Werner Schulz
Neues Forum

Liebe Freundinnen und Freunde der deutschen Sozialdemokratie' Gestattet mir diese etwas blumige.Anrede, da ich Euch den Delegierten und den Gästen dieser Konferenz die Grüße des Neuen Forums übermitteln möchte.

(Beifall)

Ein Anliegen, das mir leicht fällt, weil hier im Saal manch vertrautes Gesicht aus der oppositionellen Vorlaufarbeit der 80er Jahre sich befindet Das Neue Forum wünscht Euch Beharrlichkeit und Erfolg für den angestrebten Weg. Die Wiederbelebung sozialdemokratischer Tradition und Grundwerte und Eure programmatische Erweiterung gibt vielen Menschen in der DDR Hoffnung und Zuversicht in die Zukunft. Lässt neue Arbeitsmotivation entstehen, die wir bitter nötig haben um das Hierbleiben lohnenswert zu begründen. Doch schon droht das Damoklesschwert der Wendigen unsere Opposition zu spalten. Als wir am 4. Oktober 1989 unter konspirativen Bedingungen im Hinterzimmer einer Berliner Wohnung ein Wahlbündnis in Aussicht nahmen, das angesichts der bedrückenden Situation am Runden Tisch bekräftigt wurde und einige von Euch damals untertauchten um am 7. Oktober vorigen Jahres in Schwante die Sozialdemokratische Partei in der DDR zu gründen, wusste keiner, ob wir nicht am 9. Oktober uns in einem Internierungslager der Staatssicherheit wieder begegnen werden. Jetzt versucht man das Neue Forum mit einem semantischen Trick aus dem Wahlgesetz zu streichen. Ich frage Euch ernsthaft, worin besteht der eine solche Verfahrensweise rechtfertigende Unterschied zwischen gleichwertigen politischen Vereinigungen ob sie sich nun Partei, Union oder Forum nennen. Ich stelle die Frage, weil es hierzu Irritationen hinter dem Runden Tisch gibt,,und wir Gefahr laufen Substanz zu verlieren Sicher, ich höre schon Eure Sorge, dass wir dann wieder diese mehrheitsbeschaffenden Schleppmandate haben oder Organisationen mit gesellschaftlichem Teilinteresse ins Parlament kommen.

Aber das lässt sich durch eine klare Begriffsbestimmung wählbarer politischer Vereinigungen mit einem gesamtgesellschaftlichem Konzept durch eine Regelung gegen maskierte Mandate festschreiben und durch die Wahlkommission prüfen. Wir haben bereits selbst im Forum eine solche Barriere festgelegt, wonach nur parteilose Mitglieder für die Volksvertretungen kandidieren dürfen. Lasst nicht zu, dass unsere noch formbare Demokratie in eine enge Worthülse gepresst und ein gewichtiger Teil der Opposition mit einem Sprachfertigteil erschlagen wird. Suchen wir den größten gemeinsamen Nenner. Deshalb gebe ich zu bedenken: Nur wenn wir mit gemeinsamer Anstrengung, und das klappt an der Basis recht gut das ließe sich hier durch viele Beispiele belegen, nur wenn wir gemeinsame Kraft den angeschlagenen Prollos SED mit seinem PDS-Mäntelchen kippen, wird diese verhängnisvoll belastete Partei Zeit und Gelegenheit der Geschichtsaufarbeitung der Selbstbestimmung und Wiedergutmachung finden.

(Beifall)

Wird die SPD, die Sozialdemokratie, ihr legitimes Rücknahmerecht auf Einverleib des Vermögens realisieren können? Wer zulässt, dass ein populärer Teilstrom, der im Wahlgesetz abgeleitet wird, der riskiert, dass wieder einmal eine Revolution in Deutschland nicht zu Ende gebracht wird oder die Früchte wendigen Pflückern in den Schoß fallen.

(Beifall)

In unserem Land gibt es offensichtlich eine große Zahl von Menschen, die aus erlebter Abneigung keiner Partei beitreten und für keine Partei votieren, sondern durch andere Organisationsformen Machtbeteiligung suchen. Sie auszuklammern bedeutet die Souveränität des Volkes, die Entscheidung des mündigen Wählers von vornherein zu beschränken. Unsere künftige Solidargemeinschaft muss sich schon heute daran messen, wie sie mit politischen Kräften, die einen anderen Ansatz für demokratische Erneuerung haben, umgeht. Unser vereinbartes Wahlbündnis wurde mit Aufatmen im Land quittiert, beseitigt es doch den Zweifel bei einem gemeinsamen Neubeginn und verspricht die Koordination unserer Interessen. Aber die SED-PDS, was immer das heißen mag, das Kürzel erfährt ja phantasievolle Umschreibungen, ist die Wahlausschließung der Bürgerbewegung wichtiger als die Verhinderung auswärtiger Wahlunterstützung. Ich gebe das zu bedenken. Bei der einseitig betriebenen Kater-Politik der letzten Jahrzehnte, den Weggang fähiger Fachleute, läuft die Blockierung sachkompetenter Oppositionsvertreter auf eine Schwächung der Erneuerung hinaus. Aber schlimmer noch. Wenn die SED, egal durch welches Wendemanöver und mit welchen Koalitionspartnern auch immer, an der Macht bleibt, werden wir ein Tief durchleben, werden abermals Tausende weggehen, weil ihnen auf Jahre die Perspektive Hoffnung und Genugtuung verstellt bleibt.

(Beifall)

Darum Sozialdemokraten in der DDR, besinnen wir uns gemeinsamer Wurzeln. Konzentrieren wir unsere Kräfte auf die Hauptgefahr in diesem Land. Die Existenz und Neuformierung alt- und neostalinistischer Strukturen, führen wir unsere demokratische Revolution in eine neue Qualität. Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Protokoll der Delegiertenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei in der DDR 12.1-14.1.1990 Berlin, Kongresshalle Alexanderplatz

Ein Wahlbündnis wurde am 4. Oktober 1989 nicht vereinbart. In der gemeinsamen Erklärung heißt es: "Wir wollen zusammenarbeiten und prüfen, in welchem Umfang wir ein Wahlbündnis mit gemeinsamen eigenen Kandidaten verwirklichen können."

Am 13.01.1990, als Werner Schulz seine Rede hielt, war die Zeit über ein Wahlbündnis aller neu entstandenen Parteien und Organisationen bereits hinweggegangen, wie im Oktober 1989 angedacht. Es sollten nur Parteien für die kommende Volkskammerwahl zugelassen werden, was das Neue Forum ausschloss.

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