Leipzig (lsc). "Stasi-Vergangenheit aufarbeiten!" Unter diesem Motto hatte das Leipziger Bürgerkomitee zur Auflösung des MfS/AfNS eine Mahnwache vor der ehemaligen Stasi-Zentrale "Runde Ecke" organisiert. Dem Aufruf des Komitees, gegen die schleppende Aufarbeitung der Stasi-Akten zu demonstrieren, waren einige hundert Bürgerinnen und Bürgern gefolgt.
In einem Brief an Bundespräsident Richard von Weizsäcker schreibt das Leipziger Bürgerkomitee, seit dem 3. Oktober 1990 gebe es keine juristische und institutionelle Basis für die weitere Auflösung des MfS. Der Präsident wird um "Unterstützung bei der Aufarbeitung der Vergangenheit" gebeten.
(Neue Zeit, Do. 06.12.1990)
Leipzig (dpa) Das Bürgerkomitee Leipzig hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einem offenen Brief um Hilfe bei der Aufarbeitung aller Stasi-Taten gebeten. Die Mitglieder, darunter zahlreiche Bürger, die vor genau einem Jahr am 4. Dezember 1989 während der damaligen Montagsdemonstration die frühere Leipziger Stasi-Behörde besetzt hatten, kritisierten, bisher sei die Tätigkeit des Bürgerkomitees zur Auflösung des ehemaligen MfS nur behindert worden.
(Der Morgen, Mi. 05.12.1990)
Das Bürgerkomitee Leipzig zur Stasi-Aufarbeitung wandte sie am Dienstag in einem offenen Brief an den Bundespräsidenten. Um Genaueres darüber zu erfahren, sprach JW mit Rita Selitrenny vom Bürgerkomitee.
Warum haben die Komitee-Mitglieder diesen Brief verfasst?
De facto war der erste Jahrestag der Erstürmung der Stasi-Zentrale in Leipzig von 4. 12. 1989 der Anlass. An diesem Tag wollten wir auf die herrschenden Missstände in der Sonderbehörde zur Aufklärung der Stasi-Vergangenheit aufmerksam machen, die unsere Arbeit behindern.
An welche konkreten Umstände denken Sie dabei?
Es gibt keine juristischen und materiellen Grundlagen für die Arbeit der Bürgerkomitees und der Sonderbehörde zur Stasi-Auflösung.
Das führte dazu, dass nun allen "hauptamtlichen" ostdeutschen Mitarbeitern dieser Einrichtungen seit Oktober kein Gehalt gezahlt wird, denn sie müssen sich einer Untersuchung ihrer Vergangenheit unterziehen, obwohl das schon mehrmals geschehen ist. Erst danach wird entschieden, wer fest an gestellt wird. (Bei den westdeutschen Mitarbeitern wird diese Verfahrensweise übrigens nicht angewendet.) Andererseits sind seit zwei Monaten ehemalige Stasi-Offiziere im Bundesinnenministerium beschäftigt.
Wo gibt es denn juristische Hindernisse?
Ein Beispiel: Im Juni hat sich für alle Bürgerkomitees eine Archivgruppe zur Aufarbeitung der umfangreichen Aktenberge gebildet. Aber angefordertes Material wurde nicht zur Verfügung gestellt, da es darüber keine rechtlichen Grundlagen gibt. Dabei haben wir uns nur auf Schriftgut allgemeiner Natur konzentriert, wollten gar kein personenbezogenes Material.
Womit beschäftigen Sie sich denn dann?
Im Moment sind wir dabei, Aktensäcke von einer Etage in die andere zu schleppen . . .
Interview: Volker Schwandt
(Junge Welt, Do. 06.12.1990)