Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Die Partei liegt in allen Meinungsumfragen zur Volkskammerwahl vorn - hat sie die Wahl schon gewonnen? JW sprach mit dem Sprecher Steffen Reiche, Theologe, 29 Jahre, Mitglied des Parteivorstandes und Spitzenkandidat der SPD für den Bezirk Potsdam.
Ist die SPD die neue Regierungspartei?
Das haben wir nicht zu entscheiden, sondern die Wähler am 18. März. Wir würden uns freuen, wenn es so wäre. Wir sind bereit Verantwortung zu übernehmen.
"Alles spricht für uns", heißt es auf einigen Wahlplakaten der SPD. Woher nimmt Ihre Partei, die ja - das sollte man sich in Erinnerung rufen - erst im Oktober 1989 und dazu noch illegal gegründet wurde, dieses Selbstbewusstsein?
Die SPD ist die Partei des Volkes. In unserer Partei sind viele derjenigen, die im vergangenen Herbst die Revolution mitgetragen haben. Wir haben damals bei Null angefangen und sind gegenwärtig fast 100 000 Mitglieder. Wir haben Hochburgen in Sachsen, Thüringen und Berlin. Von dort gehen starke Impulse für das ganze Land aus. Die SPD hat eine großartige Tradition und ist frei von jeder Erblast; sie wurde 43 Jahre lang unterdrückt. Deshalb stehen wir als Partei für eine neue Politik, eine neue Wirtschaft, eine neue Moral.
Hat die SPD genügend Kompetenz in ihren Reihen, um die großen Aufgaben zu meistern, die vor unserem Land stehen?
Sicher. Natürlich sind wir noch etwas unerfahren. Doch wer verfügt schon über die Erfahrungen für das was in der DDR jetzt zu gestalten ist, für diese Jahrhundert-Aufgabe? Alle müssen dazulernen. Und dazulernen kann am besten der, der nicht umlernen muss.
Die neue Regierung wird nur noch ein Konkursverwalter sein, sagen viele, die den schnellen Anschluss der DDR an die Bundesrepublik herzustellen hat.
Das sehen wir nicht so. Und die SPD will keinen Anschluss. Wir wollen den Prozess der deutschen Einheit gestalten - dynamisch und verantwortungsbewusst. Wir wollen eine wirkliche Vereinigung der beiden deutschen Staaten, nur darin liegt die Zukunft Deutschlands. Absolut untauglich ist ein bloßer Anschluss der DDR an die BRD auf der Grundlage des Artikels 23 des bundesdeutschen Grundgesetzes. Wir wollen eine neue Verfassung für ein neues Deutschland.
Ist das Wünschenswerte hier noch das Machbare?
Was die Mehrheit wünscht, muss machbar sein. Voraussetzung ist die Einbettung der deutschen Frage in den europäischen Einigungsprozess. Das verlangt vor allem ein gemeinsames Ost-West-Sicherheitssystem, mit unverrückbaren Grenzen, natürlich auch an Oder und Neiße. Dafür stehen wir ein.
Wichtig ist auch eine Sozialunion für den in mehreren Etappen verlaufenden Einigungsprozess. Für das Kapital müssen günstige Bedingungen geschaffen werden, doch die Kosten der Vereinigung dürfen nicht auf die sozial Schwachen abgewälzt werden.
Geht denn beides zusammen?
Es geht nur zusammen. Wir haben dafür ein Programm.
Gibt es so etwas wie DDR-Identität? Was hat die DDR in ein sich vereinigendes Deutschland einzubringen?
Menschen mit klugen Ideen, hohem Ausbildungsstand und großem Engagement. Und wir haben auch interessante Erfahrungen auf sozialem Gebiet gemacht. Wir bringen etwas ein und haben die Chance, etwas Neues zu gestalten.
Vor Wochen noch sprach auch die SPD von einem demokratischen Sozialismus. Nun nicht mehr. Hat sich dieser Sozialismus erledigt?
Wir wollen keine sozialistische Gesellschaft. Wir werden eine soziale, gerechte und ökologische Gesellschaft aufbauen.
Gysi sagte vor kurzem, auf den Unterschied von PDS und SPD angesprochen: Die SPD ist für einen sozialen, ökologischen, reformierten Kapitalismus, die PDS für einen sozialen, ökologischen, reformierten Sozialismus.
Das zeigt, dass Herr Gysi in den alten Schablonen Kapitalismus oder Sozialismus denkt. Das ist überlebt.
Wie will die SPD die marode DDR-Wirtschaft retten?
Wir sind für eine schnelle und durchdachte Währungs- und Wirtschaftsunion. Eine starke Marktwirtschaft brauchen wir für die ökologische Erneuerung und für die soziale Gestaltung der Gesellschaft. Die SPD denkt, dass diese drei Komponenten in Einheit zu verwirklichen sind. Wir verfügen über große Kompetenz auf diesen Gebieten. Dabei werden uns die Gewerkschaften ein starker Bündnispartner sein.
Man sieht's und hört's: Sie bekommen große Hilfe aus der BRD. Ist die DDR-SPD ein Wurmfortsatz der Bonner SPD?
Wir haben uns als eigenständige Partei gegründet und sind es heute noch. Aber jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. Das gilt auch für die SPD. Hilfe nehmen wir deshalb gern an. Zudem: Es ist Wahlkampf in Deutschland, es gibt keinen reinen DDR-Wahlkampf mehr. Was in einer der beiden deutschen Republiken entschieden wird, hat für die Menschen in ganz Deutschland große Bedeutung.
Es heißt, Christa Müller aus der Bonner SPD-Zentrale, die Lebensgefährtin von Oskar Lafontaine, dirigierte Ihr Programm in die gewünschte Richtung . . .
Frau Müller hat an einigen Sitzungen teilgenommen und wertvolle Erfahrungen vermittelt. Wir haben gemeinsame Ziele, doch unterschiedliche Aufgaben. Deshalb haben beide Parteien einen gemeinsamen Ausschuss gebildet. Dort denken wir gemeinsam noch und arbeiten an dem Programm für eine gemeinsame Zukunft.
(Das Gespräch führte
Jens König)
Junge Welt, Sa. 24.02.1990