In der Wochenzeitung "Die Zeit" wird mehreren Personen die Fragen gestellt:
"McDonald's eröffnet 1990 zwei Schnellrestaurants in Moskau. Hat der Kapitalismus den Sozialismus besiegt?"
"Was wird dieser Sieg die Welt kosten?"
"Was kommt danach?"
Hermann Kant antwortet:
McDonald's, zugegeben, das ist hart, zumal der Hamburger als fleischgewordenes Gegenteil von Glasnost gilt. Aber von Sieg wird man erst reden können, wenn dieser andere Hamburger, Ihr Wolfram Siebeck, seine ständige Kolumne in der Prawda hat.
Da Sie ab der zweiten Frage ständig den Spaß beiseite zu lassen scheinen, will ich mich ähnlich verhalten, aber ich möchte Ihre Erkundigung in den angemessenen Konjunktiv übersetzen: Was würde der Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus die Welt kosten?
Nun, allen Sozialismus, den es gibt, und für längere Zeit auch jegliche Hoffnung, es werde gegen den Kapitalismus ein Kraut gewachsen sein. Der Sieg des Kapitalismus würde der Welt für eine historische Weile Kapitalismus pur bescheren, einen Zustand, in dem selbst der täppische Charme des Kohlismus als subversiv gelten müsste.
Und dass wir es nicht vergessen: Zunächst würde ein solcher Sieg die Welt ihre derzeitige Verfassung kosten, die sie wohl für Frieden hält. Angesichts der Verteilungskämpfe, die dann drohten, hätten wir es gegenwärtig mit einer pastoralen Idylle auf Erden zu tun.
Denn was jetzt als Sozialismus vorhanden ist ("real existiert", sagt man wohl), stünde dann ja zur Disposition und müsste einen Besitzer finden. Wie es so geht, würden sich mehrere dafür halten, und schon hätten sie Streit. Das Monopolistische, das Syndikatische, das Mafiose, Pinochetterie und Schönhuberei, MBB und NSDAP, ganz alltäglich ordentliche Unternehmer ebenso wie Dow Chemical und Mother Blue würden die Roten beerben wollen, und derartiger Ehrgeiz stiftet Händel.
Eine These, mit der ich mich immer so beliebt mache, lautet: Wir haben uns den anderen weggenommen, sie wollen uns wiederhaben. - Diverse Leute wollen uns wiederhaben, und wo wir nicht mehr wären, wollten viele von Ihnen hin. Gälte "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" nicht, träte "Kapitalier aller Länder, bereichert euch!" in Geltung, und alle bisherige Geschichte von Klassenkämpfen wäre vergleichsweise besonnte Vergangenheit.
Oder glaubt einer, wenn der Sozialismus abgeschafft wäre, würden sich die Kapitalisten wie Sozialisten benehmen? Würden, weil es ja einer machen müßte, der Ausbeutung steuern, die Arbeitszeit in Grenzen halten, gleichen Lohn für gleiche Arbeit fordern und Arbeit für alle? Glaubt jemand, die Abschaffung des staatlich organisierten Sozialismus würde das Kapital zu etwas anderem als zur Abschaffung von jeglichem Sozialismus ermuntern? Glaubt wer, das rolling back machte um schwedische oder afrikanische Sozialismen einen Bogen und käme zur Ruhe, ehe die Station Haymarket wieder erreicht wäre? Das hieße, die Selbstbescheidung eines siegenden Kapitalismus für möglich halten, doch sollte unser Wunderglaube seine Grenzen haben. - Mag ja sein, es gibt ein Gemeinsames Europäisches Haus, in dem es nicht zugeht wie auf Zypern; mag sein, Wałęsa wird sich nicht an der Quadratur des Runden Tisches versuchen; mag sein, die CIA verbrennt ihre Landkarten von Afghanistan; mag sein, von Albanien lernen heißt siegen lernen - mag alles sein, aber am Radikalismus des Kapitalismus sollte besser nicht gezweifelt werden.
Die ZEIT fragt: "Was kommt danach?", und ich, der ich so viele Gewissheiten der ZEIT nicht teilen mag, wähle den Konjunktiv: Was käme danach? - Die Antwort steht seit langem geschrieben, einer dieser Altsozialisten hat sie gesagt, er hat von Barbarei gesprochen.
Doch vorher werden wir uns - man lese den Indikativ - noch ein bisschen wehren.