Zu den neuen Reiseregelungen
DDR-Innenminister Friedrich Dickel gab am 10. November 1989 im Fernsehen der DDR zu den neuen Reiseregelungen folgende Erläuterungen:
Liebe Bürgerinnen und Bürger!
Vertrauensvoll wende ich mich in dieser Stunde an Sie in einer Frage, die uns alle bewegt und uns alle angeht. Wie Sie über die Medien unseres Landes informiert sind, hat der amtierende Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik am Donnerstag mit sofortiger Wirkung neue Regelungen für Privatreisen und ständige Ausreisen von Bürgern der DDR ins Ausland beschlossen. Die Regierung entsprach damit zahlreichen Anträgen, Vorschlägen und Kritiken von Bürgern, Organisationen und Institutionen, wie sie in der derzeitigen öffentlichen Aussprache zum Reisegesetzentwurf unterbreitet wurden. Die neuen Regelungen sehen vor, dass ab sofort alle Volkspolizei-Kreisämter in der Deutschen Demokratischen Republik Anträge auf Privatreisen nach dem Ausland, insbesondere in die BRD und nach Westberlin, entgegennehmen und kurzfristig entscheiden. Die Bemühungen sind darauf gerichtet, dass eine Entscheidung möglichst noch am selben Tag erfolgt. Gleiches gilt für ständige Ausreisen. Das Visum für Privatreisen wird in den Pass oder, sofern die Bürger noch nicht über einen solchen verfügen und die Reise sofort erfolgen soll, in den Personalausweis eingetragen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen, dass es sich bei dieser Regelung nicht um eine zeitlich befristete Maßnahme handelt. Sie ist von Dauer und wird zu den Grundlagen des neuen Reisegesetzes gehören. Die Bürger unseres Landes können sich voll darauf verlassen und brauchen keine übereilten Entschlüsse zu treffen. Die Bearbeitung und schnelle Entscheidung von Reiseanträgen erfolgt in den Dienststellen des Pass- und Meldewesens, die an jedem Tag, auch an diesem Wochenende, für die Bürger geöffnet sind.
Ich bitte Sie um Verständnis, dass es im Interesse einer zügigen und ordnungsgemäßen Bearbeitung von Reise- und Ausreisewünschen liegt, wenn sie zu dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem dies der Bürger beabsichtigt. Jede übereilte Antragstellung, ausgenommen natürlich in dringenden Fällen, bringt Erschwernisse für Sie selbst mit sich und beeinträchtigt den reibungslosen Arbeitsablauf.
Ich darf Sie in diesem Zusammenhang weiter darüber informieren, dass wir in Verhandlungen mit dem Senat von Berlin (West) stehen, um kurzfristig neue zusätzliche Grenzübergangsstellen in der Hauptstadt der DDR zu Berlin (West) zu eröffnen. Gedacht ist dabei unter anderem an die Straßenübergänge Eberswalder Straße, Potsdamer Platz, Glienicker Brücke, Falkenseer Chaussee. Gleichzeitig wird die Öffnung neuer U-Bahnhöfe in Betracht gezogen, zum Beispiel am U-Bahnhof Jannowitzbrücke. Zur Anbindung an den Westberliner Nahverkehr sollen folgende Busanschlüsse geschaffen werden: vom S-Bahnhof Wannsee nach Potsdam-Bassinplatz, vom U-Bahnhof Rudow zum S-Bahnhof Berlin-Schönefeld, vom U-Bahnhof Tegel nach Henningsdorf, vom U-Bahnhof Rathaus Spandau nach Nauen, den Bus 65 über Übergang Sonnenallee bis S-Bahnhof Baumschulenweg.
Liebe Bürgerinnen und Bürger!
Die Regierung der DDR steht zu ihrem Wort. Sie ist ernsthaft bemüht und fest entschlossen, unseren Bürgern Bedingungen im Reiseverkehr zu schaffen, die ihren Interessen und Wünschen entsprechen. Dem dienen auch die neuen Reiseregelungen. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, sie so zu handhaben und zu nutzen, dass den Anträgen der Bürger schnell und unbürokratisch Rechnung getragen und zugleich die Sicherheit an unseren Grenzen gewahrt wird. Dazu gehören auch weitergehende Schritte zur Vereinfachung des Grenzregimes an der Staatsgrenze zur BRD, die wir auf der Grundlage des Aktionsprogramms der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und unter Berücksichtigung vieler Vorschläge und Anregungen der Bürger gegenwärtig vorbereiten. Sie sehen unter anderem vor, die Tiefe des Grenzgebietes drastisch zu verringern und Städte, Gemeinden, Ortschaften, Betriebe und Einrichtungen weitestgehend aus dem bisherigen Grenzgebiet herauszunehmen. Das wird auch für die dort lebenden Bürger große Erleichterungen bringen und Belastungen für die Volkswirtschaft abbauen helfen. Diese Veränderungen werden noch im Dezember dieses Jahres wirksam. Ich darf sagen, dass ab sofort die Dienststellen der Deutschen Volkspolizei angewiesen sind, die Einreise in das Grenzgebiet und den Aufenthalt unbürokratisch, schnell und großzügig zu gestalten. Wir beabsichtigen auch, mit der Regierung der BRD die Eröffnung zusätzlicher Grenzübergangsstellen an der Staatsgrenze zur Bundesrepublik zu vereinbaren.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, unsere Regierung vertraut darauf, dass Sie durch besonnenes und verantwortungsbewusstes Verhalten mit dazu beitragen, dass der grenzüberschreitende Reiseverkehr auf der Grundlage der neuen Regelungen geordnet verläuft, der derzeitige große Andrang bewältigt wird und normale Verhältnisse an den Grenzübergangsstellen eintreten.