Berlin. BZ/dpa/ADN Traktoren und Mähdrescher auf einer Kundgebung von mehreren tausend DDR-Bauern vor dem Berliner Reichstag und ein gleichzeitiger "Sommerschlussverkauf" von DDR-Agrarprodukten kennzeichneten den gestrigen Protesttag gegen die Landwirtschaftspolitik der DDR-Regierung. Die Aktionen sollen heute in der DDR fortgesetzt werden.
Die Chefin der DDR-Gewerkschaft Gartenbau, Land und Forst, Marianne Sandig, sagte, das Kabinett von Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) habe die Landwirtschaft in der DDR an den Rand "des Ruins" geführt. Die angekündigten Unterstützungen der DDR-Bauern in Höhe von 5,3 Milliarden Mark reichten keinesfalls aus, um die Liquidität der Betriebe zu sichern. Notwendig wären neun Milliarden Mark in den nächsten Jahren. Die Gewerkschafterin hielt an der Forderung fest, die Löhne der DDR-Bauern in den Produktionsgenossenschaften und volkseigenen Gütern dem bundesdeutschen Niveau anzugleichen. Kurzfristig müsse ein Ausgleichsbetrag von 400 Mark gezahlt werden.
Der Vorsitzende der entsprechenden BRD-Gewerkschaft, Günter Lappas, berichtete, dass für DDR-Landwirte eine Vorruhestandsregelung geschaffen werden soll. Danach könnten Bauern mit 57 Jahren in Ruhestand gehen.
Am Rande der Kundgebung bildeten sich lange Schlangen, vor allem Westberliner Hausfrauen, die vom "Sommerschlussverkauf" der DDR-Bauern profitieren wollten. Fruchtsäfte aus Werder, Kartoffeln aus Müncheberg oder Wurstwaren aus der Ostberliner Leninallee fanden rege Nachfrage. Selbst die Staatsdiener aus dem Reichstag gönnten sich eine Pause, nutzten diese vielleicht einmalige Gelegenheit und kehrten mit vollen Taschen zum Dienst zurück.
(Berliner Zeitung, Mi. 15.08.1990)
"Dem deutschen Volke sei verkündet: Die Arbeiterinnen und Arbeiter des grünen Bereiches haben die Schnauze gestrichen voll". Dieser Auftakt zur gestrigen Protestveranstaltung der beiden grünen Gewerkschaften war zwar drastisch drückte die Gefühle der rund 4 000 DDR-Bauern, die sich vor dem ehrwürdigen Reichstag versammelt hatten, aber sehr treffend aus.
Günther Lappas. Chef der Gewerkschaft Gartenbau, Land und Forstwirtschaft im DGB, ging in seiner Rede sogar noch weiter. Er wart der DDR Regierung Tatenlosigkeit und Inkompetenz vor. Die Koalition in Bonn mahnte er, ihr Versprechen, dass die schnelle Vereinigung keinem schaden werde, einzulösen. Lappas forderte finanzielle Mittel für die Landwirtschaftsbetriebe, damit diese wenigstens Lohn zahlen können.
Wenn schon der Abbau von Arbeitsplätzen nötig sei, so müsse dies mit sozialer Absicherung für ältere Kollegen und Umschulungsmaßnahmen für jüngere verbunden sein. Kritikern an Tarifforderungen der Gewerkschaft hielt er entgegen, Ostgehalt und Westpreise passten nicht zusammen. Gegenüber dem "LANDBLATT" berichtete Lappas, dass im Aufsichtsrat der Treuhandgesellschaft für die Landwirtschaft drei Vertreter seiner Gewerkschaft mitarbeiten werden.
Auch die Vorsitzende der Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst der DDR richtete schwere Vorwürfe gegen das Kabinett von de Maizière. Zu späte oder nicht zu Ende gedachte Entscheidungen von dieser Seite hatten die Betriebe dieses Zweiges an den Rand des Ruins gebracht. Die Regierung beim Wort nehmend, forderte Marianne Sandig für alle Arbeitnehmer die Zahlung eines Ausgleiches von mindestens 400 DM. Das sei keine Lohnerhöhung, sondern nur eine Anpassung für Ausfälle.
Bereits im Vorfeld der Kundgebung hatten Bauern aus vielen Landesteilen ihre Produkte zu Billigpreisen angeboten. Viele Berliner nutzten diese Gelegenheit, um bei dieser Art von Sommerschlussverkauf manches Schnepperchen zu machen. Sechs Eier gab's für 1 DM, 20 Rosen kosteten 5 DM und Suppenhühner waren für 4 Marker zu haben. Schlangen bildeten sich vor dem Stand des Betriebes Schlachtbearbeitung, -verarbeitung (SBV) Berlin. Salami ab 12 DM das Stuck war der absolute Renner. Doch mehr als ein Hilferuf konnte diese für die Betriebe nicht sein. Ein Hilferuf, der heute auf dem Alexanderplatz bei der Protestdemo der Agrarverbände erneut lautstark zu hören sein wird.
(Deutsches Landblatt, Mi. 15.08.1990)