Gotha, den 14.12.1989

Gründungsaufruf
zur Gründung einer Frauenpartei


Die Zeit ist reif, dass Frauen sich autonom in der Politik artikulieren.

Die de Jure bestehende Gleichberechtigung hat sich In der Praxis als unzureichend erwiesen.

Es ist unser Ziel, uns als Frauen für Frauen einzusetzen.

Wir wollen Selbstbestimmung für Frauen statt Fremdbestimmung!

Wir wollen archaische, patriarchalische Unrechtsstrukturen durch bewusste Solidarität unter Frauen überwinden.

Es geht uns darum, frauen- und familienfreundliche Strukturen in unserem Land zu schaffen. Dazu ist viel grundlegendes Umdenken notwendig. Die gegenwärtige Veränderung eines Systems von der Diktatur zur Demokratie eröffnet völlig neue Möglichkeiten.

Deshalb müssen wir jetzt präsent sein. Wir müssen den sich im Augenblick überall vollziehenden Bewusstseinswandel auch auf die Beseitigung der dominierenden Rolle der Männer auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens ausdehnend. Frauen müssen ihre Position in der Gesellschaft selbst bestimmen. Um diesen Prozess der Selbstbestimmung breitenwirksam zu machen, zu gestalten, zu forcieren, zu fördern oder auch anzuleiten, bedarf es viel Zeit und Geld.

Das kann nicht nur durch die Arbeit der Gruppen geschafft werden. Dazu bedarf es des ganzen Einsatzes von Frauen. Dieser muss natürlich von einer Organisation getragen werden.

Eine Möglichkeit dazu sehen wir in der Begründung einer Partei.

Wir stellen uns vor, dass in jedem Stadtrat ein Referat für Frauenfragen etabliert wird. Diese Referate für Frauenfragen, die sich bin in die Regierungsebene (Frauenministerium) fortsetzen, beschäftigen sich mit allen Problemen, die sich aus der ungleichen Behandlung und Bewertung von Frauen ergeben. Außerdem hat eine Partei die Möglichkeit, Frauen mit entsprechender Sachkenntnis in allen Bereichen der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens als Vertreterinnen zur Schaffung und Bewahrung der Chancengleichheit zu etablieren.

Frauen, die in männerdominierenden Parteien und 0rganisationen in einflussreichen Positionen gelangen, können immer nur im Rahmen der von Männern akzeptierten Möglichkeiten agierend. Sind wir als Frauenpartei präsent, können wir konkret unsere Ziele verfolgen und damit breitenwirksam gegen herrschende Unrechtsstrukturen vorgehen.

Die Arbeit der Gruppen kann organisatorisch unterstützt werden ohne diese in ihrer Individualität zu beeinflussen; ganz im Gegenteil - die Vielfalt der Aktivitäten wird besser zur Geltung kommen können.

Wir meinen, es ist nicht notwendig, dass wir unendlich viele Frauen als Mitglieder gewinnen. Aber es ist dringend erforderlich, dass wir sensibel und kreativ, aktiv, aber nicht vereinnahmend, die Frauen davon überzeugen, dass wir im Interesse aller Frauen handeln, dass wir keine mit ihren individuellen Erfahrungen und Lebensinhalten ausgrenzen.

Wir wollen unser Programm so erarbeiten, dass sich für alle Frauen unseres Landes die Möglichkeit findet, sich mit wenigstens einem Programmpunkt zu identifizieren und die Frauen alle unser Ziel - die gleiche Wertigkeit von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen - zu den ihren machen.

Wenn uns das gelingt, dann haben wir eine potentielle Wählerinnenschaft von 51 %.

Es ist gegenwärtig ein historischer Zeitpunkt und eine einmalige Chance. Finden wir uns in einer Frauenpartei mit dem

Ziel: Gleichstellung und Gleichbewertung aller weiblichen Lebensvorstellungen statt Gleichberechtigung auf dem Papier durch

- reale Bewertung und Bezahlung von frauentypischen Berufsgruppen

- familiengerechte Arbeitszeit für alle Werktätigen

- Abschaffung geschlechtsspezifischer Berufsgruppen

- Einsatz nach dem Paritätsprinzip in bisher typischer Frauenberufen um die mit Schwangerschaft und Elternschaft verbundenen Ausfälle besser zu kompensieren

- Anerkennung von Erziehungsarbeit, Hausarbeit, Beziehungsarbeit als wichtige soziale Komponente

- Rechtlicher Schutz und Hilfe bei physischer Gewaltanwendung gegen Frauen

- Schaffung von Frauenzentren

- Herausgabe einer oder mehrerer Frauenzeitungen, die alle Lebensbereiche von Frauen beschreiben

- Einflussnahme auf das Bildungswesen unter dem Aspekt Rollenverhalten und Sprache

- Ökologie, Wertewandel, Kaufvorhalten, Marktwirtschaft, Konsumzwang usw.

Natürlich erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Dieser Gründungsaufruf, diese Idee wird hiermit der Diskussion und Überlegung aller überantwortet.

Gothaer Bürgerinneninitiative

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