"Wir freuen uns auf den 3. Oktober, wenn die Teilung unseres Vaterlandes vorüber ist. Ein Traum geht dann in Erfüllung. Wenn man sich nicht auf Deutschland freut, ist alles zu spät." Das sagte CDU-Generalsekretär Volker Rühe, der als Gast am zweiten Landesparteitag der CDU Mecklenburg und Vorpommern am Sonnabend im Plenarsaal des Schweriner Schlosses teilnahm. Er richtete zugleich scharfe Angriffe gegen Oskar Lafontaine.
Ministerpräsident Lothar de Maizière, ebenfalls Gast auf dem Landesparteitag, erinnerte daran, dass seine Regierung erfolgreich daran festgehalten habe, im Einigungsvertrag die Eigentumsfragen zu klaren, die Ergebnisse der Bodenreform festzuschreiben und den Paragraphen 218 nicht einzuführen. Er sagte, dass sich die Regierung auch erfolgreich für eine gleichberechtigte Finanzierung der künftigen fünf Länder auf dem Gebiet der Noch-DDR einsetzte. Er dankte dem Landesvorsitzenden Dr. Günther Krause für seinen Einsatz als Parlamentarischer Staatssekretär in den letzten Monaten, der vieles abgefordert habe.
"In der Wirtschaftsform, an deren Anfang wir stehen, stehen Arbeitsplätze und Arbeitsleistungen unter gänzlich anderen Vorzeichen, als wir alle es gewohnt waren", erklärte der Premier. "Die Vollbeschäftigung, die wir hatten, war ein wirkungsvoller Propagandatrick. Mit ihm wurde eine verdeckte Arbeitslosenquote von schätzungsweise 30 Prozent kaschiert, und - was noch weit schlimmer ist - mit ihm wurde die mögliche Produktivität so lahmgelegt, dass sie sich jetzt nur noch schwer entfalten kann."
Auf den jetzigen Zustand sei das ganze Land psychisch nicht vorbereitet gewesen. Das nutze nun die Linke, um sich als soziales Gewissen zu profilieren. "Diesen Trick müssen wir durch Aufdecken der Ursachen entlarven", sagte der CDU-Vorsitzende. "Wir müssen verhindern, dass ein Mann aus dem Saarland und seine Helfer bei uns in Berlin ein Chaos herbeireden, nur um recht zu behalten und uns das obendrein noch anzuhängen." Das sei unverantwortlich und müsse als solches kenntlich gemacht werden.
Arbeitslosigkeit stehe letztlich im Widerspruch zum Erscheinungsbild des Landes - zu dem Berg an Arbeit, den der Umbau und Aufbau überall erfordere. Sie sei ein Erscheinungsbild des Übergangs und werde desto schneller überwunden, je schneller es gelinge, Dampf aufzumachen.
Dr. Krause hatte in seinen Ausführungen nochmals zu Fragen der Landwirtschaft, der Förderung der Infrastruktur und zur Umstrukturierung der Großunternehmen Stellung genommen. An finanziellen Mitteln fehle es nicht, jedoch erreiche bisher das Geld die vorgesehenen Empfänger nicht. Er zeigte sich überzeugt, dass die jüngst eingeleiteten Maßnahmen der Regierung schon in den nächsten Wochen zu einer Verbesserung führen können. Bezug nehmend auf das Land Mecklenburg und Vorpommern äußerte er, es habe eine gute Chance unter den künftigen 16 Bundesländern. Er erinnerte daran, dass auch Bayern früher Probleme bei der Infrastruktur hatte und sie löste.
Auf dem zweiten CDU-Landesparteitag schlossen sich die Landesverbände der DBD und des Demokratischen Aufbruchs der CDU an. Das bringt in die Landes-CDU einen Mitgliederzuwachs von etwa 5 500.
Eine Überraschung gab es bei der Wahl des Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen. Bis zum Sonnabendmittag galt die Wahl von Dr. Georg Diederich aus Schwerin als sicher. Er war bis dahin einziger Kandidat und genoss auch das Vertrauen von Dr. Krause. In der Debatte kam jedoch nach der Vorstellung von Dr. Diederich Misstrauen unter den Delegierten auf. Dr. Alfred Gomolka aus Greifswald wurde als zweiter Kandidat aufgestellt. In der geheimen Abstimmung entfielen auf ihn dann 125 von 192 abgegebenen Delegiertenstimmen. Der neue Spitzenkandidat gehört der CDU mit einer Unterbrechung von 1968 bis 1971 seit 1960 an und war von 1979 bis 1984 in Greifswald Ratsmitglied für Umweltschutz/Wasserwirtschaft bzw. Wohnungspolitik. Er arbeitet jetzt als Dozent für physische Geographie in Greifswald.
Am Rande des Landesparteitages sagte Parteivorsitzender de Maizière, der Haushalt und die Geldmittel der einzelnen Ministerien in der DDR seien im dritten Quartal und damit bis zur deutschen Vereinigung gesichert. Er kritisierte erneut Ex-Finanzminister Walter Romberg (SPD), der mit seinen Forderungen nach einem Nachtragshaushalt "unverantwortlich gehandelt" habe.
Ebenfalls am Rande des Parteitages betonte Staatssekretär Krause, die Regierung habe Sorge, ob die für die gewerbliche Wirtschaft vorgesehenen rund 14 Milliarden Mark in diesem Jahr "überhaupt noch ausgegeben" werden könnten. Vorrangiges Ziel der Regierung sei nun die effektive Unterstützung der in Schwierigkeiten geratenen Industriezweige. "Wir sind jetzt bemüht, die Geldzirkulation zu beleben", sagte er und verwies auf im ersten Staatsvertrag vereinbarte Mittel für Strukturanpassung in Höhe von zwölf Milliarden Mark, von denen unter Romberg erst 100 Millionen Mark verteilt worden seien.
Nach seinen politischen Plänen befragt, erwiderte Dr. Krause - zuvor ebenfalls als Spitzenkandidat im Gespräch -, er stelle sich einer anderen Wahl; sie fände am 2. Dezember statt. Man müsse daran denken, dass es zukünftig ein deutsches Parlament gibt mit 144 Sitzen für ehemalige DDR-Bürger. Auch dieses Problem müsse bedacht werden.
Lothar de Maizière bekräftigte den Gedanken, dass auch in einem zukünftigen gesamtdeutschen Parlament solche Bürger vertreten sein müssen, die auch in der jetzigen Bundesrepublik Akzeptanz haben, um dann für ihr Land wirken zu können. Er selbst, so war zu hören, kandidiere ebenfalls in einem Wahlkreis in Brandenburg oder Berlin.
(Neue Zeit, Mo. 27.08.1990)