Trotz aller Anfeindungen wir treten ein für dieses Land
Es scheint sich eingebürgert zu haben, dass man sich in Karl-Marx-Stadt nach den Montagsdemos in der Presse gegenseitig den Schwarzen Peter zuschiebt. Oder den roten?
Wir, allesamt Anhänger einer souveränen DDR, haben uns den Ratschlag des Herrn R(...), DSU, und des Herrn Knigge zu Herzen genommen und das Podest rings um das Karl-Marx-Denkmal diesmal den schwarz-rot-goldenen Fahnen überlassen. Dass allerdings das Auftauchen von vier oder fünf DDR-Fahnen bei den anderen Zehntausenden Demonstranten zu einer derartigen Wut führte, dass wir eine ernsthafte Zuspitzung der Lage befürchten mussten, gibt mir doch sehr zu denken.
Sind wir nicht im Oktober auf die Straße gegangen, um in unserem Land eine wirkliche demokratische Gesellschaft aufzubauen?
Wir sind zwar keine "roten Schweine", weil auch wir uns unter Menschen zusammenfinden. Aber hinter dem Rot stehen wir nach wie vor, weil es das Rot der Arbeiterfahne ist. Sehen das die anderen auch so? Ich möchte ja keinem etwas unterstellen.
Auch mit dem Begriff "Stasikinder" stimmt es nicht so ganz. Eher waren wir die "Sorgenkinder" der Stasi, um es gelinde auszudrücken. Die meisten von uns standen schon Jahre vor der "Wende" in Opposition zur Stasi und zum stalinistischen Machtapparat in der DDR.
Das hat uns eine Menge sogenannter Zuführungen, Bespitzelungen, Diskriminierungen bis hin zur Arbeitsplatzverweigerung eingebracht. Und viele sind schon vor Jahren aus dem Land vertrieben worden.
Dass wir die "Letzten" sind, stimmt insofern, da wir nicht aufhören, für dieses Land einzutreten, um es endlich so umzugestalten, dass es auch für die lebenswert wird, die schon jahrelang dafür gekämpft haben, damit in diesem Land so etwas wie Demokratie und Freiheit stattfindet.
Gabriele E(...), Vereinigte Linke, Karl-Marx-Stadt
aus: freie presse, Nr. 8, 10.01.1990, 28. Jahrgang, Karl-Marx-Stadt