eingriff in den Prozess der Selbsterneuerung der Bildungseinrichtung. Das wird in einer Stellungnahme unterstrichen, die Rektor und Prorektoren der Universität am Sonnabend verabschiedeten.
"Dieser Schritt diskreditiert alle Anstrengungen, die die Universität im zurückliegenden Jahr zu ihrer geistigen Neuorientierung unternommen hat. Der Senat von Berlin fällt mit diesem Beschluss allen Kräften, die sich für diesen Demokratisierungs- und Neustrukturierungsprozess verwendet haben, in den Rücken", heißt es darin. Der Rektor wird alle erforderlicher. Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen. Erst durch die Pressekonferenz nach der Sitzung der Regierung am Sonnabend hatte Rektor Prof. Heinrich Fink erfahren, dass die Fachbereiche Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Erziehungswissenschaften sowie das Institut für Philosophie mit Wirkung vom 1. Januar 1991 mit dem Ziel der Neubildung "abgewickelt" werden. Statt dessen sollen neue Bereiche Staatswissenschaften, Philosophie und Sozialwissenschaften sowie pädagogische Wissenschaften eingerichtet werden.
Die Studenten-Mahnwache in der Universität wird unterdessen fortgesetzt. Betroffene und Sympathisanten machen mit Plakaten und Handzetteln in der Ostberliner City auf ihre Situation aufmerksam. Sie wollen auch zu den Weihnachtstagen in der Universität bleiben. Am 1. Januar beginnt um 10 Uhr ein Protestmarsch der Studierenden nach Leipzig.
(Tribüne, Mo. 24.12.1990)
Berlin. B. Fehrle Der Rektor der Humboldt-Universität hat eine Verfassungsklage gegen die Landesregierung angekündigt. Anlass ist der Beschluss vom Sonnabend, die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche aufzulösen und zum 1. Januar 1991 neue Fakultäten zu gründen.
Einen Tag nach dem Beschluss der Landesregierung kündigte Rektor Fink an, er werde in Absprache mit dem Studentenrat alle erforderlichen Rechtsmittel dagegen einlegen. Dazu gehöre, so ein Sprecher des Studentenrates, auch das der Verfassungsklage. Studenten und Professoren nahmen die Entscheidung der Landesregierung, die nach eingehenden Beratungen auch der Koalitionsrunde zwischen SPD und CDU zustande gekommen ist, "mit großer Empörung" zur Kenntnis. Rektor Fink sprach von einem "folgenreichen Eingriff in den Prozess der Selbsterneuerung der Universität". Dieser Schritt diskreditiere alle Anstrengungen, die die Universität im zurückliegenden Jahr zu ihrer geistigen Neuorientierung unternommen habe.
Die Studenten protestieren jetzt weiter. Die symbolische Besetzung des Hauptgebäudes bleibt bestehen. In einer Vollversammlung sollen die weiteren Schritte beraten werden. Ein Protestmarsch nach Leipzig soll am 1. Januar in Berlin starten.
Die Entscheidung der Landesregierung sieht die "Abwicklung mit dem Ziel der Neubildung" der Fachbereiche Philosophie, Rechtswissenschaften, Geschichte, Erziehungswissenschaften und Ökonomie vor. Ab 1. Januar sollen die 3 000 Studenten dann in den Fachbereichen Staatswissenschaft, Sozialwissenschaften und Philosophie und Pädagogische Wissenschaften studieren. Der Lehrbetrieb und die Prüfungen seien nicht gefährdet, sagte Wissenschaftssenatorin Riedmüller nach der Sondersitzung der Regierung am Sonnabend.
Die Zukunft der Geisteswissenschaften an der Humboldt-Universität war zuvor Streitpunkt in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD gewesen. Die CDU hatte einen Beschluss am vorigen Dienstag verhindert, stimmte dann aber am Sonnabend nach geringfügigen Änderungen der Senatsvorlage zu.
In den Koalitionsgesprächen am Sonnabend kam es zu keinen weiteren Entscheidungen. Am 3. Januar wollen sich die Parteien erneut zusammensetzen. Große Differenzen bestehen nach wie vor bei der Verkehrspolitik, der Inneren Sicherheit und in der Wirtschaftspolitik. Ungeklärt außerdem, wie viel Geld aus Bonn für den Ostteil der Stadt kommt.
(Berliner Zeitung, Mo. 24.12.1990)