Zusammen mit der "Scheune" organisierte die IVL zwei Konzerte mit Wolf Biermann an der TU Dresden am 27. und 28.01.1990. Das erste Konzert nach seiner Ausbürgerung 1976 gab Wolf Biermann am 01.12.1989 in Leipzig. Dort sagte er u.a. "Ich bin nicht froh über diese 'Deutschland, Deutschland über alles'-Stimmung. Wir wären schön dumm - ihr wäret schön dumm -, wenn ihr rückwärts laufen würdet ins alte Reich à la Kohl. Besten Dank!"
Im Gespräch mit dem Schriftsteller und Liedermacher Wolf Biermann
Für Wolf Biermann braucht man Zeit. Am Sonnabendabend meinte er: "Auch nach 13 Westjahren bin ich noch in der verrückten Lage, dass man mich eher bitten müsste, aufzuhören ...." Und so war es dann schon fast Sonntag, als das Konzert zu Ende ging. Weil er so lange nicht hier war, hatte er uns eine Menge zu sagen. Auch am Sonntagnachmittag beim Pressegespräch. Allerdings ließ er da erst mal gut eine halbe Stunde auf sich warten. Nicht aus Eitelkeit, davon kriegten wir später noch genug, sondern weil er Tonbänder gehört hatte von der Demo am Montag voriger Woche.
Das provoziert die Frage: Könnten Sie sich vorstellen, hier auf einer Demo zu sprechen oder zu singen?
Ich hab's probiert, in Erfurt auf dem Domplatz. Alle jubelten mir zu, weil ich Dinge sagte, die sie gern hören wollten, aber ich habe sie wirklich so gesagt, wie ich denke. Dann habe ich aber auch gesagt: Ihr redet hier mit Schaum vorm Mund. Ihr seid Feiglinge, ihr seid Kriecher, jahrelang gewesen die meisten von euch. Die Macht der Stasi-Verbrecher bestand zum größten Teil in eurem Mangel an Zivilcourage.
Das war eine Lynchstimmung dort. Die den Mund gehalten haben, wollen jetzt Rache. Die Stasi-Schweine haben das Schlimmste verdient. Aber wir werden uns doch nicht an diesen Schweinehunden selbst zu Schweinehunden machen.
Ich habe die Leute in Erfurt beschimpft, und manche haben sich für den Fußtritt hinterher bedankt. Man hat mir - endlich einmal verwirrt - zugehört. Ich hatte den Eindruck, offen mit ihnen zu reden ist möglich. Aber da kann ich mich täuschen. Vielleicht würde ich in Dresden auf die Schnauze fallen.
Welche Beweggründe haben Sie, nach dreizehn Jahren der Ausbürgerung hier wieder aufzutreten?
Ich will mich nicht abfinden, sondern einmischen. Deshalb singe ich doch hier. Ob ihr nun die Revolution macht oder nicht, ich bin ich, und meine Lieder sind meine Lieder. Sie leben bestimmt länger als diese Revolution, und ich freue mich natürlich, wenn ihr sie brauchen könnt. Ich bin jedoch nicht hierher gekommen, um euch über euer Land zu belehren, und schon gar nicht darüber, was hier werden soll. Das weiß ich noch weniger als ihr. Und, offen gesagt, mich interessiert nicht einmal so genau, wo es hingeht, mich interessiert nur, dass es gut ist. Ihr werdet sowieso machen, wie ihr wollt.
Spielt es für Sie eine Rolle, ob die Einnahmen aus Ihren Konzerten dem Neuen Forum, wie in Jena, oder hier in Dresden der VL zugute kommen?
Zunächst einmal bin ich nicht in die DDR gekommen, um irgendein Geld zu verdienen, ihr seid mir viel zu nah. Was mit den Einnahmen passiert, ist mir egal, wenn ihr's nicht grad den Nazis gebt . . .
Nähe zu diesem Land, das 23 Jahre Ihr Zuhause war - wie sehen Sie die DDR heute?
Das ist ja mein Land hier, und doch bin ich nicht mehr einer von euch. Alles, was mich freut oder ärgert, hängt viel mehr mit diesem Land zusammen als mit jedem anderen. Ich bin viel mehr ein Ostmensch als ein Westmensch. Das Lied "Ich bleib immer die, die aus'm Osten" für Eva-Maria Hagen ist natürlich auch eins für mich selber. Ich hätte es sonst nicht schreiben können. Für mich ist die DDR immer noch das interessantere Deutschland.
Sie wissen, dass Sie da eine andere Meinung haben als die Leute, die bei uns das Volk sind?
Ja, ich weiß. Dieselben Leute, die immer Honecker zugejubelt haben, rufen jetzt "Helmut, Helmut". Ehrlich gesagt, so richtig erschüttern kann mich das nicht. Deutschland, ich glaube, das ahnt ihr selbst schon ganz dunkel, Deutschland ist nicht das Zentrum der Welt. Dass die DDR jetzt, wo sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Hauch von Souveränität kriegt, kein Anhängsel irgendeiner Supermacht ist, dass sie da sogleich rüberkippt in den Westen und sich auf den Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik begibt, also ich finde das schade. Als Tierversuch, schade. Das Leben im Westen ist viel leichter und viel besser als hier, aber das nützt dir nichts - die Spielregeln sind anders. lm Westen läuft alles über das Geld, hier über die Macht. Deshalb sind die Leute, die aus der DDR kommen, im Westen so hilflos. Das Schlimmste an dieser verfluchten Zeit waren doch nicht die abgeblätterten Fassaden und dass es nicht genug Käsesorten gab. Das Schlimmste war der Käse in den Menschen drin, die abgeblättertsten Fassaden waren in den Menschen selbst, die schlimmsten Ruinen. Die Menschen verlassen das Land, aber sie nehmen sich doch selber mit, sie können sich nicht entwischen. Vor zwei Monaten schrieb ich im ersten Schreck das Lied "Verkauft nicht die ganze bankrotte Firma". Ich glaubte, zum ersten Mal in meinem Leben mit meiner Ansicht zu einer Mehrheit zu gehören. Heute bin ich mit dem "Wir sind das Volk, wir bleiben hier, wir wollen unsre eignen Fehler machen, nicht die des Westens noch einmal" schon wieder in der Minderheit.
In einem anderen Ihrer Lieder heißt es "Ich lebe noch immer den Traum der Kommune . . ." Hat das in dieser Zeit noch Gültigkeit für Sie?
Das Wort "Kommunist" wird am liebsten nicht mehr gebraucht, weil es sich ins Gegenteil verkehrt hat. Da müssen wir uns ein neues Wort ausdenken für dieselbe Haltung. Aber was sind Worte - an unseren Taten wird man uns erkennen. Der Kommunismus-Begriff muss beerdigt werden, damit er wieder auferstehen kann, denn die Idee von einer gerechten Gesellschaft ist nicht erst in den letzten vierzig Jahren erfunden worden, die ist alt wie die Menschheit . . .
Ich glaube, wenn du wirklich links bist, darfst du dich nicht mehr links nennen. So finde ich den Begriff "Vereinigte Linke" ungeschickt, aber nicht tapfer, trotz der langen Alternativhaare mancher Linker. Sich so zu erklären, ist menschlich prima, politisch gesehen rührend und völlig blöd.
Was werden wir von Ihnen bei uns in Zukunft lesen oder hören können?
Wenn's nach mir geht, dann soll mein Gesamtwerk hier erscheinen. Amiga hat mir vor zwei Monaten angeboten, dass sie jederzeit alles von mir machen, und Reclam will schnellstens ein Manuskript. Aber jetzt sollen die mich am Arsch Lecken. Für so ein schnelles Nudelbändchen bin ich zu alt und zu berühmt. Aber vielleicht ist das auch die Wut, die ich auf die alten Schweine noch habe, ich durchschaue mich da selbst nicht. Und welche Lieder sollte ich auswählen? Das halte ich einfach nicht aus. Vielleicht kann Amiga erst mal meine neueste Platte, die ich demnächst produziere, übernehmen. Und meinem Verlag in Köln habe ich gesagt, sie sollen es so machen, dass die DDR meine Werke ohne Devisen kriegt. Damit ihr nicht für das, was euch sowieso gehört, auch noch die wertvollen Devisen ausgeben müsst, die ihr für andere Dinge notwendiger braucht.
(Im Gespräch mit Wolf Biermann waren Birgit Grimm und Cornelia Resik.)
aus: Sächsische Zeitung, Nr. 25, 30.01.1990, 45. Jahrgang, Tageszeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur, Herausgeber: Verlag Sächsische Zeitung
Sind die Linken blöd?
Damit ich dich richtig missverstehe
Eine gekürzte Passage des Biermann-Interviews am Dienstag auf S. 4 der SZ stieß auf heftige Kritik bei Vertretern der Initiative für eine Vereinigte Linke. Wir wollen keine Missverständnisse und drucken deshalb, in Absprache mit der VL, Aussagen des Liedermachers im Wortlaut nach:
". . Und niemand wurde in dieser Zeit des gesunden, blühenden Stalinismus so wütend verfolgt wie die linken Kritiker. Rechte Kritik war auch unwillkommen, aber sie wurde doch viel gnädiger abgetan als die linke, die Innere, ja, wenn die eigenen Kinder mit den eigenen Maßstäben, mit dem eigenen geistigen Arsenal gegen dich losziehen, da schreiste eben. Deswegen ist es heute so kompliziert, Worte wie Kommunismus oder Sozialismus oder Links oder Vereinigte Linke zu verwenden. Ich würde mich nicht so nennen. Natürlich, ich finde es gut. In Spanien sind die Vereinigten Linken endlich aus der Talsohle rausgekommen, haben Erfolg gewonnen. Aber das ist ein Land das aus dem Faschismus kommt, aus der Francodiktatur, wo die Rechten die Verbrecher waren. Du lebst aber in einem Land, wo die Verbrecher, die Mörder, die Lügner, die Heuchler die waren, die sich links nannten. Und da musst du ja wohl blöd sein, wenn du dich links nennst."
". . . Als Brecht in die Emigration getrieben wurde, nach Dänemark, traf er dort den stalinistischen Romanschriftsteller dänischer Zunge, Martin Andersen Nexö. Und das war die Zeit des Hitler-Stalin-Paktes, als die beiden Verbrecher im ersten Kuss, in den Flitterwochen waren. Und da kam dieser Nexö gerade von einer revolutionstouristischen Reise aus der Sowjetunion, und die Genossen in Moskau hatten ihn auf die neueste Linie getrimmt, dass Hitler prima ist und dass er der natürliche Verbündete der SU ist. Und der Brecht hört diesen Nexö so reden, er wandt sich mit Schaudern davon. Da siehst du, wie so die Begriffe flirren . . . Es kommt immer darauf an, was du willst. Und deswegen ist, nach meiner Meinung, im Sinne deiner Interessen, sowie ich dich richtig missverstehe, das vollkommen ungeschickt und nicht tapfer. Jetzt, wo sie alle nach rechts rücken und Deutschland, Deutschland, Helmut, Helmut schreien, nicht wahr - da stehst du mit deinen langen Alternativhaaren und sagst: Ich bin links. Das ist menschlich prima, hat meine ganze Sympathie, ohne ein Wort von Ironie, das weiß du doch, aber es ist vollkommen blöd, politisch blöd. Nach meiner Meinung, nach was denn sonst, ich bin ja kein Regierungssprecher: ungeschickt, rührend und blöd."
". . . Ich habe beobachtet, auch in Ostberlin, dass die Linken, die gekämpft haben, wie er zum Beispiel (gemeint ist ein Vertreter der VL), dafür gequält wurden, eingesperrt wurden, gedemütigt wurden, im Grunde sehr gütig sind: Nur die Duckmäuser, die gelernten Untertanen, die reden jetzt Schaum vor dem Mund, die brüllen nach Rache. Da muss man kein großer Psychologe sein, um das zu durchschauen. Der Hass gegen diese Verbrecher, den sie mit Schaum vor dem Mund äußern, ist der Hass, den sie gegen sich selbst haben."
aus: Sächsische Zeitung, Nr. 29, 03./04.02.1990, 45. Jahrgang, Tageszeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur, Herausgeber: Verlag Sächsische Zeitung