UZ-Interview mit Volkskammer-Vizepräsident Wolfgang Ullmann

". . . denn so darf es im Parlament nicht zugehen"

Die Volkskammer und vor allem die regierende Mehrheit des DDR-Parlaments geraten zunehmend unter Kritik. Über die Ursachen sprach die UZ mit Vizepräsident Wolfgang Ullmann.

UZ: Viele Gruppen der Bevölkerung der DDR sehen ihre Interessen durch die Volkskammer nicht berücksichtigt. sie fühlen sich von der Art und Weise, wie dir Politikfindung dort stattfindet, ausgeschlossen.

Wolfgang Ullmann: Ich sehe diese Kritik als in jedem Punkt gerechtfertigt an. Das hängt aber nicht allein nur von der Regierung ab, diese Machtverschiebung, die durch die Wahlen am 18. März eingetreten ist, konnte nur ein solches Ergebnis haben. Mich selber verwundert es nicht, es tut mir jedoch leid um die Leute, die sich etwas ganz anderes von der Wahl erhofft haben.

UZ: Wesentlich ist die Kritik auch an Inhalten der Volkskammerarbeit, wenn ich an den Beschluss zur Prüfung der Parteivermögen denke: die PDS spricht von schleichender Enteignung und davon, dass die Volkskammer bei der Prüfung ausgeschaltet wird . . .

Wolfgang Ullmann: Ich will meine Kritik daran jetzt nicht wiederholen, aber sagen: Das Vermögen wird überprüft unrechtmäßig erworbenes Eigentum muss dann natürlich zur Verfügung gestellt werden, dagegen kann niemand etwas sagen. Fragwürdig ist das Verfahren, und es ist nicht absehbar, ob dir geäußerten Sorgen im Endeffekt nicht doch zutreffen, dass es undemokratisch durchgeführt wird und ein entsprechendes Ergebnis hat, nämlich, dass die einen Parteien gegenüber den anderen ihre Situation ausnutzen. Das ist nicht auszuschließen. Ich kann nur hoffen, dass das nicht eintritt.

UZ: Sehr kritisch wurde in der Öffentlichkeit die Geschwindigkeit registriert, mit der die Volkskammer viele und schwerwiegende Gesetze der Bundesrepublik zur Überleitung beraten hat: allein 28 Gesetze wurden an einem Tag in die erste Lesung eingebracht. Kann man da noch von sachgerechter Arbeit reden?

Wolfgang Ullmann: Das sehe ich höchst kritisch, ich muss Ihnen und den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes sagen: Ich schäme mich, den so darf es nicht zugehen in einem Parlament. Aber – so was kommt von so was wenn man eben den Weg der Währungsunion zum Stichtag geht. Wenn man den Weg geht wie er im Staatsvertrag nun festgelegt ist, dann muss es zu solchen Erscheinungen kommen. Das zeigt, dass dies naht der Weg ist, den man aus demokratischen und rechtsstaatlichen Gründen bevorzugen musste. Die Regierung fühlt sich in Zugzwang, dann muss Hektik eben eintreten. Insofern hat sie die volle Verantwortung für diesen Zustand der faktischen Lahmlegung des Parlaments zu tragen. Der Vertrag kam durch Expertenberatung zustande und auch die Minister haben ja nur noch die ausgearbeiteten Texte im Ministerrat gehabt und wenig daran arbeiten bzw. verbessern können. Es gibt zudem zeitraubende Bagatellen, wie das Zucker- oder das Tabakgesetz. Natürlich, die Gesetze haben etwas mit Geld zu tut. Aber wo bleiben die Grundfragen?

UZ: Welche?

Wolfgang Ullmann: Zum Beispiel welchen Charakter die deutsche Ein heil haben soll. Das ist die wichtigste Frage. Zweitens: Wie kann die tiefe Kluft zwischen dem sozialen und politischen Zustand der DDR und dem der Bundesrepublik überbrückt werden? Und wenn man auf die glänzen de Idee verfällt, das alles mit Geld zu machen, dann lässt sich sofort voraussagen, dass das im Bereich der Politik der Kultur, aber auch Konsequenzen im Bereich der Wirtschaft haben wird. Da haben sich alle völlig verrechnet, die gedacht haben, die D-Mark sei ein Zaubermittel (. . .) Dabei haben wir doch schon lange - seit es die Intershops gibt - den verhängnisvollen Zustand einer D-Mark, einer nicht klar geregelten Währung (. . .)

Insgesamt muss man sehen, dass die Volkskammer als gesetzgebendes Organ im Staate unwirksam ist. Und der regierenden Koalition muss man vorwerfen, dass sie diesen Zustand gut findet und meint, so wie es lauft, sei es richtig.

Das Gespräch führte Reinhold Schlitt

unser zeit, Fr. 15.06.1990

Δ nach oben