Erklärung der Opposition zum Wahlbündnis 90

Vertreterinnen und Vertreter der am runden Tisch verhandelnden Parteien und Bürgerbewegungen DA, DJ, Initiative Frieden und Menschenrechte, NF, SDP, VL erneuern den am 4. Oktober 1989 gefassten Beschluss zum Wahlbündnis 90, Sie bekräftigen den Willen, zu den Volkskammerwahlen am 6. Mai 1990 gemeinsam anzutreten, um die bisher regierenden politischen Kräfte abzulösen. Sie vereinbarten, die bestehenden Kontakte auszubauen und baldmöglichst den Wählerinnen und Wählern ihr gemeinsames Wahlprogramm und gemeinsame Kandidaten vorzustellen.

Thomas Sell, DA
Konrad Weiß, DJ
Reinhard Weißhuhn, Initiative Frieden und Menschenrechte
Eberhard Seidel, NF
Bernd Gehrke, VL

Berlin, 3. Jan. 1990


Nach Auskunft von Bernd Gehrke wurde die Erklärung im Anschluss an eine Sitzung des Runden Tisches verfasst. Anlass war die Befürchtung, "alte SED-Kader" würden wieder in Machtpositionen gelangen.

Martin Gutzeit weigerte sich die Gemeinsame Erklärung der Kontaktgruppe zu unterschreiben. Grund war das Bestreben, die SDP als eigenständige Kraft zu profilieren. Ibrahim Böhme unterschrieb die Erklärung, was nachträglich vom Vorstand gebilligt wurde. Auf Gutzeits Intervention hin wurde der Vorstandsbeschluss revidiert.

Die Erklärung zum Wahlbündnis 90 hatte nur das kurze Leben von ein bis anderthalb Wochen. Zu stark waren die Vorbehalte gegen dieses Wahlbündnisses an der Basis der jeweiligen Organisationen. Zu weit lagen die politischen Ansichten der Menschen in den beteiligten Organisationen auseinander. Der SED-Kit reichte nicht mehr aus. Bernd Gehrke von der Vereinigte Linke VL zog als erster am 07. Januar seine Unterschrift unter die Erklärung zurück. Am 08.01. gab Bernd Gehrke auf der 6. Sitzung des Zentralen Runden Tisches dazu eine persönliche Erklärung ab.

Der Demokratische Aufbruch nutzte nach dem Absprung der SPD die Gelegenheit und zog nach. Auch bei ihm gab es inzwischen Überlegungen sich anders zu orientieren.

Auf der Delegiertenkonferenz der SDP, ab da SPD, vom 12. bis 14.01.1990 sagte Steffen Reiche zum Wahlbündnis: "Wollen wir, dass nur Parteien ins Parlament kommen? Wenn wir das wollen, haben wir eine wichtige Entscheidung getroffen. Ich bin für ein Wahlbündnis auf dem Boden der SPD".

Am 28. Dezember 1989 wurde das sowjetische Ehrenmahl in Berlin-Treptow mit antisowjetischen und nationalistischen Parolen beschmiert. Daraufhin rief die SED-PDS und andere Organisationen zu einer Protestkundgebung am 03.01.1990 am Ehrenmal auf. Zu der Kundgebung kamen ca. 250 000 Menschen. Dass die SED-PDS zu diesem Zeitpunkt so viele Menschen auf die Straße bringen konnte, hatte damals viele überrascht.

Die SED-PDS versuchte das Politikfeld des Antifaschismus zu besetzen. Der Kampf gegen den Faschismus betrachtete sie als eine ihrer Kernkompetenzen. Die politischen Gegner wollten die Besetzung eines Politikfeldes durch die SED-PDS aber nicht hinnehmen. Der SED-PDS wurde von Teilen vorgeworfen, sie übertreibe die Nazigefahr. Oder die Schmierereien am Ehrenmahl stammen vom MfS.

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