Die Sozialunion steht hintenan

Von Dr. Wolfgang Ullmann

Eines muss vorausgeschickt werden:

Die Verfasser dieses Entwurfes haben kein Recht, sich auf die friedliche und demokratische Revolution des Herbstes 1989 zu berufen. Denn diese Revolution hat zweierlei bewirkt: Sie hat die "Staatssicherheit" das Machtorgan der SED-Herrschaft, zerschlagen, und sie hat am Runden Tisch die Grundlinien für eine Erneuerung von Staat und Gesellschaft der DDR festgelegt, zusammen gefasst in einem Verfassungsentwurf, der befreiendstes Ergebnis der Beseitigung des alten Machtmonopols in einer Perspektive der Vereinigung von DDR und BRD gipfelt. Ganz so, wie es die Präambel des Grundgesetzes als ferne Möglichkeit schon 1949 angedeutet hat.

Was der Staatsvertrags-Entwurf demgegenüber anbietet? Er läuft darauf hinaus, als den entscheidenden Eröffnungsschritt auf dem Weg zur deutschen Einheit Ausweitung des Währungsgebietes der D-Mark auf die DDR zu vollziehen. Natürlich soll diese Währungsunion mit einer Wirtschafts- und Sozial-Union einhergehen - aber der nunmehr bekanntgewordene Text lässt deutlich erkennen: Die neue Währungseinheit stellt die Weichen für die Wirtschaft so, dass die Sozial-Union von ihr ganz und gar abhängig wird. Hinzu kommt was als unerlässlicher Bestandteil freier Marktwirtschaft im Staatsvertragsentwurf vorausgesetzt wird: Die Regierung der DDR wird zum dienstwilligen Werkzeug der Bundesbank degradiert (Staatsvertragsentwurf, Anlage 1, Art. 13); das Recht der Bundesrepublik bricht an allen entscheidenden Stellen das der DDR, und die eigentumsrechtlichen Fragen werden völlig zuungunsten der DDR Bevölkerung vorweg entschieden.

Noch viel tiefer in Taschen von DDR Bürgern und -Bürgerinnen greift die Bestimmung, dass das volkseigene Vermögen vorrangig für Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushaltes der DDR zu nutzen sei (Staatsvertragsentwurf,- Kapitel 1, Art. 26, Abs. 4). Mit anderen Worten: Für 40 Jahre Misswirtschaft sollen deren Opfer, nicht aber deren Veranlasser von Mittag bis Schalck-Golodkowski und Strauß, zahlen. Und im weiteren Textentwurf wird über das gleiche volkseigene Vermögen gleich noch einmal zuungunsten von DDR-Bürgern und -Bürgerinnen verfügt. Mit ihren abgewerteten Sparguthaben sollen sie ein Vorkaufsrecht auf volkseigenes Vermögen wahrnehmen dürfen (Artikel 10, Abs. 5). Das heißt: Die Rechts- und Eigentumsansprüche von DDR-Bürgern und -Bürgerinnen werden als Randgröße behandelt. Unter solchen Bedingungen ist es freilich möglich, ein Vorkaufsrecht auf das einzuräumen, was einem schon gehört.

Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches weist demgegenüber auf den einzig legitimen Weg, wenn er die Rechts- und Eigentumsansprüche der DDR-Bevölkerung als ein unter dem Schutz der Verfassung stehendes Gut behandelt (daselbst Art. 131). Dass damit der Wille zur Einheit der beiden deutschen Staaten keineswegs hinten angesetzt werden soll, zeigt Art. 132 des gleichen Textes.

Woher also die seltsame Hast, die wieder und wieder den verfassungsrechtlichen Dialog aller Deutschen als störende Verzögerung verdächtigen möchte? Sie wird heimtückisch von denen erregt, die - unter dem Vorwand, die Einheit aller Deutschen herbeiführen zu wollen - nur daran arbeiten, bis zum 1. Juli den größeren Teil der DDR-Wirtschaft mit allen Mitteln des unlautersten Wettbewerbes (Bestechung, Handelsboykott Preisverzerrung) - niederzukonkurrieren, um danach Märkte und Betriebe für eine symbolische D-Mark aufkaufen zu können. Und jene wagen es, sich auf die Revolution im Herbst ´89 zu berufen. Wir können ihnen nur antworten: Das geht zu weit!

Junge Welt, Nr. 114, Do. 17.05.1990

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