Zwei Fragen an Bärbel Bohley

Die ANDERE: Bärbel, wie beurteilst Du den Auszug der Minderheitenfraktion aus der Gründungsversammlung des NEUEN FORUM

B. Bohley: Das war meiner Meinung nach ein symbolischer Akt, der an der falschen Stelle kam. An diesem Punkt hätte erst die Debatte geführt werden müssen, die dann hinter verschlossener Tür stattfand. Bis dahin war nämlich der Dissens, der die soziale Orientierung des NEUEN FORUM betraf, überhaupt nicht formuliert worden. Die Minderheit verlangte, dass die Probleme aus dem Blickwinkel der Arbeitenden gesehen werden. Zum Beispiel muss man ihnen die Angst vor der Umstrukturierung nehmen. Sie müssen das Gefühl haben, da kümmert sich jemand um ihre Belange. Aber im Saal lief die Stimmung öfter darauf hinaus, dass die Effizienz der Wirtschaft das Wichtigste für das NEUE FORUM sei. Zum Beispiel kamen mehrere Anträge, das Recht auf Arbeit zu streichen. Ich hatte das Gefühl, dass wir Forderungen wie dieses Recht auf Arbeit zwar bestätigt haben, aber nicht wirklich bereit sind, dafür zu kämpfen. Diese Stimmung konnten die, die auszogen, nicht ertragen. Sie gingen, obwohl es vielleicht falsch war. Dieser Entschluss kam auch darum zustande, weil schon lange so viele Dinge nicht ausgesprochen worden waren. Nicht erst seit heute. Immer wieder wurden Scheindebatten geführt, z. B. um Parteigründung oder um Geschäftsordnungen, statt dass darüber diskutiert wurde, wie wir aus unserer Misere im Land herauskommen.

Die ANDERE: Wie, glaubst Du, geht es jetzt mit den zwei Fraktionen weiter?

B. Bohley: Zwei Fraktionen sind zwei Positionen, die müssen in eine produktive Auseinandersetzung kommen. Das erste Mal verwirklicht sich hier für mich ein Stück "Aufbruch '89". Zwei Positionen sind kein Verlust, sondern ein Gewinn, weil endlich eine ehrliche Auseinandersetzung beginnen kann. Die Zukunft wird von zwei Seiten angegangen - und nicht im Einheitsmeinungskleister erstickt.

Die Gespräche führten: Katharina Kaaden, Anette Leo, Julia Michelis, Regina Mönch

Die Andere Zeitung Berlin, Nr. 2

[Neben Bärbel Bohley wurden auch noch andere Personen befragt.]

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