Martin Ziegler Ein "Dompteur" am Runden Tisch

Der Leiter des Sekretariats des Bunds Evangelischer Kirchen, war einer der Moderatoren / "Basisbewegungen sind Vertreter vitaler Interessen der Bürger"

Eine Anzeige. Ich las sie dieser Tage in einer der zahlreich gewordenen Annoncenblätter: Verkaufe runden Tisch (alt). Das liebgewordene Möbelstück als vergegenständlichte Nostalgie einer nun bald musealen Revolutionsetüde? Der zentrale Runde Tisch hat seine Schuldigkeit getan. Wir haben es geschafft. Uns durch eine hastige Zeit gerettet, hin zu den ersten freien demokratischen Wahlen dieses Landes. Dass diese Zeit von Besonnenheit und Konstruktivität gezeichnet war, ist wohl unbestreitbar auch den Moderatoren des Runden Tisches zu verdanken. taz sprach mit Oberkirchenrat Martin Ziegler.

taz: Der Runde Tisch wird bald das notwendige Intermezzo eines Demokratietrainings gewesen sein. Spürt man da nicht angesichts des Endes einer bisher für uns unerfahren gebliebenen Mitbestimmungsmöglichkeit so etwas wie Wehmut?

Martin Ziegler Wehmut nicht, aber es ist doch eine sehr intensive Zeit gewesen, dass die Anspannung aller Kräfte gefordert hat. Nein, Wehmut würde ich das nicht nennen, aber doch eine dankbare Erfahrung, über das, was in dieser Zeit doch nach alles gemacht werden konnte und möglich war, die Begegnung mit vielen interessanten Menschen, das sind Dinge, an die man sich gern erinnern wird.

Als sie die Aufgabe, den Runden Tisch zu moderieren, übernahmen, welche Erwartungen hatten Sie in Bezug auf dieses Gremium?

Die Erwartung war einmal, dass wirklich der Gedankenaustausch konstruktiv zustande kommt zwischen denen, die die politische Verantwortung in der Volkskammer und der Regierung mittrugen und denen, die in den Gruppierungen sich gesammelt haben. Und diesbezüglich war für mich jedenfalls von Anfang an klar, dass ich nicht kirchliche Interessen am Runden Tisch vertrete. Mein Standpunkt war, wenn ich das übernehme, dann als Mittler und Makler, der sich mit seiner Meinung und auch mit der Vertretung der Kirche zurückhalten muss. Ich fand sofort Zustimmung bei meinen Mitmoderatoren. Wir haben uns somit von Anfang an jeder Abstimmung enthalten und weithin auch des Eingriffes in die Sachdebatten. Es ist nicht immer leichtgefallen.

Gab es nicht angesichts ausschweifenden Wortgestöbers oder hitziger Rededuelle manchmal Situationen, wo sie sich nicht mehr zurücknehmen wollten oder auch konnten?

Solche Punkte gab es. Aber ich war mir eigentlich darüber im klaren, wenn ich das mache, kann ich die Sache schwerlich befördern. Die Gesprächsfähigkeit wäre dadurch beeinträchtigt worden. Es hätte sich immer irgendeine Gruppierung benachteiligt gefühlt, weil ich ja damit Partei ergriffen hätte. Und es hat sich auch in den sechzehn Sitzungen erwiesen, dass es nur so möglich war. An manchen Punkten hätte ich natürlich ganz gerne eingegriffen, diese Punkte will ich mal lieber nicht sagen. Aber trotzdem, wenn ich manche Briefe an mich lese, gibt es darunter welche, die uns Moderatoren vorwerfen, ihr deckt euren schwarzen Talaren ja doch bloß die Roten. Es gibt also auch dies.

Mich würden aber trotzdem jene kritischen Punkte interessieren.

Na ja, ich kann es wohl jetzt sagen. Ich habe in manchen Situationen den Eindruck gehabt, dass es mit dem, was ich unter Demokratie verstehe, nicht ganz so klar gelaufen ist. Schon bei der Eröffnung hat mir absolut nicht behagt‚ dass da mit kleiner Tischbesetzung begonnen wurde. Und ohne die Spielregeln, die ich wenigstens gewöhnt bin aus dem synodalen Geschäft, wurde dann abgestimmt, wer zugelassen und wer nicht zugelassen wird. Einverstanden war ich auch nicht mit der Haltung der Gruppierungen, die den Runden Tisch in Gang gebracht haben, die dafür zustimmten, keine weiteren Gruppen zuzulassen, obwohl es nur ein einziges überzeugendes Argument gab, nämlich, den Tisch noch verhandlungsfähig zu halten. Und diese Art von Argumentation hat mir nicht besonders gut gefallen. Es hat der Pragmatismus eigentlich über die demokratische Gerechtigkeit gesiegt.

Sie haben von Anbeginn am Runden Tisch teilgenommen, haben ihn moderierend durch Zeit eine hastige Zeit begleitet. Welche Entwicklungen konnten sie beobachten?

Da hat es durchaus Stufen gegeben. Zuerst ging es darum, überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen. Man musste lernen, unterschiedliche Meinungen zu tolerieren, man musste demokratische Verfahrenspraxis lernen. Das war so die erste Phase. Dann kam eine zweite,die sich sehr stark auseinandersetzte mit der Vergangenheit, in der mit Nachdruck die Auflösung des ehemaligen MfS und der Nachfolgeorganisation des AfNS angemahnt werden musste. Da erweckte der Runde Tisch auch in der Öffentlichkeit den Eindruck, als sei er sehr stark rückwärtsgewandt, weniger auf Zukünftiges orientiert. Und Mitte Januar kam wieder eine neue Phase, wo sichtbar wurde, es kommt jetzt auf konstruktives Denken und Entwerfen für die Zukunft an. Und da entstand ja auch ein neues Verhältnis zur Regierung, das seinen Höhepunkt im Gespräch am 28. Januar fand, mit dem Ergebnis, dass darauf die Minister aus den Gruppierungen in die Regierung der Nationalen Verantwortung eintraten. Von dieser Phase an stellte sich heraus, dass es erstaunlich viele übereinstimmende Punkte zwischen Regierung und Rundem Tisch gab. Dass die Kritik nicht aufhörte, ist normal. Jetzt sind wir in der letzten Phase, da kann der Runde Tisch eigentlich nur noch Themen und Aufgaben in die Öffentlichkeit bringen, sie bewusst machen und sozusagen vormerken lassen für die neuen Gremien, die dann daran weiter zu arbeiten und darüber zu entscheiden haben.

Sehen Sir eine eventuelle praktisch politische Berechtigung für ein Fortbestehen des Runden Tisches nach dem 18. März?

Das würde ich auf keinen Fall befürworten. Wir haben gemeinsam dafür gearbeitet, dass wir freie demokratische Wahlen haben. Wenn wir dann also ein Parlament wählen, so muss auch dieses Parlament handlungsfähig sein, durch seine Legitimation. Die Frage der Legitimation ist ja besonders am Anfang in Richtung Regierung und Parlament gestellt worden. Und der Runde Tisch hat sich gerade in der letzten Zeit zu einer Art Parallelkonstruktion zur Volkskammer entwickelt. Dies darf nicht fortgesetzt werden, weil damit die parlamentarische Demokratie untergraben wird. Aber ich denke auch, dass basisdemokratisch arbeitenden Bewegungen, die Vertreter sehr vitaler Interessen der Bürger sind, gegenüber den sich schnell etablierenden Parteien Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt werden sollten. Ein weiterer Bewusstseins- und Meinungsbildungsprozess in der Gesellschaft bleibt durchaus wünschenswert. Dann muss er aber anders organisiert und strukturiert werden. Bürgerforen könnten zusammentreten und diesen Prozess weiter befördern. Anders ist es natürlich mit den örtlichen und regionalen Tischen, die halte ich bis zum 6. Mai für notwendig.

Hat es auch Augenblicke gegeben am Runden Tisch, die sie unzufrieden machten oder wo sie vielleicht enttäuscht waren?

Ja, einmal. Erzürnt war ich, als die Gruppierungen, um ihre Forderung nach Auflösung des AfNS durchzusetzen, den Runden Tisch verlassen haben. Zwar mit Drohung "nur ein paar Stunden", aber an dem Tag musste ja abgebrochen werden. Und diese Methoden widerstreben mir im tiefsten Herzen. Da war ich nahe daran zu sagen, so bitte, wenn das noch mal vorkommt, mit mir nicht weiter.

Es wird von Ihnen erzählt, Sie seien ein eher bescheidener, als die laute Öffentlichkeit suchender Mann. Wie finden Sie sich da mit der unfreiwilligen Popularität Ihres Wirkens am Runden Tisch zurecht?

Es stimmt. Ich habe mich nie danach gedrängt, in der Öffentlichkeit besonders aufzutreten oder mich zu äußern, sondern ich habe mich bewusst zurückgehalten. Dass ich nun am Runden Tisch diese Aufgabe übernommen habe, hängt einfach mit der Situation zusammen, die wir im Dezember 1989 hatten. Ich habe in dem Augenblick zugesagt, als mir klar wurde, wahrscheinlich gibt es im Moment keine andere Institution, die das Vertrauen von beiden Seiten hat und ein Gespräch in Gang bringen könnte.

Finden sie die Bezeichnung "Moderator" treffend oder hatte es nicht manchmal vielmehr etwas von der Arbeit eines Dompteurs?

Nein, nein. Ich denke, ein Moderator hat mit Mäßigen zu tun. Und dass wir ein bisschen beruhigend und disziplinierend gewirkt haben, war auch im Interesse der Sache. Das führe ja dazu, dass wir uns letztlich im Interesse der Leute zurückgenommen haben.

Das Gespräch führte Joe Korsowsky

die tageszeitung, DDR-Ausgabe, Di. 13.03.1990

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