Mo. 11. September 1989


Schon in der Nacht machen sich DDR-Bürger mit Autos zur Ausreise auf. Ab 13 Uhr starten Busse von Budapest 35 und vom Lager Zanka 30 des österreichischen Roten Kreuzes.

Die Grenzöffnung gilt nur für DDR-Bürger und dies auch nur in eine Richtung. DDR-Bürger, die aus Österreich eventuell zurückwollen, dürften es nicht.

Nach dem Montagsgebet in der Nikolaikirche wird in Leipzig erneut demonstriert. Der Platz vor der Nikolaikirche ist abgesperrt. Es kommt zu 104 Festnahmen, die teilweise bis Oktober andauern. Es werden Ordnungsstrafen verhängt.

In Berlin führt der Friedrichsfelder Friedenskreis eine Diskussionsveranstaltung zu den Veränderungen in Ungarn durch.

Nach einer Meldung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik befinden sich 434 Ausreisewillige DDR-Bürger in der Prager BRD-Botschaft.

Auf dem CDU-Parteitag in Bremen sagt Bundeskanzler Helmut Kohl u. a. :

"Deutschlandpolitik heißt für uns immer: Freiheit und Einheit für alle Deutschen. Viele - auch von uns - haben jahrzehntelang darüber geredet. Viele haben daran gezweifelt. Viele sagten: 'Das hat doch mit realistischer Politik überhaupt nichts mehr zu tun. Das mag eine Vision sein, aber realistisch ist sie nicht.' Dürfen wir heute nicht feststellen, dass wir der Verwirklichung dieses Ziels nähergekommen sind? Vorausgesetzt, wir setzen die Prioritäten richtig und werfen bestimmte Fragen nicht zum falschen Zeitpunkt auf. Freiheit für alle Deutschen heißt: Verwirklichung der Menschenrechte und Selbstbestimmung. Liebe Freunde, dafür gibt es nur eine realistische Chance, wenn dieser Prozess auch in der Sowjetunion und auch in den anderen sozialistischen Staaten in Gang kommt und sich durchsetzt. Ich glaube, wir stehen am Beginn eines solchen historischen Prozesses. Wir müssen jetzt fähig sein, alle Kräfte zu mobilisieren, um diese Entwicklung voranzutreiben. Liebe Freunde, wer Freiheit, wer die Menschenrechte genießt, wer über seine Zukunft frei und selbst bestimmen kann, der kann auch frei und selbst über die Einheit entscheiden."
(37. Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union Deutschlands Niederschrift Bremen, 11.-13. September 1989)

Der Vorsitzende der Exil-CDU, Siegfried Dübel, sagt auf dem Parteitag:

"Bei aller Freude darüber, dass die deutsche Frage wieder in den Mittelpunkt der internationalen Politik rückt, müssen wir uns ernsthaft fragen: wie real sind denn die Chancen? Ausgangspunkt unserer Überlegungen muss die Erkenntnis sein, dass die Reformpolitik Gorbatschows diese Entwicklung eingeleitet hat, die die Chancen zur Lösung der deutschen Frage sichtbar werden lässt. Deshalb muss oberste Maxime sein und bleiben: diese Politik darf nicht gefährdet werden, ihr darf nicht der Boden entzogen werden. Sie muss behutsam und umsichtig fortgesetzt werden.

(...)

Deshalb muss im Rahmen der Deutschlandpolitik die Forderung nach Reformen in der DDR sachlich und zeitlich Vorrang haben vor allen anderen Überlegungen. Nur eine Reformpolitik nach dem Beispiel Polens und Ungarns oder mindestens dem der Sowjetunion kann den Menschen in der DDR wieder Hoffnung geben, so dass sie in ihrer Heimat, die ja auch unser aller Heimat ist, meine Freunde, bleiben können und bleiben wollen.

Deshalb müssen die beiden Teilstaaten Bundesrepublik Deutschland und reformierte DDR auch noch eine gewisse Zeit neben- und miteinander existieren, bis der internationale Abrüstungs- und Entspannungsprozess soweit gediehen ist, dass sich die Blöcke in einem gemeinsamen europäischen Haus auflösen. Jeder Versuch der DDR - auch gerade einer reformierten DDR -, einseitig aus dem Warschauer Pakt auszutreten, würde unweigerlich den Reformprozess zerstören und damit gerade auch die erstrebte Wiedervereinigung unmöglich machen. Jeder Versuch, Deutschland durch Neutralisierung wiederzuvereinigen, machte den Westen verteidigungsunfähig und würde das in 40 Jahren gewachsene Vertrauen der westlichen Völker in die Deutschen zerstören."
(37. Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union Deutschlands Niederschrift Bremen, 11.-13. September 1989)

Δ nach oben