DDR 1989/90 Brandenburger Tor

Gewinner werden wohl nur die "Besserwessis" sein

Frauen müssen einmal mehr die Suppe auslöffeln

Dass Berlin zu einer Armutsmetropole des neuen Deutschland wird ist eine Befürchtung, die täglich ein Stück mehr an Realität gewinnt und mittlerweile durchaus nicht nur von den "Linken" dieser Stadt artikuliert wird.

Der Regierungserklärung von Eberhard Diepgen ist davon jedoch nichts anzumerken. Wenn schon nicht die Einlösung der Wahlversprechen wie "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" oder die "Auflösung des Staus, so wäre doch eine ehrliche Zustandsbeschreibung das Mindeste gewesen, was die Regierung ihren WählerInnen schuldig ist. Doch nichts von alledem. Keine konzeptionellen Ansätze, kein Setzen von Prioritäten in den verschiedenen Politikfeldern, kein Finanzierungskonzept und nicht die Spur einer Vision für diese Stadt.

Für das vom Regierenden angepeilte "Unternehmen Berlin" ist zu befürchten, dass es nur sehr, sehr wenige sind, die Gewinn aus diesem Unternehmen ziehen werden. Und es werden nicht die RentnerInnen, die AusländerInnen, die Kinder, die Behinderten, die Alleinerziehenden, die Abgewickelten, die Jugendlichen oder die erwerbslosen Frauen sein. Es werden wohl hauptsächlich die aus dem Westen stammenden jungen oder auch etwas älteren dynamischen Männer sein - im Volksmund "Besserwessis" genannt -, die in den Chefetagen sitzen.

Von der katastrophalen Arbeitsmarktsituation im Ostteil der Stadt sind Frauen besonders betroffen, ihr Anteil an den Erwerbslosen steigt kontinuierlich. Frauen müssen einmal mehr in der Geschichte die Suppe auslöffeln, die Männer wie Kohl, Krause oder Waigel eingerührt haben. Frauen mit kleinen Kindern, ältere Frauen, Alleinerziehende werden als erste gefeuert und haben kaum Chancen, wieder eine Arbeit zu finden. Die Chancen auf einen Umschulungsplatz sind auch gering, da die Altersgrenze z. T. bei 35 Jahren liegt.

Bei vielen Alleinerziehenden ist das Absinken unter die Armutsgrenze durch den Verlust der eigenen Einkünfte und oftmals durch verringerte Unterhaltszahlungen schon programmiert.

Wiedereinsteigerinnenprogramme mögen in der alten Bundesrepublik ihre Berechtigung haben, für Frauen aus der DDR, die fast alle berufstätig waren, wären Nichtaussteigerinnenprogramme wohl eher das Richtige.

Tendenziell zeichnet sich ab, dass vor allem Freuen zu Langzeiterwerbslosen werden. Vermittlungschancen haben sie in Ostberlin eigentlich nur noch in Reinigungsberufen. Womit wie wieder bei dem Bild vom Unternehmen Berlin wären Wer den Dreck in diesem Unternehmen beseitigt, ist schon entschieden.

Der Senat ist aufgefordert, dafür zu sorgen, dass in den Bereichen, in denen Arbeitskräftebedarf prognostiziert wird, Frauen die ihnen zustehenden Chancen erhalten. Qualifizierungsangebote dürfen nicht ins Blaue hinein stattfinden, sondern müssen am wirklichen Bedarf ausgerichtet sein. Art und Weine von Qualifizierung und Umschulung müssen sich an weiblichen Lebensmustern orientieren. ABM ist kein gesellschaftliches Wundermittel, und auch die Verdoppelung der Mittel dafür wird keinen Erfolg bringen, wenn es keine ausreichende Infrastruktur gibt.

Das sind Mammutaufgaben, die auf die Senatorin für Arbeit und Frauen zukommen und bei denen sie jedwede mögliche Unterstützung braucht. Um so empörender ist es, dass die egalitäre Sparpolitik des Senats auch in ihrem Ressort einen Sparzwang von fast 18 Millionen Mark verordnet. Das ist ungefähr so, als wolle man eine allgemeine Diät verordnen, bei der alle fünf Kilogramm abnehmen müssen, auch die, die magersüchtig sind.

Sibyll Klotz
UFV, MdA

PODIUM – die Seite der und für die BürgerInnen-Bewegungen, Initiativen und Minderheiten in der Berliner Zeitung, Nr. 49, Mi. 27.02.1991

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