Erklärung des Regierungssprechers

1. Die Regierung der DDR hat ein weitgehendes Interesse am Abbau der militärischen Konfrontation in Mitteleuropa durch die gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen.

In diesem Sinne erbrachte und erbringt sie einseitige Leistungen und unterstützt sie die eingeleiteten einseitigen Verminderungen sowjetischer Streitkräfte vom Territorium der DDR. Diese Leistungen sind vom Standpunkt der militärischen Potentiale von erheblichem Gewicht. Die Feststellung in NATO-Kreisen, dass sich die Vorwarnzeit für die NATO bereits jetzt von 48 Stunden auf 6 Wochen verlängert hat, spricht für sich. Die Regierung der DDR unterstützt uneingeschränkt den Vorschlag der UdSSR, bis zum Jahre 2000 Streitkräfte aller Staaten von fremden Territorien abzuziehen.

2. Was die Stationierung sowjetischer Truppen (Westgruppe) auf dem Gebiet der DDR betrifft, so ist sie eine unmittelbare Folge des zweiten Weltkriegen, geregelt durch alliierte Vereinbarungen. Gleiches trifft für die Stationierung der Truppen der Westmächte auf dem Territorium der BRD zu. Die Herausbildung zweier souveräner deutscher Staaten im Ergebnis der Nachkriegsentwicklung hat das Recht zur Truppenstationierung nicht aufgehoben. Die konkreten Modalitäten der Stationierung wurden zwischen der DDR mit der UdSSR bzw. der BRD mit den drei Westmächten vereinbart (Stationierungsverträge). Zur Ablösung der Vereinbarungen bzw. der Viermächterechte und -verantwortlichkeiten bedürfte es daher sowohl vierseitiger Entscheidungen der Großmächte als auch vertraglicher Abmachungen mit den Stationierungsstaaten DDR bzw. BRD.

Der Status sowjetischer Truppen auf dem Gebiet der DDR unterscheidet sich damit grundsätzlich von jenem der in Ungarn und der ČSSR stationierten (Südgruppe, Zentralgruppe). Letztere befinden sich dort im Ergebnis der Ereignisse von 1956 in Ungarn bzw. 1968 in der ČSSR und der in diesem Zusammenhang geschlossenen bilateralen Abkommen sowie von getroffenen Bündnisabsprachen.

3. Die DDR wirkt aktiv auf ein Abkommen in Wien über drastische Reduzierungen konventioneller Streitkräfte in Europa noch im Jahre 1990 hin. Würden die vorgeschlagenen Reduzierungen zum Tragen kommen, wäre dabei auch der weitere Abzug sowjetischer Streitkräfte mit ihren Rüstungen vom Gebiet der DDR wie anderer Großmächte vom Territorium der BRD eingeschlossen. Dem sollten sich nach Auffassung der DDR unverzüglich weitere Verhandlungen (Wien II) über noch tiefere Einschnitte in die Militärpotentiale des Warschauer Vertrages und der NATO anschließen.

Bauern-Echo, Nr. 25, Di. 30.01.1990

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