KOMMENTAR

Angst vor dem Schwarzen Mann?

In den letzten Tagen wurde in den Basisgruppen des NEUEN FORUM heftig über Mehrheitswahlrecht oder Proporzsystem in den Kommunalparlamenten diskutiert. Beides hat seine Vor- und Nachteile. In der Volkskammer wurde das Mehrheitswahlrecht favorisiert. Damit bleibt der letzte Rest von Basisdemokratie auf der Strecke. Bei der Besetzung der Gemeinde- und Stadtbezirksratsposten werden die Parteien und politischen Gruppierungen nicht mehr entsprechend des Wählerwillens beteiligt, sondern die stärkste politische Gruppierung wird alle Ämter besetzen. Das bedeutet die Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung. In den Gemeinden müssen alle politischen Gruppierungen entsprechend dem Willen der Wähler an der Lösung der Sachprobleme beteiligt sein. Diese kommunale Ebene ist der einzige Raum, in dem sich Vertreter aller Parteien und Gruppierungen gemeinsam den Sachproblemen stellen und sie zu lösen versuchen. Wer von starken Kornrunen spricht, muss daran interessiert sein, dass dort die Bürgerschaft zum Regieren auch aber politisches Blockdenken hinaus fähig ist. Mit dem politischen Mehrheitswahlrecht werden wieder Parteidisziplin und Ideologie auf verschiedenen Ebenen das Modell des Verhandelns und Konsensfindens im Interesse der Lösung der Sachprobleme überwuchern. Das Modell des Befehlens und Gehorchens, der Geheimniskrämerei und der Ausgrenzung wird beibehalten.

Im Westen hat man erkannt, dass man dem Wählerwillen durch das Proporzsystem gerecht wird Sonst können wir ja gar nicht schnell genug die DDR nach westlichem Muster abbauen. Warum gehen hier die großen Parteien im Alleingang? Souveränität ist es nicht. Die Angst vor dem Schwarzen Mann, der bei uns PDS heißt, treibt sie um. Dass damit der Wählerwille wieder in den Dreck getreten wird, scheint sie nicht zu stören. Nur dieses eine Mal Mehrheitswahlrecht, das nächste Mal können wir ja wieder mit dem Proporzsystem arbeiten. Die Angst ist so groß, dass dabei alle Logik unter den Tisch fällt. Denn selbstverständlich muss der Bürgermeister, den die PDS vorschlägt, erst gewählt werden. Die vorgeschlagene Partei ist gezwungen, einen Kandidaten aufzustellen, den die Mehrheit akzeptiert.

Ein Grund, der zur Ablehnung des Proporzsystems führte, ist der Wunsch, den alten Filz abzubauen. Dies aber wird nicht passieren, wenn die SPD und die CDU eine Koalition eingehen. Da wird in den alten Filz nur neuer Filz eingearbeitet. Die alte CDU und die neue SPD verfilzen sich miteinander.

Die PDS, die immerhin in vier Stadtbezirken Berlins die stärkste Partei ist, soll ausgegrenzt werden und keine Kandidaten für Ämter aufstellen dürfen. Die Leute vom Bündnis 90, die mit ihrer Fachkompetenz vor den Ratstüren stehen und darauf aus sind, Politik mitzugestalten und ihre Kenntnisse einzubringen, sollen in die Koalition SPD/CDU hineingepresst werden. Entweder ihr borgt uns euren Heiligenschein, oder ihr bleibt draußen stehen - heißt die Devise. So aber entsteht nichts Neues. Das gleiche alte Geistesgebäude, nur der Hauptmieter hat gewechselt. Der heißt nicht mehr SED, sondern SPD.

Demokratie ist mehr als die Freiheit des einzelnen, auch als einzelner Parteien. Wagen wir Demokratie an den Tischen in den Kommunen und diskutieren wir dort gemeinsam die anstehenden Sachprobleme nur dann nehmen wir den Wählerwillen ernst.

BÄRBEL BOHLEY

Die Andere Zeitung Berlin, Nr. 18, Mi. 23.05.1990

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