Werdendes Leben schützen.

Also

Mehr für geborenes Leben tun.

In den nächsten Tagen wird die SPD in den Bundestag einen "Gesetzentwurf zum besseren Schutz werdenden Lebens und der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches" einbringen. Grüne, FDP, Bündnis 90 und PDS tragen ihn nach Aussagen von Angelika Barbe, SPD-Präsidiumsmitglied, mit. Eile ist geboten, um die günstigen Mehrheitsverhältnisse vor den Dezemberwahlen nutzen zu können.

Frau Barbe, dass der Paragraph 218 gestrichen werden soll, ist klar. Stehen Sie zur ersatzlosen Streichung?

Ich persönlich ja. Diese Haltung ist jedoch nicht konsensfähig. Unser Entwurf schlägt eine Fristenlösung bis zur 12. Schwangerschaftswoche vor. Wir sind gegen eine Zwangsberatung. Wir haben auch Kontakt zu katholischen Beratungsstellen aufgenommen, die sagen, eine Beratung mit einem vorgesehenen Ziel durchzuführen gehe überhaupt nicht. Um der Verfassung gerecht zu werden, setzen wir auf eine Informationspflicht durch den Arzt, der die Schwangerschaft feststellt.

Ist das nicht bloß ein anderes Wort für Zwangsberatung?

Nein. Alle Frauen - egal ob sie sich ihr Kind wünschen oder nicht - erhalten Informationen über finanzielle, wirtschaftliche, soziale, familiäre Hilfen und Rechtsansprüche für Mutter und Kind. Über dieses Informationsgespräch wird eine Bescheinigung ausgestellt. Will die Frau die Schwangerschaft abbrechen, kann sie sich im Konfliktfall an spezielle, anerkannte Beratungsstellen wenden. Einen allgemeinen Anspruch auf Beratung vor und nach einer Geburt, vor und noch einer Interruption, aber auch für Familien und Partnerschaften halten wir für wichtig, ohne irgendwo Druck auszuüben.

Auch Gegner des legalen Schwangerschaftsabbruchs fordern von der Regierung immer wieder, mehr für Familien mit Kindern zu tun.

Wer werdendes Leben besser schützen will, muss mehr für geborenes Leben tun. Familien mit Kindern brauchen mehr Fürsorge durch die Gesellschaft. Deshalb sieht unser Entwurf eine umfassende Sexualerziehung und -beratung sowie einen ganzen Katalog von zusätzlichen Hilfen für Schwangere. Kinder und Familien vor.

Die SPD muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, dass ihre Ideen nicht finanzierbar seien. Wie ist es in diesem Fall?

Milliarden könnten aus dem Stopp des Jäger-90-Projektes fließen. Dazu liegt ein konkretes Konzept vor. Eine Steuerumverteilung wäre ein weiterer Weg. In Schweden gibt es zum Beispiel das Modell einer Elternversicherung, in die jeder Erwachsene, egal ob er Kinder hat oder nicht, einen Betrag einzahlt. Von diesem Geld werden dann beispielsweise Kinderprojekte und bedürftige Familien unterstützt. Firmen erhalten aus diesem Fonds Zuschüsse, wenn sie Frauen mit Kindern einstellen.

Im SPD-Gesetzentwurf taucht unter anderem Kündigungsschutz für Schwangere auf und die Unzulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse ohne sachlichen Grund, durch die heute auch schwangere Frauen ihren Arbeitsplatz häufig verlieren. Das kostet die Unternehmen Geld. Werden Sie sich gegen deren zu erwartende Widerstände durchsetzen können?

Über die Steuerpolitik ist das Ziel zu erreichen. Wenn eine Firma beispielsweise für die Einstellung von 50 Prozent Frauen in einem Betrieb und für spezielle Frauenqualifizierung nennenswerte Steuernachlässe erhält, werden Unternehmer anders über das Problem denken. Durch ein Antidiskriminierungsgesetz, das ebenfalls bald auf der Tagesordnung im Bundestag stehen muss, werden Frauen aufgrund ihres Geschlechtes nicht mehr benachteiligt werden können.

Sie haben die Quotierung in Firmen angesprochen. Wie hält es denn die SPD damit?

Die West-SPD hat sich strikt an ihre Quote 40 Prozent Frauen, 60 Prozent Männer gehalten. Beim gegenwärtigen Aufstellen der Listen zur Bundestagswahl wird sich zeigen, ob wir als vereinigte SPD glaubwürdig in diesem Punkte bleiben.

An Ihrer Bürotür hängt der Spruch: "Mein lieber Mann, bist du stark genug für Gleichberechtigung?" Sind es die Genossen neben Ihnen?

(Schmunzeln) Es gibt viele. Die anderen werden mit weiblicher Hilfe noch gestärkt.

Interview: Almuth Nehring

Junge Welt, Nr. 250, Do. 25.10.1990

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