"Eine direkte Gefahr für das Establishment"
Der MORGEN sprach mit dem Schriftsteller Stefan Heym / Die deutsche Gegenwart bleibt auch künftig das Thema seiner Bücher
MORGEN: Dieses Interview hat eine Vorgeschichte. Vor rund 15 Jahren gab es eine Pressekonferenz des Verlags Neues Leben zu einem damals erscheinenden Heym-Buch. Nach dem Gespräch bat ich Sie, ich hatte meine Arbeit beim MORGEN als Redakteurin gerade begonnen, um ein Interview, das Sie zusagten. Als ich aber in der Redaktion davon erzählte, wurde mir dringend abgeraten, denn im MORGEN könne man ein solches Interview nicht drucken. Dies ist nun mein zweiter Versuch.
HEYM: Heute dürfen Sie dieses Interview machen, doch es sind noch gewisse Ähnlichkeiten mit jener Vergangenheit da. Es ist nur gut, dass ich noch lebe.
MORGEN: Ihre Bücher und Äußerungen in den westdeutschen Medien gaben Menschen in der einstigen DDR Halt, vermittelten Mut und waren auch Trost. Woher, glauben Sie, kommt das?
HEYM: Ich hab mein ganzes Leben lang auf eine gewisse Weise gelebt, und ich kann jetzt nicht damit aufhören. Ich hab mir unter Honecker erlaubt, meine Meinung zu schreiben und das zu tun, was ich für richtig halte. Ich denke, dass ich das ebenso unter Kohl tun werde. Ob man dafür Unannehmlichkeiten bekommt, das wird sich erweisen. Jedenfalls bin ich zu alt, um mein Wesen noch zu ändern.
MORGEN: Sie hatten unter Honecker den Bonus des Verfolgten, des Emigranten. Man konnte Sie zwar mundtot machen, musste aber gleichzeitig Rücksicht nehmen. Was zählt all das jetzt?
HEYM: So viel galt das damals auch nicht. Im Gegenteil, das war ein Ärgernis. Mir ist erzählt worden, dass Ulbricht zum Beispiel bei einer Gelegenheit angefangen hat, sich aufzuregen über diesen "Amerikaner mit dem DDR-Pass". Nun gut. Wenn damals die Behörden der alten DDR mir Schwierigkeiten machten, dann wurde das im Westen aufgegriffen und wurde benutzt, um nachzuweisen, dass in der DDR die Autoren keine Freiheiten haben. Heute ist es so, wenn ich wieder von den Mächtigen angegriffen werde, durch die ihnen hörige Presse, die FAZ zum Beispiel, dann gibt es kein Land oder kein halbes Land, das protestieren oder mir seine Sympathie zeigen würde. Man ist jetzt wirklich auf sich selber gestellt. Aber das war ich ja vorher auch, etwa in Amerika, wo ich nicht immer in Gunsten stand.
MORGEN: Warum dort?
HEYM: Ich habe einen Arbeiterroman geschrieben über den Bergarbeiterstreik 1949 in Pennsylvania. Dieser Roman wurde nicht eben begrüßt von der Presse. Ich habe einen Roman geschrieben über die Revolution 1948 in der Tschechoslowakei, durch die jene Kommunisten an die Macht kamen, die heute die Macht verloren haben; auch der wurde seinerzeit in Amerika schlecht aufgenommen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es notwendig war, diese Bücher zu schreiben. Und dann habe ich ja auch einen deutschen Arbeiterroman geschrieben, der hieß "5 Tage im Juni" und der wurde auf beiden Seiten, in beiden deutschen Staaten verdammt, aber noch heute hat er seine Aktualität. Im Grunde ist es so, dass über den Wert oder Unwert einer Literatur auch jene, die nachher kommen, etwas zu sagen haben. Leider bin ich dann nicht mehr da, kann mich nicht freuen, kann mich auch nicht ärgern.
MORGEN: Sie erwähnten das Buch über die Tschechoslowakei; ihre Verbindung zu diesem Land war stets eng. Vaclav Havel ist heute Staatspräsident, Pavel Kohout einer seiner Berater. Warum ist so etwas nicht in Deutschland möglich?
HEYM: In diesem Roman über die Tschechoslowakei, den ich erwähnte, "Die Augen der Vernunft", habe ich die Rolle und die Persönlichkeit des Schriftstellers dort behandelt, in der Gestalt des Tomas Benda, der in Amerika im Exil war während des Krieges, in die Tschechoslowakei zurückkehrte, dort seine Probleme hatte und am Ende Selbstmord beging. Gott sei Dank hat es sehr viele Autoren in der Tschechoslowakei gegeben, die keinen Selbstmord begingen, sondern die das durchgestanden haben, zum Teil unter großen Opfern. Havel ist im Gefängnis gewesen, andere ebenso. Es gab in der Tschechoslowakei eine richtige Widerstandsbewegung, die Charta 77. Eine Organisation, die viele Jahre hindurch arbeitete und in der Schriftsteller eine große Rolle spielten. Das hat es weder in der Bundesrepublik noch in der DDR gegeben. Bei uns gab es einzelne Schriftsteller, die Widerstand leisteten. Andere zogen es vor, nach Westdeutschland zu gehen, wo sie glaubten, es leichter zu haben als hier. Zum Teil hat sich das bewahrheitet.
MORGEN: Es hat sich hier nicht jenes Bündnis der Arbeiter, der "kleinen Leute" überhaupt und der Schriftsteller hergestellt, dass es in der Tschechoslowakei gab . . .
HEYM: Die CSR war ja mal Teil des österreichischen Kaiserreiches, und in der Befreiungsbewegung der Tschechen spielten die Schriftsteller und Künstler seit je eine führende Rolle. Der erste Präsident des Landes, Masaryk, war ein Universitätsprofessor und ein Schriftsteller. Und wenn sie jetzt wieder einen Schriftsteller als Präsidenten haben, dann ist das eigentlich der zweite dort in dieser Funktion. Dort waren die Intellektuellen immer politisch sehr beteiligt, während das in Deutschland nicht der Fall war. Es gab natürlich Schriftsteller, die politisch eine Rolle spielten, so zum Beispiel Ernst Toller in der Räteregierung in München. Aber allgemein war es doch nicht so.
Und auch jetzt ist es wieder so gekommen, dass - obwohl eine Anzahl von Schriftstellern beteiligt war an der Revolution in den Oktober- und Novembertagen von 1989 - sie doch nicht genügend Organisationskraft und Zusammenhalt besaßen, um politisch zu wirken. Als wir beide - Christa Wolf und ich - am 4. November auf der Plattform standen auf dem Alexanderplatz, da hatten wir vorher überhaupt nicht miteinander geredet. Ich kannte sie natürlich, aber wir haben in keiner Weise politisch zusammengearbeitet. Und so kam es, dass die ganze starke Bewegung am 4. November, die ja von Künstlern, von Schauspielern, eigentlich von Schauspielerinnen organisiert war, verpuffte, ohne politische Auswirkungen zu haben. Stellen Sie sich einmal vor, man hätte damals wirklich zur Machtübernahme aufgerufen, wahrscheinlich wäre es möglich gewesen. Aber es dachte keiner daran. So sind bei uns Schriftsteller nicht Minister geworden oder gar Präsident. Natürlich gibt es einige, zum Beispiel Stolpe, in Brandenburg. Er ist ja nicht nur ein Geistlicher, ein Kirchenbeamter, er ist auch Schriftsteller. Aber er ist nicht als Schriftsteller zum Ministerpräsidenten in Brandenburg geworden sondern als Kirchenmann und sozialdemokratischer Parteimensch.
MORGEN: Die nationale Identität ging in unserem Nachbarland stark von der Literatur aus.
HEYM: Das ist richtig. Die Sprache und die eigene tschechische Literatur spielten in dem Befreiungskampf eine viel größere Rolle als jemals in Deutschland. Nur dürfen wir nicht vergessen, dass sich unter den Führen der Arbeiterbewegung - angefangen mit Marx, Lassalle Schriftsteller befanden. Alles Intellektuelle. Darin liegt auch für die Machthaber eine gewisse Drohung. Und wenn einer ein Intellektueller oder ein Schriftsteller gar ist, dann entsteht ein ganz merkwürdiges Verhältnis zwischen ihm und den Machthabern. Nachzulesen ist das im "König David Bericht" schon aus der biblischen Zeit. Auf der einen Seite finden die Machthaber einen besonderen Kitzel daran, solche "Hofnarren" zu haben.
Sie kommen sich großartig vor, wenn sie die Kultur fördern. Das gilt heute auch für die Industriellen, die Banken, die sich ein Kunstprogramm leisten und Künstler unterstützen, Maler meist. Sich damit einen Ruf zu verschaffen, ist das eine. Andererseits wittern sie immer eine gewisse Gefahr, irgendwas sei faul mit diesen Kerlen, den Künstlern.
MORGEN: Bis zum November '89 galten Sie als oppositioneller Geist. Heute sehen einige Leute im Westen Ihre Rolle auch kritisch. Wie erklären Sie das?
HEYM: Sie können von einem Menschen nicht mehr verlangen, als er zu leisten imstande ist. Ich will nicht von denen reden, die sich absolut angepasst hatten und ihre Geschäfte machten mit der Macht. Aber bei den anderen gibt es eine ganze Skala von mehr oder weniger Mutigen. Die einen haben für den Schubkasten geschrieben, andere ließen halbe kritische Sachen einfließen. Wenn sie damit durchkamen, umso besser. - Ich hatte einfach das Glück, international bekannt zu sein, bevor ich in die DDR kam, und war nicht so leicht zu unterdrücken, als es ums Unterdrücken ging, und konnte mir vor allem erlauben, direkt vorzugehen. Zum Beispiel habe ich die erste Fassung der "5 Tage im Juni" erst einmal vervielfältigen lassen und sie den Teilnehmern der Ereignisse unter den Herren oben vorgelegt und um ihre Meinung gebeten. Da gab es ganz verschiedene Meinungen. Zum Beispiel schrieb mir Warnke, der damals der Chef der Gewerkschaften war, das Buch sei großartig, es sei auch alles richtig, nur die deutsche Arbeiterklasse sei nicht reif, so etwas zu lesen.
Das war auch einer der Gründe dafür, dass ich die Veröffentlichung verschob. Grotewohl war empört über das Buch und Ulbricht reagierte gar nicht, was wahrscheinlich unter den Umständen das Vernünftigste für ihn war, denn wir wissen ja heute, dass er am Entstehen dieses tollen Tages einen Anteil hatte. Aber wir gehen zu weit in die Vergangenheit. Da interessiert doch eher die Gegenwart . . .
MORGEN: Wie sehen Sie die Situation der deutschen Autoren?
HEYM: Wir müssen einfach wissen, dass zu DDR-Zeiten die Autoren meist überschätzt wurden. So viel haben wir nicht bewirken können. Wir haben allerdings ein wenig von dem, was die Leute empfanden, ausdrücken können. Aber es war nicht so, dass wir das Land hätten umstülpen können. Da bedurfte es schon ganz großer weltpolitischer Konstellationen, dafür bedurfte es eines Gorbatschow und der Entwicklung in der Sowjetunion. Ich habe immer gesagt, der Sozialismus könne nur von seinem Zentrum, von Moskau her, verändert werden. Erst als sich dort etwas bewegte, war das auch in Berlin möglich.
MORGEN: Bücher wurden in der Vergangenheit sehr aufmerksam gelesen. Was die Medien nicht leisteten, fand in der Literatur statt. Auch westdeutsche Literaturkritiker feierten die DDR-Widerstandsliteratur, vergaben Auszeichnungen. Jetzt fällt man über Christa Wolf her. Ist dies die Lust auf neue Sensationen?
HEYM: Nein, es geht um mehr, aber reden wir erst von den Auszeichnungen. Ich möchte hinzufügen, dass ich keine westdeutsche Auszeichnung bekommen habe, mich auch nicht danach drängte. Doch, ich muss mich korrigieren, ich bekam einen "Bambi". Das war für den "Collin"-Film und zwar auch nur, weil sie eben meinen Stoff für den Film, den sehr guten Film, benutzt haben. Und der Film bekam den Bambi, und da drückte man mir auch so ein Tierchen in die Hand.
Aber Sie haben natürlich recht; die haben gewisse DDR-Autoren mehr gefördert als einzelne von ihnen das verdienten. Und ein großer Teil des Ärgers derjenigen, die aus der DDR abgehauen oder weggegangen sind oder weggegangen wurden, besteht darin, dass in dem Moment, wo sie in der Bundesrepublik waren, das Interesse an ihnen sofort weg war, während jene Autoren, die hier blieben, schon aus politischen Gründen sehr viel Beachtung fanden. Aber auch hier wieder muss ich der Wahrheit gerecht werden. Ich habe niemals in der "Zeit" und in der "FAZ", die auch heute auf mir herumhacken, eine gute Kritik bekommen. Die waren immer gegen mich und zwar aus ganz anderen Gründen. Ich bin ein realistischer Schriftsteller, das passt nicht in das Konzept des Feuilletons dort, so dass es mich gar nicht überrascht, dass sie heute an der Spitze dieser Intrige gegen die Leute hier stehen.
Aber die Sache hat noch eine ganz andere Bedeutung. Hier in den fünf neuen Bundesländern zeichnen sich starke soziale Konflikte ab, sind teilweise schon ausgebrochen. Und es besteht die Gefahr, dass jene Menschen, die sich wehren möchten gegen all das, gegen Arbeitslosigkeit, gegen die Knappheit des Geldes, sich nach Leuten umsehen, die wieder für sie sprechen können, die ihr Denken und Fühlen in Worte fassen. Und da wenden sie sich natürlich an die paar Schriftsteller, die früher Gedanken und Gefühle der Leute ausdrückten: Christa Wolf, Heym, Christoph Hein und so weiter. Es gibt ein Dutzend davon und es werden neue hinzukommen. Sie bilden dann eine direkte Gefahr für das Establishment. Darum versucht man von vornherein die Schriftsteller zu diskreditieren. Nun will ich damit nicht sagen, dass dies ein zentralgelenktes Unternehmen wäre, wie bei uns in der DDR früher solche Dinge gelenkt wurden von einer bestimmten Stelle im Politbüro aus. Dies ist auch im vereinten Deutschland nicht nötig; die Herren in den westlichen Redaktionen sind ja alte Hasen, auch wenn sie an Jahren mitunter jung sind. Sie wissen ganz genau, was in der Politik gespielt wird, und was die Rolle und Funktion ihres eigenen Blattes ist. Sie brauchen keine Anweisung, sie spüren den Wind und hängen ihr Mäntelchen danach. Und mit dieser Situation sind wir konfrontiert.
MORGEN: Wie reagieren Sie darauf?
HEYM: Natürlich überlege ich mir, was man da macht. Aber ich besitze keine eigene Zeitung. Das Fernsehen, das mir noch gelegentlich Sympathien entgegen brachte, wird nun aufgelöst. Ich kann also nur eins tun, was ich immer getan habe in Amerika und später in der DDR, ich kann schreiben. Und ich schreibe meine Bücher, meine Stories und versuche, dass sie gedruckt werden. Und dann kann ich nur darauf warten, dass sie wirken.
Ich hatte während des Krieges einen Kommandeur, der auch Schriftsteller war, das war Hans Habe. Damals erklärte er mir im Vertrauen, er sei ein noch besserer Kommunist als ich, und Habe sagte mir auch - dies ist nun ernst - bei Kritiken sei nur wichtig, dass sie lang seien und der Name richtig buchstabiert sei, alles andere zähle nicht. Das ist auch meine Stellung gegenüber Verrissen, die jetzt kommen werden. Sie sollen nur schön lang sein.
MORGEN: Bei Lesungen schütten Ihnen Menschen ihr Herz aus. Es ist fast wie in der Kirche, man erwartet Rat. Überfordert Sie das?
HEYM: Sie erwähnten das Wort Kirche. Eigentlich sind ja die Pfarrer für so etwas da. Aber erstens sind viele Leute nicht in der Kirche und zweitens versagen die Pfarrer auch manchmal. Und so habe ich das nicht nur bei Lesungen, dass Menschen mich um Rat fragen, ich bekomme auch Briefe mit solchen Bitten.
Das nimmt natürlich Zeit in Anspruch. Doch ich spüre, dass die Menschen ein Anliegen haben, da kann ich die Briefe nicht in den Papierkorb werfen. Aber es ist sehr schwierig, denn wer bin ich denn, dass ich den Leuten Rat geben kann in ihrem Leben. Ich hab' selber viele Fehler gemacht, so dass ich mich sehr zurückhalte. Man übernimmt ja, wenn man einen Rat gibt, eine Verantwortung. Daher sind mir Fragen allgemeinerer Art nach einer Lesung lieber. Wichtig ist es schon, dass man eine Art Gespräch mit den Leuten führt, die literarisch interessiert sind, die sich dafür einen Abend freinahmen. Darum versuche ich, soweit es meine Zeit und meine Kraft ermöglichen, Lesungen zu haben. Ich hasse es nur, in die Rolle zu geraten, wie sie der Mann, der damals am 4. November auf dem Alexanderplatz die Versammlung leitete, beschrieb, als er mich als "Nestor der Bewegung" bezeichnete. Der Mann hat offensichtlich seinen Homer nicht gelesen, denn dieser Nestor war ein alter Zausel, der sich überall mit seinen Ansichten einmischte, den Leuten etwas vorredete. Das ist im Grunde nicht meine Art, außerdem, ich bin zwar in die Jahre gekommen, aber ich fühle mich noch nicht ganz so alt.
MORGEN: Vor wenigen Tagen erschien Ihr neuestes Buch "Auf Sand gebaut, Geschichten aus der jüngsten Vergangenheit". Wird Sie diese Periode der Veränderung auch weiter beschäftigen?
HEYM: Auch das ist mir wieder zum Vorwurf gemacht worden, dass ich der Erste bin, der Eiligste, der darüber schreibt.
Das, was im letzten Jahr hier geschehen ist, geschieht zu anderen Zeiten in einer viel längeren Periode. Aber das war immer so in der Geschichte, 1789 in Frankreich - auch ein Jahr '89 da drängte sich auf ganz wenige Monate zusammen, was sonst länger dauert. Aber man darf nicht vergessen, dass diese entscheidenden Punkte in der Geschichte vor- bereitet wurden über Jahre hindurch mit kleinen Dingen, die man so recht gar nicht bemerkte, die dann aber zur Spitze, zum Climax führten. Man kann also das Ganze nur in der historischen Entwicklung sehen. Es begann ja damit, dass Menschen die DDR verließen, immer häufiger verließen. Das wurde vom Westen durchaus gefördert schon dadurch, dass sie Anfangsgeld und Wohnung versprachen. Das war eine Art psychologischer Kriegsführung, die ich schwer gut beurteilen kann, weil ich ja während des Krieges psychologische Kriegsführung gemacht habe. All das häufte sich, dazu kamen die katastrophalen Dummheiten der Führung dieser SED-Partei und dieses Landes, die wieder darauf beruhen, dass die herrschenden Genossen ja niemals die Macht selber erobert hatten; sie war ihnen geschenkt worden. Sie wussten, dass sie eigentlich gar nicht legitimiert waren; sie waren Teil einer oktroyierten, einer dem Volke auferlegten Macht. Natürlich unterschied sich das gar nicht vom Westen. Man darf nicht glauben, dass die damals in den drei Westzonen sich eine demokratisch-parlamentarische Regierung gewünscht hätten. Aber immerhin war dieses System angenehmer und akzeptabler als jenes, das die Sowjetrussen in Deutschland hingesetzt hatten.
Die stumpfe, langweilige, unterdrückerische Art hier; die oben waren immer die Besserwisser, sie wussten alles. Wenn sie wenigstens all das getan und darüber geschwiegen hätten! Aber sie empfahlen es noch als der Weisheit letzten Schluss. Sie waren die Klügsten; und dagegen wehrten sich die Leute. Das ist verständlich. Dieser Staat wurde dann so, dass er einfach nicht bleiben konnte.
Nun, glaube ich, sind neue Fakten geschaffen worden, zum Teil sind sie gut, zum Teil sind sie weniger gut. Aber es sind Fakten, wir müssen damit leben, alle, auch ich. Für mich werden nun diese neuen Fakten das Thema meiner Bücher und Stories sein, wie ich das jetzt schon in dem kleinen Büchlein getan habe. Und es ist auch gut so, denn das, was über die DDR eigentlich zu sagen war, das habe ich schon gesagt. Ich hoffe nur, dass ich noch lange genug leben werde, um das Neue literarisch dar stellen zu können.
Das Interview führten
Sabine Karradt
Alexander Fiebig
Der Morgen, Nr. 280, Sonnabend/Sonntag, 1./2. Dezember 1990