Mi. 5. Dezember 1990
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Antrieg der Arbeitslosenzahl in den Neuländern
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Berlin/Bonn (ND/ADN). Während die alten Bundesländer eine Besserung auf dem Arbeitsmarkt verzeichnen, stieg die Zahl der offiziell registrierten Erwerbslosen im November in den Neuländern einschließlich Ostberlin um 52 378 oder 10 Prozent auf 589 178. Das teilte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, am Mittwoch vor der Presse in Nürnberg mit. Nach wie vor mehr als die Hälfte der Betroffenen sind Frauen, 71 Prozent Arbeiter. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich von 6,1 auf 6,7 Prozent (alte Länder 5,8 Prozent).
Nach massivem Anstieg im Sommer hat sich die Zahl der Kurzarbeiter mit etwa 1,75 Millionen nicht wesentlich verändert. Etwa ein Drittel von ihnen muss einen Arbeitsausfall von 75 bis 100 Prozent hinnehmen. Die meisten Kurzarbeiter gibt es mit 1,215 Millionen (das ist jeder Dritte) im verarbeitenden Gewerbe.
Betriebe und Verwaltungen meldeten im November 23 781 offene Stellen, 956 weniger als im Oktober. Dem stehen nur 17 911 Arbeitsvermittlungen gegenüber. Mit einer vom Arbeitsamt geförderten beruflichen Fortbildung, Umschulung oder betrieblichen Einarbeitung haben 33 841 Arbeitnehmer begonnen.14 545 Personen wurden in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt. In den Vorruhestand gingen etwa 300 000 Bürger.
In den westlichen Bundesländern verringerte sich die Zahl der Erwerbslosen gegenüber Oktober um 2 300 auf 1,685 Millionen. Damit waren 264 000 oder 14 Prozent weniger offiziell arbeitslos registriert als ein Jahr zuvor. Die Zahl der Kurzarbeiter erhöhte eich um 9 500 auf 48 900. Damit liegt sie um 15 Prozent über dein Vorjahresniveau. Nach Angaben Frankes würden 100 000 Einpendler aus den neuem Bundesländern in der Alt-BRD arbeiten.
Die Verbesserung der Arbeitsmarktlage im Westen geht nach Ansicht des DGB zu Lasten der Entwicklung in Ostdeutschland. Wie DGB-Vorstandsmitglied Michael Geuenich am Mittwoch erklärte, liegt der Grund in den umfangreichen Lieferungen westdeutscher Waren in die neuen Bundesländer, deren eigene Produktion dadurch stark getroffen werde. Dies sei auch ein Grund für die zurückhaltende Investitionstätigkeit westdeutscher Unternehmen in der früheren DDR.
Der DGB verlange eine zügige und deutliche Ausdehnung der öffentlichen Infrastruktur-Investitionen in Ostdeutschland, und zwar wegen ihrer Wirksamkeit auf die Beschäftigung, aber auch als Voraussetzung für mehr private Investitionen. Das Ausbleiben einer öffentlichen" Investitionsoffensive sei trotz aller umfangreichen Finanzhilfen für die Ex-DDR ein "klares finanzpolitisches Versäumnis".
(Neues Deutschland, Do. 06.12.1990)
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GEW Gegen Lehrer "zweiter Klasse"
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(ADN). Gegen eine Festschreibung von Lehrern "zweiter Klasse" im Ostteil der Stadt hat sich der Berliner Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gewandt. In einer Presseerklärung wird darauf verwiesen, dass künftig im geeinten Berlin "eine extrem unterschiedliche Bezahlung bei gleicher Arbeit" erfolgen solle. Die vorgesehene Eingruppierung in die Besoldungsgruppen lasse "klare Regelungen des Einigungsvertrages außer Betracht", nach denen formale Laufbahnvoraussetzungen nicht einziges Kriterium sind.Wenn diese Pläne der Bundesregierung nicht schnell vom Tisch sind, wird es vor allem im geeinten Berlin zu erheblichen sozialen Spannungen kommen", erklärte er GEW-Landesvorsitzende Erhard Laube. "Eine derart pauschale Abqualifizierung der bisherigen Lehrerausbildung der ehemaligen DDR ist ungerechtfertigt."
In der Erklärung wird mitgeteilt, dass Lehrer im Ostteil der Stadt nur etwa ein Viertel der im Westteil üblichen Gehälter erhalten.
(Neues Deutschland, Do. 06.12.1990)
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Unterschriften-Kampagne gegen das "Zwei-Klassen-BAföG"
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Bonn. dpa/BZ Der unionsnahe Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) wendet sich im Westen wie im Osten Deutschlands mit einer Unterschriften-Kampagne gegen das "Zwei-Klassen-BAföG" in den neuen Bundesländern. Obwohl dort die Lebenshaltungskosten für Studenten mittlerweile genauso teuer seien wie im Westen, stünden den Studenten nur 500 Mark statt 540 Mark als Grundbetrag monatlich zu. Lehrbücher seien im Osten teilweise sogar teurer als im Westen.
(Berliner Zeitung, Do. 06.12.1990)
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Die Bezirksverwaltungen in Thüringen sollen bis zum Jahresende aufgelöst werden
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Die drei Bezirksverwaltungen im Bundesland Thüringen sollen bis zum Jahresende aufgelöst werden. Dies teilte Ministerpräsident Josef Duchac (CDU) in Erfurt mit. Bis zum 31. Dezember sollen außerdem die Stellen in den neugeschaffenen Landesministerien besetzt werden. Die drei thüringischen Bezirke sind Erfurt, Gera und Suhl.
ADN
(Berliner Zeitung, Do. 06.12.1990)
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Bündnis 90/Grüne sehe sich nicht als Rechtsnachfolger oder Ersatz der West-Grünen
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Bonn. ddp/BZ Die neu in den Bundestag gewählte Listenvereinigung Bündnis 90/Grüne hat ihre Eigenständigkeit betont.
Wolfgang Ullmann (Demokratie Jetzt) sagte bei der Vorstellung der acht Parlamentarier von Bündnis 90/Grüne gestern in Bonn, das Bündnis sehe sich "nicht als Rechtsnachfolger" oder Ersatz der West-Grünen. Das Programm des Bündnisses der Bürgerbewegungen eigne sich nicht für die Wiedergeburt der West-Grünen.
Wie Ullmann weiter sagte, werden Bündnis 90/Grüne, sollten sie nicht als Fraktion anerkannt werden, auch nicht als Gäste in der SPD-Fraktion mitarbeiten, da man damit seine Eigenständigkeit aufgeben würde. Das Bündnis wolle nun beim Ältestenrat des Bundestages erreichen, als Fraktion anerkannt zu werden, obwohl sie die dazu notwendige Zahl von Abgeordneten nicht aufbringen.
Ebenfalls in Bonn forderte der wirtschaftspolitische Sprecher des Bündnisses, Werner Schulz (Neues Forum), wie auch die FDP, in der ehemaligen DDR niedrigere Steuern zu verlangen, damit sich der Mittelstand entwickeln könne. Das Bündnis halte nach seinen Worten außerdem daran fest, das Recht auf Arbeit und Wohnung im Grundgesetz zu garantieren.
Unterdessen halt der Streit bei den West-Grünen über eine politische Neuorientierung der Partei an. Neue Inhalte und Strukturen, so betonten führende Politiker, seien für die Grünen eine Überlebensfrage. Als schwerwiegenden Fehler wertete es der frühere Bundesvorstandssprecher Ralf Fücks, dass sich die Grünen vor der Bundestagswahl nicht mit den Bürgerbewegungen in der ehemaligen DDR vereinigt hatten.
(Berliner Zeitung, Do. 06.12.1990)
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Abzug der sowjetischen Streitkräfte
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Potsdam. BZ – K. Zimmermann Rund 14 000 Angehörige der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland haben in diesem Jahr bereits die Heimreise in die Sowjetunion angetreten.
Das entsprechen 70 Prozent der laut deutsch-sowjetischen Abkommen aus Deutschland abzuziehenden sowjetischen Militärangehörigen. Wie der Stellvertreter des Oberkommandierenden der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, Generalleutnant Michail Kalinin, nach einem Treffen mit dem Bevollmächtigten für die sowjetischen Truppen und Konversion, Helmut Domke, in Potsdam mitteilte, wurden bisher über 1 000 Panzer, 2 000 Kraftfahrzeuge und weit über 2 000 kampftechnische Geräte und Spezialfahrzeuge abgezogen.
Zu Desertationen bei der Westgruppe angesprochen, dementierte Generalleutnant Kalinin die Zahl von mehreren Hunderten. Lediglich etwas über 80 Desertationen, davon 24 gen Westen und 12 mit der Familie, habe es im laufenden Jahr gegeben.
Zu den Gerüchten um 1 000 tote Soldaten bei der Sowjetarmee sagte Kalinin: "Die Kaserne ist keine zivile Einrichtung, auch kein Gefängnis." Er leugnete jedoch nicht, dass es auch Ausnahmefälle gegeben habe.
(Berliner Zeitung, Do. 06.12.1990)
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Patenschaften für besetzte Häuser in Berlin
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Der Schriftsteller Thomas Brasch, die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley sowie Politiker von PDS, Alternativer Liste und Neuem Forum haben Patenschaften für besetzte Häuser in Berlin übernommen. Damit sollen sie der befürchteten "härteren Gangart" des neuen, von der CDU geführten Senats entgegentreten. Die prominenten Paten sollten "einen Puffer" zwischen dem Senat und den Besetzern schaffen und die Räumung der rund 120 Häuser in Ostberlin verhindern. Der Initiativkreis erhofft sich von den Patenschaften mehr Vermittlungsmöglichkeiten zwischen Senat und Besetzern. Die Besetzer wollen nach eigenen Angaben weiter auf ein Räumungsmoratorium und Verhandlungen über Nutzungsverträge dringen.
AP/BZ
(Berliner Zeitung, Do. 06.12.1990)
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Die französische Regierung verabschiedet den Ratifizierungsentwurf des Zwei-plus-Vier-Vertrags
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Paris. AFP/BZ Die französische Regierung hat gestern den Ratifizierungsentwurf des Zwei-plus-Vier-Vertrags über die Einigung Deutschlands verabschiedet, der dem Parlament in Kürze zugeleitet werden soll. Außenminister Roland Dumas sagte, angesichts der großen Bedeutung des Vertrags wünsche die Regierung, dass das Parlament durch seine breite Zustimmung "sein Vertrauen in das neue Deutschland und die Zukunft der Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen dem französischen und dem deutschen Volk zum Ausdruck" bringe.
(Berliner Zeitung, Do. 06.12.1990)
Nun ist es definitiv: Bis 21. März werden täglich 150 Trabant im Einschichtbetrieb der Sachsenring GmbH Zwickau für Polen produziert. Ebenso sicher scheint, dass 1991 die Trabant-Produktion in Zwickau ausläuft.
Das waren die Stationen
1955 entstand mit dem P 70 das erste Fahrzeug mit einer duroplastbeplankten Karosserie (Duroplast ist eine Mischung aus Baumwolle und Phenolharz). Diese Lösung machte sich damals aufgrund des Mangels von Tiefziehblechen erforderlich. Das Material findet auch beim heutigen Trabant noch Verwendung. 1957 ging der P 50 in Serie. Er hatte einen Zweizylinder-Zweitakt- Ottomotor mit 550 Kubikzentimeter Hubraum, 18 PS. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 90 Kilometer pro Stunde.
1959 erfolgte eine Leistungssteigerung auf 20 PS. 1962 wurde das Fahrzeug zum P 60 mit einem 660-Kubikzentimeter-Motor und 23 PS weiterentwickelt, und es erhielt ein synchronisiertes Getriebe. 1964 bekam der Trabant seine heutige Form und die Bezeichnung Trabant 601. 1969 wurde die Motorleistung noch einmal gesteigert, auf 26 PS. Es folgte eine Vielzahl von Detailverbesserungen, die den Motor, die elektrische Anlage, das Fahrwerk, die Innenausstattung und anderes betrafen: Eine grundsätzliche Erneuerung gab es jedoch nicht mehr. Am 25. Juli 1990 wurde der letzte Trabant mit Zweitaktmotor gefertigt. Insgesamt bauten die Zwickauer etwas mehr als drei Millionen Kleinwagen.
Im Sommer dieses Jahres begann die Fertigung des Viertakters. Gleichzeitig liefen im Werk Zwickau Mosel die ersten VW-Polo vom Band. Der Trabant 1.1 besitzt einen Vierzylinder-Viertakt-Ottomotor auf der Basis einer VW-Lizenz, ein neues Getriebe mit Knüppelschaltung, Schraubenfedern, eine neu entwickelte Vorderachse mit McPershon-Aufhängung und Scheibenbremsen. Er verfügt über erheblich bessere Fahrleistungen als sein Vorgänger.
Mit diesem neuen Pkw wollten die Zwickauer Automobilbauer die Übergangsphase bis zur Aufnahme der Produktion eines völlig neuen Modells schließen, das in Zusammenarbeit mit der Volkswagen AG entstehen soll.
Wunsch der Fahrzeugbauer ist es, die Trabi-Produktion möglichst bis Mitte nächsten Jahres durch weitere kleinere Aufträge für Ostländer auszudehnen. Ab 11. Dezember soll nun erst einmal serienmäßig ein ungeregelter Drei-Wege-Katalysator montiert werden. Die Festlegung des genauen Datums über das endgültige "Aus" der Trabant-Legende behält sich die Treuhand vor. Die ursprünglichen Autobauer-Pläne, den Plaste-Viertakter bis 1993 bauen zu wollen, sind passé. Der Treuhandanstalt ist bis zum 6. Dezember 1990 eine akzeptable Sanierungsvorlage zuzuarbeiten.
Nach Aussage von Dr. Uwe Leidenroth, einem der Geschäftsführer der Sachsenring GmbH, wird sich diese Vorlage auf drei Säulen stützen müssen: Auf die Realisierung der VW-Produktion in Mosel, auf die Herstellung dafür notwendiger Baugruppen, wie zum Beispiel Sitze oder Auspuffanlagen,sowie auf eigene kleinere und mittlere Betriebe als GmbH.
Arbeit für 5 000
In Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat wird nach sozial verträglichen Regelungen gesucht. Bei derzeit 9 000 Beschäftigten bieten die aufgezeigten Varianten maximal für 5 000 Werktätige Arbeit. Für 2 100 existieren Qualifizierungsangebote. Dr. Leidenroth: "Die Mehrheit der in der Produktion Tätigen braucht weniger um den Arbeitsplatz zu bangen.
Wesentlich komplizierter sieht es in der Verwaltung und den Hilfsabteilungen aus." Dazu der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Thomas Hager: "Hier wird ein radikaler Abbau erfolgen müssen. Es wird zu kurzzeitiger Arbeitslosigkeit kommen, ehe es im VW-Werk wieder Arbeit gibt. Das aber wollen unsere Leute endlich ganz genau wissen. Die Geschäftsleitung muss Farbe bekennen." Als Ergebnis vorangegangener Belegschaftsforderungen wird ein Großteil der leitenden Stellen im Sachsenwerk neu ausgeschrieben.
Anita Eichhorn
(Tribüne, Mi. 05.12.1990)
6 000 Mitglieder soll das Neuen Forum haben.
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