SDP auf dem Weg zu einer Volkspartei
BZ-Gespräch zu politischen Zielstellungen
Über politische Zielstellungen und aktuelle Vorhaben der SDP sprach BZ mit Anne-Kathrin Pauk, 1. Sprecherin des SDP-Bezirksvorstandes Berlin, und mit dem 2. Sprecher, Dankwart Brinksmeier.
BZ: Die Traditionen der Sozialdemokratie reichen bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück. Auch sozialdemokratische Politik war dem Wandel der Zeiten unterworfen, entwickelte sich entsprechend nationalen Besonderheiten. Worauf legt die SDP unter den Bedingungen unseres Landes besonderen Wert?
A.-K. Pauk: Die SDP greift auf die sozialdemokratische Tradition einer großen Arbeiterpartei zurück. Sie will zu einer modernen Partei für Arbeiter und Angestellte, für alle Werktätigen, zu einer echten Volkspartei werden.
Traditionen wurden mit Druck beseitigt
D. Brinksmeier: Man darf nicht vergessen, sozialdemokratische Traditionen sind von der SED seit 1949, noch mehr aber seit dem Tode Otto Grotewohls mit Druck und Gewalt beseitigt worden. Darum sah die SDP bei ihrer Gründung am 7. Oktober vergangenen Jahres keine Möglichkeit, innerhalb vorhandener Parteien sozialdemokratisches Gedankengut einzubringen, zu dem auch der Begriff soziale Marktwirtschaft gehört.
BZ: Marktwirtschaft ist ein Reizwort. Die Assoziationskette soziale Marktwirtschaft = BRD Wohlstand durfte für so manchen naheliegend und damit politisch durchaus brauchbar sein. Jedoch sind ihre Schattenseiten nicht zu übersehen.
A.-K. Pauk: Der Begriff gehört nun einmal zur Sozialdemokratie. Er ist allerdings nicht ganz treffend, weil sich sozial und Marktwirtschaft eigentlich ausschließen. Markt ist der absolute Zugriff ökonomischer Interessen. Darum wollen wir sein soziales Funktionieren durch die Wirtschaftsbedingungen, durch entsprechende soziale Verteilung gesichert wissen.
BZ: Mit ähnlichen Zielen sind auch andere Parteien und Bewegungen angetreten.
A.-K. Pauk: Für uns ist eine funktionierende Wirtschaft das A und O. Die SDP sieht es als vordringliche Aufgabe an, die bankrotte Planwirtschaft mit vorsichtigen Schritten, aber so schnell wie möglich, in marktwirtschaftliche Mechanismen überzuleiten. Dabei sind uns die Traditionen der Arbeiterbewegung wichtig, vor allem freie Gewerkschaften mit der gesetzlichen Garantie des Streikrechts und mit Tarifautonomie.
Für die Organisation der sozialen Bedingungen wollen wir ein Konzept schaffen, wie zum Beispiel Absicherung des Existenzminimums - auch bei Arbeitslosigkeit - und Umschulungsmöglichkeiten. Bei den notwendigen Umstrukturierungen sollte keiner durch das Netz fallen.
D. Brinksmeier: Die Betroffenen müssen ihre eigenen Interessen in die Hand nehmen können. Strukturen zu schaffen, die das gewährleisten, dafür fühlt sich die Sozialdemokratie verantwortlich. Ebenso wie für wirkliche Demokratisierung und Öffnung in allen Bereichen. Als Perspektive dafür sehen wir eben eine starke, effektive Marktwirtschaft, die unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten zu organisieren ist. Da würde sich auch eine gemeinsame sozialdemokratische Politik in beiden deutschen Staaten anbieten.
BZ: Worin sehen Sie weitere Gemeinsamkeiten mit der SPD?
A.-K. Pauk: In der Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten. Sie ist nur innerhalb einer europäischen Friedensordnung zu beantworten. Auch das Bekenntnis zur Abrüstung haben wir gemeinsam.
Ich mochte noch ergänzen: Wir fühlen uns genauso der osteuropäischen Sozialdemokratie verpflichtet und wollen der Sozialistischen Internationale beitreten. Nicht zuletzt um deren reiche Erfahrungen zu nutzen.
Natürlich gibt es besondere Verbindungen zur SPD, durch den gemeinsamen Kulturraum und gemeinsame historische Wurzeln. Von den Sozialdemokraten der BRD brauchen wir allerdings auch Hilfe, weil hier noch geblockt wird.
BZ: Freitag Abend beginnt die 1. Delegiertenkonferenz der SDP. Sie wird sicher zur Positionsbestimmung der Delegierten aus den verschiedenen Landesteilen beitragen, wahrscheinlich eine Namensänderung bringen.
A.-K. Pauk: Eine so junge Partei wie die SDP muss sich formieren, das ist schwierig. Ich erwarte eine Orientierung der Partei, das Klarwerden über Differenzen. Wir werden Wahlaussagen treffen und den Wahlkampf vorbereiten. Das ist ein erster kleiner Schritt zur Volkspartei, auf den ich mich sehr freue. Und ob SDP oder SPD - darüber müssen die Delegierten entscheiden.
Wahlkampf sollte sauber geführt werden
BZ: Der Wahlkampf ist eröffnet. Schon jetzt sehe ich die Gefahr, dass es bei dem Gerangel um Profile und Prozente kaum sachlicher zugeht als in der BRD. Zumal der Wahlkampf einiger Parteien ja grenzüberschreitend sein wird.
D. Brinksmeier: Es wäre zu wünschen, dass der Wahlkampf sauber geführt wird. Wir wollen ihn daran messen, ob Parteien für sich oder die Menschen eintreten. Das ist ein Anspruch. Ich weiß allerdings nicht, ob er realisierbar ist. Emotionen werden vielleicht überschwappen. Das ist normal nach so langer Zeit, in der es keine freien Wahlen gab.
Das Gespräch führte
Bettina Urbanski
aus: Berliner Zeitung, 11.01.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 9. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.