Demonstrationen und Kundgebungen im September 1989


Mo. 04.09.
In Leipzig versammeln sich am Nachmittag etwa 1 200 Menschen in der Nikolaikirche zum Friedensgebet:

"(...) In seiner Andacht vermied Superintendent Magirius allzu harsche Kritik an der Staatsführung der DDR. Er beließ es bei der Anmerkung, daß 'wir, die wir hier leben und bleiben wollen, darunter leiden, dass nicht gemeinsam nach den Wurzeln gesucht wird, warum Leute das Land verlassen'.

Den sehnlichsten Wunsch vieler GottesdienstbesucherInnen hatten einige in ein Buch am Eingang geschrieben: 'Wir halten durch bis zum Tag der Ausreise'. Zwei Personen beschränkten sich auf eine neue Kurzformel: '4.9.89, 9. Woche'.

Draußen dann versuchten einige Oppositionelle, die sich nicht zu den 'Ausreisern' zählen, einen Demonstrationszug Richtung Marktplatz zu formieren. Blitzschnell entrollten sie Transparente mit den Forderungen: 'Versammlungsfreiheit - Vereinigungsfreiheit', 'Für ein offenes Land mit offenen Menschen- und Reisefreiheit statt Massenflucht'. Noch bevor Stasi-Beamte den Demonstranten die Transparente entreißen konnten, hatten Fotografen und Kameraleute ihre Bilder im Kasten.

Schweigend marschierte die erste Reihe los. Aus den umliegenden Straßen rückten Polizeiketten an. Alles sah danach aus, dass die 800 bis 1 000 Menschen eingekesselt werden sollten. Aber plötzlich klafft eine Lücke im Zug. Hinten blieben Menschen stehen und riefen: 'Wir wollen raus!' Die Spannung war perfekt. Hilflos und wütend gaben die vorderen Demonstranten ihren Versuch, durch die Innenstadt zu marschieren, auf; die meisten gingen frustriert nach Hause. Einige Aktivisten waren aus Furcht, 'vor den Karren der Ausreiser gespannt' zu werden, erst gar nicht zur Demo gekommen.

Die Zurückgebliebenen wurden nicht müde, sich vor den Kameras zusammenzudrängen und die Hände zum Victoryzeichen emporzurecken. Vereinzelte Parolen zielten auf Veränderungen in der DDR, doch die Stimmung brachte eine Frau auf den Punkt: 'Die einzige Veränderung für mich besteht darin, dass ich ausreisen kann.' Erst als die Fernsehkameras nach zwei Stunden abzogen und auch der letzte Reporter genug geknipst hatte, löste sich die Versammlung allmählich auf. Unter Beachtung der roten Verkehrsampeln zogen schließlich gegen 20 Uhr 200 Menschen zum Bahnhof und forderten dort 'freie Fahrt nach Gießen'. (...)"

Do. 07.09.
Wie an jeden 7. eines Monats wird gegen die Fälschung der Kommunalwahl vom 07.05.1989 protestiert. Auf dem Alexanderplatz in Berlin kommt es deshalb zu Festnahmen.

So. 10.09.
Internationalen Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und Krieg

Anlässlich des "Internationalen Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und Krieg" findet auf dem Bebelplatz in Berlin eine Kundgebung statt. Die Antifa-Gruppe Potsdam versucht an der Kundgebung in Potsdam auf dem Platz der Einheit mit eigenen Transparenten teilzunehmen. Es wird versucht ein Transparent mit der Aufschrift "Warnung! Neonazis auch in der DDR" zu zeigen. Was durch zerreißen in drei Teile verhindert wird. Ein Transparent mit der Aufschrift "Wehret den Anfängen" wird bei einer zugeführten Person gefunden und dem MfS übergeben. Auf dem Weg zur Kundgebung wird eine Person festgenommen, die ein Plakat mit einem zerschlagenen Hakenkreuz trägt.

Mo. 25.09.
In Leipzig demonstrieren nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche 5 000 bis 8 000 Menschen. Sie fordern Reformen in der DDR und Zulassung des Neuen Forum. Die Ausreisewilligen stellen zum ersten Mal eine verschwindende Minderheit der Demonstranten. Ein knappes Dutzend Teilnehmer wird vorläufig festgenommen.

Alle Angaben sind Auszüge aus den Chronikseiten September 1989 www.ddr89.de. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.

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