Zwischenbericht über Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit

Ausführungen des stellvertretenden Leiters des Sekretariats des Ministerrates, Manfred Sauer

Das MfS wurde durch Gesetz am 8.2.1950 gebildet. Angehörige hatten den Fahneneid zu leisten und waren zur bedingungslosen Erfüllung aller Befehle und Weisungen der jeweiligen Vorgesetzten und zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet. Aufgrund von Beschlüssen des ehemaligen Nationalen Verteidigungsrates der DDR entspricht der Dienst im ehemaligen MfS der Ableistung des Wehrdienstes.

Die ursprüngliche Hauptaufgabenstellung des ehemaligen MfS bestand insbesondere in der

- Aufklärung (Auslandsnachrichtendienst),

- Spionageabwehr,

- Sicherung der Volkswirtschaft sowie in der - Bekämpfung von Angriffen gegen die Staatsorgane.

Das ehemalige MfS wurde nach dem Prinzip der militärischen Einzelleitung geführt. Der ehemalige Minister hatte uneingeschränktes Weisungsrecht gegenüber allen Angehörigen, unabhängig von deren Dienststellung.

Gemäß dem Statut des Nationalen Verteidigungsrates war es vorgesehen, im Verteidigungszustand durch die Bezirkseinsatzleitungen den Einsatz aller territorialen Kräfte zu koordinieren. Das hätte eingeschlossen auch die Weisungsbefugnis gegenüber den damaligen Bezirksverwaltungen bzw. Kreisdienststellen für Staatssicherheit. Da der Verteidigungszustand zu keinem Zeitpunkt ausgerufen wurde, ist eine solche Weisung auch nicht ausgeübt worden.

Zur Gewinnung von Informationen wurden Postkontrolle und Abhörtechnik genutzt sowie inoffizielle Mitarbeiter herangezogen. In den 70er Jahren setzte nach der Wahl Honeckers zum Generalsekretär und Mielkes zum Kandidaten des Politbüros eine intensivere Arbeit gegen Andersdenkende und ein rasches Anwachsen des Mitarbeiterbestandes ein.

Bis in die 80er Jahre hinein verdoppelte sich der Mitarbeiterbestand auf 85 000. Von diesen waren 21 100 unmittelbar operativ tätig, davon in der Telefonüberwachung 1 052, in der Postkontrolle 2 100, in der Beobachtung/Ermittlung 5 000.

Der Ministerrat hat, wie inzwischen bekannt ist, beschlossen das ANS aufzulösen. Das hat rechtliche Konsequenzen, die den Forderungen und Erwartungen der Bürger entsprechen müssen. Sie verlangen berechtigt Gewissheit darüber, dass jegliche rechtswidrigen Praktiken der ehemaligen Staatssicherheitsorgane ein für allemal beendet sind und notwendige Schlussfolgerungen gezogen wurden.

Niemand darf mehr irgendwelche Rechte wahrnehmen, die dem MfS früher zur Erfüllung seiner spezifischen Aufgaben aufgrund von Gesetzen - z. B. der StPO - oder anderen Rechtsvorschriften, Beschlüssen oder Weisungen zustanden. Ein Verstoß dagegen zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich.

Rechtsstaatlichen Erfordernissen entspricht auch, dass bei der Auflösung des ehemaligen ANS auf allen Gebieten die geltenden Rechtsvorschriften exakt angewendet werden. Das muss ebenso für die Gewährleistung der Überführung der Mitarbeiter in ein neues Arbeitsrechtsverhältnis gelten wie für die ordnungsgemäße Übergabe der unter Verwaltung des ehemaligen MfS stehenden Grundstücke, Gebäude und Ausrüstungen an andere Nutzer.

Das Ministerium der Justiz bereitet ein Gesetz über die Rehabilitierung von zu Unrecht verfolgten Bürgern vor. Grundsätze für ein solches Gesetz behandelt der Ministerrat, damit der Gesetzentwurf kurzfristig erarbeitet, beraten und der Volkskammer zugeleitet werden kann.

"Flächendeckende" Überwachungsarbeit

Mit wachsender Instabilität der DDR wurde eine Perfektionierung der Überwachungsmechanismen angestrebt. Der ehemalige Minister forderte den wachsenden Einfluss "Andersdenkender" zurückzudrängen. Deshalb wurde seit 1985 eine totale "flächendeckende" Überwachungsarbeit angestrebt. Grundlage dafür war seine Dienstanweisung Nr. 2/85 zur "vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit“. Alle Weisungen gegen "Andersdenkende" wurden durch die Regierung Modrow mit Wirkung vorn 29. 11. 1989 außer Kraft gesetzt.

Mit dem Beschluss über die Auflösung des ehemaligen MfS entsprach die Regierung den Forderungen breiter Bevölkerungskreise, die Durchsetzung einer neuen Sicherheitspolitik zu beschleunigen. Die Regierung verurteilte zugleich Amtsmissbrauch, falsche befehle und Methoden, für die der ehemalige Minister für Staatssicherheit die politische Verantwortung trägt.

Zu verurteilen ist - die Funktion des ehemaligen MfS bei der Verwirklichung der falschen Sicherheitsdoktrin der ehemaligen Partei und Staatsführung,

- die flächendeckende Überwachung größerer Personenkreise und damit im Zusammenhang die Schaffung eines Überdimensionierten Sicherheitsapparates,

- das Ansinnen, politische Probleme mit strafrechtlichen Mitteln zu lösen,

- die Beteiligung von Teilen des ehemaligen MfS am Schutz der Privilegien, die sich die ehemalige Führungsspitze angemaßt hat.

Zur Situation der ANS-Kader

Von den ehemals 85 000 Mitarbeitern des sich in Auflösung befindlichen Amtes für Nationale Sicherheit sind 30 000 entlassen.

Bei weiteren 22 500 Mitarbeitern erfolgt gegenwärtig die Eingliederung in die Volkswirtschaft, das Gesundheitswesen bzw. in bewaffnete Organe. Von den gegenwärtig noch beschäftigten 32 500 Mitarbeitern erfolgt die zügige Entlassung von 20 000 in kürzester Zeit. Es verbleiben 12 500 Mitarbeiter, die für die weitere Auflösung des Amtes erforderlich sind. Das betrifft den Schutz, die Erhaltung und die rechtsstaatlich korrekte Übergabe von Gebäuden, Einrichtungen, Fahrzeugen und anderen Sachwerten sowie die notwendige Abwicklung von personellen und finanziellen Angelegenheiten. Die damit beauftragten Mitarbeiter werden jeweils nach Beendigung ihrer Aufgaben entlassen.

Für das ehemalige Amt für Nationale Sicherheit waren ca. 109 000 ehrenamtliche inoffizielle Personen tätig. Im Innern der DDR wird keine konspirative Arbeit mehr mit diesen Kräften durchgeführt.

Weiterhin möchte ich mitteilen, dass die im Beschluss vom 14. 12. 1989, betreffend die soziale Sicherstellung von Angehörigen des Amtes für Nationale Sicherheit, die mit der Auflösung ausscheiden, enthaltenen Festlegungen

- zur Übergangsbeihilfe bzw. Gewährung sogenannter Überbrückungsgelder und

- zur Zahlung eines Einrichtungszuschusses bei erforderlichem Wohnortwechsel durch den Ministerrat aufgehoben wurden.

Mit der Eingliederung der ehemaligen Angehörigen des Amtes für Nationale Sicherheit in eine zivile Tätigkeit werden sie demzufolge entsprechend der übernommenen Arbeitsaufgabe wie andere Werktätige entlohnt.

Für 1990 keine materiellen Fonds

Für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit bzw. Amt für Nationale Sicherheit wurden 1989 aus dem Staatshaushalt Haushaltsmittel in Höhe von 3,6 Mrd. M bereitgestellt. Das sind 1,3 Prozent des Staatshaushaltes der DDR. Darin sind Aufwendungen für den Personalbestand von 2,4 Mrd. M und für Bauinvestitionen, Technik, Ausrüstung, Energie und Treibstoff von 1,2 Mrd. M, darunter Importe aus dem sozialistischen Wirtschaftsgebiet in Höhe von 100 Mio. M, enthalten. Valutamittel für operative Aufgaben wurden 1989 für das sozialistische Wirtschaftsgebiet in Höhe von 7,9 Mio. M und für das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet in Höhe von 29,9 Mio. VM abgerechnet.

Für 1990 werden keine materiellen Fonds bereitgestellt. Finanzielle Mittel stehen nur auf der Grundlage von Ministerratsentscheidungen zur Verfügung und resultieren aus der Auflösung und Abwicklung des Amtes für Nationale Sicherheit. Die Summe beläuft sich wahrscheinlich auf 500 Mio. M. Diese Mittel unterliegen einer strengen Kontrolle durch das Finanzministerium.

Eine abschließende Entscheidung wird durch die Volkskammer mit dem Volkswirtschafts- und Staatshaushaltsplan 1990 getroffen.

Mdl übernimmt Bewaffnung

Mit der Auflösung des ehemaligen Amtes für Nationale Sicherheit begann die Abgabe der Waffen und Munition in die Waffenkammern und deren Sicherung durch Kräfte der Deutscher, Volkspolizei.

Bis zum 13. 1. 1991 wurden alle Bestände aus den ehemaligen Kreis- und Bezirksämtern des Amtes für Nationale Sicherheit übernommen sowie die Waffenkammern des Objektes Normannenstraße und weiterer 27 Objekt zentraler Diensteinheiten beräumt.

Die Übernahme der Waffen durch das Ministerium für Innere Angelegenheiten wird bis zum 25. 1. 1990 abgeschlossen. Das schließt auch die Übernahme von polizeilichen Hilfsmitteln (Schlagstöcken chemischen Reizmitteln, Führungsketten) ein.

Die in den Objekten noch zu Wach- und Sicherungsaufgaben eingesetzten Kräfte des Amtes für Nationale Sicherheit und deren Bewaffnung unterstehen der Befehlsgewalt des jeweiligen Einsatz Leiters der Deutschen Volkspolizei.

Die Überwachung des Postverkehrs (Briefpost- und Paketsendungen) erfolgte in Räumen innerhalb der Dienststellen und Ämter der Deutschen Post, zu denen Mitarbeiter der Deutschen Post keinen Zutritt hatten. Diese Überwachung wurde am 8. 11. 1989 endgültig eingestellt.

Postgeheimnis wieder gewahrt

Fernsprechabhör- sowie Fernsprech- und Fernschreibaufzeichnungsanlagen befanden sich außerhalb der Dienststellen der Deutschen Post in Objekten des ehemaligen MfS bzw. in von diesem genutzten Einrichtungen. So gab es im ehemaligen Ministerium, in allen Bezirksverwaltungen und in ausgewählten Kreisdienststellen derartige Einrichtungen.

Die Abhör- und Aufzeichnungseinrichtungen in den Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen wurden demontiert bzw. die Räume, in denen derartige Technik noch vorhanden ist, durch die Staatsanwaltschaft versiegelt. Das Abhören und Aufzeichnen von Telefongesprächen bzw. des Fernschreibverkehrs ist mit der Trennung der Kabelverbindungen durch die Deutsche Post technisch nicht mehr möglich.

Die im zentralen Objekt des ehemaligen MfS noch vorhandene, aber nicht mehr betriebsfähige derartige Technik befindet sich in Demontage.

Bis zum 31. 1. 1990 wird die gesamte Abhör- und Überwachungstechnik restlos demontiert sowie durch die Deutsche Post über deren weitere Verwendung entschieden. Die nicht für den öffentlichen Fernmeldeverkehr verwendbare Technik wird verschrottet.

Von den durch das ehemalige MfS genutzten Orts- und Fernleitungen wurden zwischenzeitlich mehr als 3 000 an die Deutsche Post zurückgegeben.

Datenschutz jetzt gewährleistet

Das gesamte Schriftgut der ehemaligen Kreisämter wurde in die Bezirksämter überführt und befindet sich dort unter Verschluss. Ebenso das Schriftgut der ehemaligen Bezirksämter. Durch Angehörige des Ministeriums für Innere Angelegenheiten, in Sicherheitspartnerschaft mit Vertretern der Bürgerkomitees sowie der Staatsanwaltschaft wird gewährleistet, dass das Schriftgut sicher aufbewahrt ist. Das trifft auch auf die Zentrale des Amtes für Nationale Sicherheit selbst zu.

In Zusammenarbeit mit Bürgerkomitees wird an Lösungen zum weiteren Umgang mit dem Schriftgut gearbeitet.

Die Maßnahmen sichern, dass das Schriftgut zur Aufdeckung von Gesetzesverletzungen, zur Rehabilitierung von Personen sowie zur historischen Dokumentation erhalten bleibt. Mit Bürgerkomitees besteht Übereinstimmung darin, dass der Quellenschutz gewahrt werden sollte.

Die elektronisch gespeicherten Daten, die entsprechend der falschen Sicherheitsdoktrin gewonnen wurden, sind in Archiven eingelagert und durch die Staatsanwaltschaft versiegelt.

Mit den Datenverarbeitungsprojekten der Aufklärung wird zentral noch gearbeitet.

Das Wachregiment unterstand dem ehemaligen Minister für Staatssicherheit bzw. Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit. Die Personalstärke betrug 10 992 Angehörige (davon 1 748 Offiziere). Es war verantwortlich für die Sicherung von Objekten der Partei- und Staatsführung sowie weiteren Sicherungs- und Repräsentationsaufgaben. Wesentliche Teile des Personalbestandes erfüllten seit Jahren Schwerpunktaufgaben in der Energiewirtschaft sowie im Transport- und Dienstleistungswesen.

Waffen und Munition sind, mit Ausnahme der für die Wachaufgaben benötigt, zentralisiert unter Verschluss aufbewahrt und versiegelt.

Bauern-Echo, Nr. 14. Mi. 17.01.1990

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