Zwischen alle Stühle gesetzt

JW-Interview mit Thomas Klein, 41, Mathematiker, Vertreter der Vereinigten Linken (VL) im Bundestag

Das Haus der Demokratie in der Friedrichstraße gleicht einem Bienenkorb mit seinen unzähligen Büros von Initiativen und Grüppchen. Hier sitzt auch die Vereinigte Linke, die sich in einem Punkt von manchen anderen unterscheidet: sie hat einen Abgeordneten im Bundestag, Thomas Klein. Die PDS hat ihm einen ihrer Sitze abgetreten, "ohne Bedingungen zu stellen", wie er im Verlauf des Gesprächs betont. Schamhaft verschweigt er während des gesamten Interviews, dass er zu SED-Zeiten im Knast gesessen hat. Es scheint so etwas zu geben wie ein Ethos, wonach es schändlich ist die eigene Person besonders in den Mittelpunkt zu stellen. Dieses Fehlen jeglicher Eitelkeit ist sympathisch, macht es aber nicht leicht ein Interview zu führen. Hinzu kommt, dass wir uns verbarrikadieren, in einem der drei Räume, weil die Offenheit der Strukturen implizieren würde, dass am laufenden Band jemand hereinplatzt, der mit Thomas Klein etwas Wichtiges zu besprechen hat.

Die Person Thomas Klein verkörpert in der DDR das, was am Bekanntesten ist von der Vereinigten Linken. Was verbirgt sich hinter dieser Gruppierung?

Wir haben uns im Herbst '89 als Opposition zum SED-Staat gegründet. Als Linke Opposition wohl bemerkt, denn wir wollten damals noch eine Verbesserung des bestehenden sozialistischen Systems.

Was versteht ihr denn unter links, und worin unterscheidet ihr euch von den Bürgerbewegungen?

Links heißt schlicht: eine gesellschaftliche Alternative zu Stalinismus und Kapitalismus. Mit den Bürgerbewegungen verhält es sich so, dass sie uns ausgrenzen, wir aber denken, dass sie noch merken werden, dass sie uns brauchen, wenn sie ihre Rolle als demokratische Opposition ernst nehmen.

Warum ließ sich euer Ansatz nicht durchsetzen in der Bevölkerung?

Sie haben ja selber mitgekriegt wie die Parole von "Wir sind das Volk" gewandelt ist in "Wir sind ein Volk". Kohl hat sich durchgesetzt, und die Regierung unter Modrow mit dem Slogan: Deutschland einig Vaterland hat mit dazu beigetragen. Es ging uns allen ganz schön schlecht damals.

Jetzt sitzen Sie ja im Bundestag dem nicht gerade gläsernen Volksvertreterorgan der BRD, und dann auch noch mit der PDS. Setzen Sie sich da nicht zwischen sämtliche Stühle?

Zum einen: Wir sind keine antiparlamentarische Opposition, sondern eine außerparlamentarische . . .

. . . Und Ihre Kritik an der PDS?

Wenn die PDS nicht auf einen ihrer Plätze verzichtet hätte, würde ich da nicht sitzen. Ich bin dort als Abgeordneter der linkes Bürgerbewegungen. Allerdings habe ich nie ein Hehl daraus gemacht dass ich finde, dass die Erneuerung der PDS Voraussetzung dafür ist, dass ein breites Bündnis der Linken unter Einschluss der PDS zustande kommt.

Wo kritisieren Sie denn die Partei?

Überall da, wo der Konsens der Partei ein links sozialdemokratischer wird.

Was ist mit den "Exbonzen"?

Die damaligen SED-Bürokraten, die heute, gewendet, als Erfinder der Marktwirtschaft auftreten, haben sich natürlich in Distanz zur PDS begeben. Und die, die über die Partei Karriere machen wollten, sind auch verschwunden, weil der Grund ihres Beitritts entfällt.

Zurück zu Ihrer Person zwischen allen Stühlen. Haben Sie irgendwelche Vorteile von diesem Status, zum Beispiel materielle?

Wenn Vorteile, dann wären es materielle. Diese unmoralischen Gehälter, die als Aufwandsentschädigungen bezeichnet werden. Diese Gelder werden nicht eingestrichen von mir, sondern wir führen sie politisch sinnvollen Projekten zu. Ich denke auch, dass es ein Vorteil ist, hautnah mitzuerleben, wie die Parteien, die für die Zukunft Deutschlands verantwortlich sind, agieren. Man kann sie kompetenter kritisieren.

Ihre politische Basis befindet sich außerhalb der Parlamente. Wäre es da nicht besser, wenn Sie diese Opposition stärken, statt sich im Parlament zu verschleißen?

Es wäre nicht in unserem Sinne, wenn diese Gruppe sich von Personen und Köpfen abhängig machen würde. Wir meinen ja, dass jeder lernen soll, seine Interessen selbst zu vertreten. Das Parlament kann man ja durchaus nutzen, um diese Haltung weiterzugeben.

Haben Sie eigentlich keine Angst, dass Sie sich von dem Rest Ihrer Basis entfernen Wenn man in zwei verschiedenen Welten lebt, entfernt man sich doch, oder nicht?

Ich bin verpflichtet, Rechenschaft abzulegen. Im Bundestag kann ich nicht meine persönliche Befindlichkeit ausdrücken. Wenn dieser Konsens wegfällt, werde ich abgelöst.

Was ist der Unterschied zwischen Bundestag und Volkskammer?

Ich habe ja erst zweimal an Bundestagssitzungen teilgenommen, aber ich denke, dass man da das äußere Erscheinungsbild des routinierten Professionalismus so interpretieren kann, dass die politischen Entscheidungen schon hinter den Kulissen zwischen den Parteien geklärt werden.

Haben Sie die gleiche Wahrnehmung wie Gregor Gysi, der mal sagte, die Trennlinie zwischen Ost und West verläuft im Bundestag und nicht zwischen den den Parteien?

Die besondere Perspektive, mit der die Abgeordneten aus Ostdeutschland auf den Bundestag gucken, ist sicher ein Teil ihrer Befindlichkeit. Aber ich glaube keine Sekunde daran, dass dir Unterwerfungsmechanismus der Ost-CDU, wie wir ihn in der Volkskammer erlebt haben, jetzt durchbrochen wird.

Interview: Kerstin Knape

Junge Welt, Nr. 252 Sonnabend/Sonntag 27.-28. Oktober 1990

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