Briefe von Hans Modrow an Michail Gorbatschow und Helmut Kohl

Sehr geehrter Michail Sergejewitsch Gorbatschow!

Die Sorge um die Sicherung eines ausgewogenen und konstruktiven Verlaufs des europäischen Prozesses sowie um ein geordnetes Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten, eingebettet in diesen Prozess, bewegen mich, Ihnen als höchstem Repräsentanten der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken beiliegende Erklärung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu den Eigentumsverhältnissen zu übermitteln.

Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik geht davon aus, dass die Eigentumsordnung der Deutschen Demokratischen Republik, wie sie sich nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone herausgebildet hat, bei Schaffung einer Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft mit der Bundesrepublik Deutschland und auch in einem späteren einheitlichen Deutschland nicht in Frage gestellt werden darf.

Ich darf daher die Bitte äußern, dass die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken mit ihren Rechten als Siegermacht des zweiten Weltkrieges in Bezug auf ein späteres Gesamtdeutschland sowie unter Nutzung ihres bedeutenden internationalen Einflusses für die Sicherung der Eigentumsverhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik eintritt.

Es war stets Anliegen der vielseitigen Zusammenarbeit unserer beiden Staaten und Völker, Grundlagen des Hitlerfaschismus zu zerschlagen und insbesondere durch die Schaffung des Volkseigentums sowie genossenschaftlicher Eigentumsformen soziale Errungenschaften für die Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik zu gewährleisten und auszubauen.

Ein gemeinsames koordiniertes Auftreten der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zur Erhaltung der bestehenden Eigentumsordnung in der Deutschen Demokratischen Republik könnte im einzelnen durch die Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten beider Seiten abgestimmt werden. Dies gilt insbesondere für die vorzubereitende Konferenz der vier Siegermächte mit den beiden deutschen Staaten.

Ich darf in diesem Zusammenhang erwähnen, dass meine Regierung in zunehmendem Maße von großer Sorge erfüllte Fragen vieler Bürger und gesellschaftlicher Organisationen erhält, die Rechtssicherheit fordern und ihre Erwartung äußern, dass vierzig Jahre harter Arbeit zur Schaffung und Mehrung des Volksvermögens der Deutschen Demokratischen Republik nicht umsonst gewesen sein dürfen.

Für eine positive Reaktion und Unterstützung der Deutschen Demokratischen Republik zu diesem aufgeworfenen Fragenkomplex wäre ich Ihnen im Namen des Volkes der Deutschen Demokratischen Republik dankbar.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Ausgehend von unserer gemeinsamen nationalen Verantwortung für die angestrebte Herbeiführung der deutschen Einheit in Übereinstimmung mit den vier Mächten und den europäischen Nachbarländern darf ich Ihnen beiliegende Erklärung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu den Eigentumsverhältnissen zur Kenntnis geben.

In diesem Zusammenhang möchte ich Sie darüber informieren, dass meine Regierung zunehmend von großer Sorge getragene Fragen von Bürgern, gesellschaftlichen Vereinigungen und Parteien erreichen, in denen Rechtssicherheit zu den Eigentumsverhältnissen in der Deutschen Demokratischen Republik im Zusammenhang mit den aufgenommenen Verhandlungen über eine Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft gefordert wird.

Darüber hinaus scheint es mir nicht nur unter dem Gesichtspunkt des deutschen Einigungsprozesses, sondern auch im Hinblick auf einen weiteren konstruktiven Verlauf der gesamteuropäischen Zusammenarbeit erforderlich, die nach dem zweiten Weltkrieg in der Deutschen Demokratischen Republik entstandene Eigentumsordnung nicht in Frage zu stellen.

Ich darf die Erwartung zum Ausdruck bringen, dass auch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unter Beachtung aller Umstände und Konsequenzen sowie in dem Bestreben, die Einigung Deutschlands zu fördern, sich diesem Standpunkt anschließt und ihn in den weiteren Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten mit zugrunde legen wird.

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