Wider die westliche Überheblichkeit
Die erste deutsche Frauenministerin, die sich selbst als "Feministin" bezeichnet, amtiert in der DDR: Tatjana Böhm. Die DDR-Soziologin vom "Unabhängigen Frauenverband" kam vom Runden Tisch als "Ministerin ohne Geschäftsbereich" in die Regierung Modrow.
Ihre lila Amtszeit war nur kurz: Am 5. Februar vor der Volkskammer vereidigt, überlässt sie schon in drei Wochen das Feld einer - höchstwahrscheinlich - CDU-Frauen-Familien-Ministerin. Auf Einladung der grünen Bürgerschaftsabgeordneten Carola Schumann war Tatjana Böhm am vergangenen Wochenende zu Gast in Bremen. Eine "schmerzliche" Nachricht hatte sie dabei: Das Bündnis mit den DDR-Grünen sei an der KandidatInnen-Frage endgültig "geplatzt".
taz: Was habt Ihr in der kurzen Zeit erreicht?
Tatjana Böhm: Wir haben am Runden Tisch ein Gleichstellungsministerium gefordert. Denn die Frauenfrage ist auch eine Männerfrage. Wenn Frauen Rechte bekommen sollen, müssen Rechte von Männern gekappt werden. Ein Gleichstellungsministerium für Frauen und für Ausländer. Daneben sollte es noch ein Frauen-Sozialministerium geben. Auf der Regierungsebene haben wir das nicht geschafft. Aber bei der Umbildung von Kommunen und Bezirken gibt es Gleichstellungsstadt- und Bezirksräte. Die sind heute schon da. Das sind nicht Sachbearbeiterinnen wie bei Euch, sondern richtig Bezirksrätinnen und Stadträtinnen für Gleichstellungsfragen.
Was fällt Dir auf an Deinen westdeutschen Gesprächspartnerinnen?
Tatjana Böhm: Dass sie auch diese Überheblichkeit haben und gar nicht sehen, was wir alles geschafft haben. Und bei Euren Politikerinnen, dass Politik hart macht. Gut: ein, zwei Legislaturperioden kann man das mitmachen, aber als Frau weiß man doch, dass es noch was anderes im Leben gibt.
Und es ist ja nichts so, als ob wir nichts haben. Wir haben die ökonomische Selbständigkeit, so zwiespältig das ist mit der Berufstätigkeit. Wir haben ein gut qualifiziertes weibliches Arbeitsvermögen. Es ist nicht wesentlich schlechter qualifiziert als das der Männer, nur schlechter bezahlt.
Und mit der Gründung des Dachverbands haben wir erreicht, dass zum ersten Mal in Osteuropa eine unabhängige Frauenbewegung sich zu politischen Fragen geäußert hat. Was ja auch in Westeuropa die Frauenbewegung nicht geschafft hat, sich in der Breite so zu vereinigen, dass es eine Stimme wird.
Und schön war's ooch. Wunderschön. Besonders im Dezember. Als wir die Konferenz mit den eineinhalbtausend Frauen hatten.
Wie reagieren Frauen auf die Auflösung der betrieblichen Kindergärten?
Tatjana Böhm: Mit Ohnmacht und Angst. Das sind im Wesentlichen individuelle Reaktionen. Dabei verstoßen die Schließungen gegen geltende Gesetze. Das ist im Moment eine Selbstherrlichkeit von Betriebsleitern. Wir ermutigen die Frauen, Rechtsmittel wahrzunehmen, sich gewerkschaftlich zu organisieren und da Widerstand zu leisten. Aber da setzt auch wieder die DDR-Mentalität ein: Die Frauen fragen uns: "Nun sagt uns mal von oben, was wir machen sollen!"
Wie wollt Ihr verhindern, dass der bundesdeutsche Abtreibungsparagraph 218 auch für Euch gilt?
Tatjana Böhm: Erst mal bezweifle ich, dass das so einfach geht. Erst mal müsste das Gesetz in der Volkskammer gekippt werden. Und dann würden schon die Frauen auf die Straße gehen. Obwohl unser Volk demonstrations- und politikmüde ist.
Int: B.D.
die tageszeitung, Mo. 26.03.1990