DDR-Opposition: Null Bock auf Emanzen
Enttäuschung über das Neue Forum und andere Gruppen / Quotierung wurde abgeschmettert / Fraueninitiative Leipzig macht sich jetzt selbständig / Macho-Sprüche gehören zum Alltag / Feminismus gilt als Schimpfwort / Frauen sollen lieber arbeiten statt mitreden
Petra Lux (33), bis vor kurzem Sprecherin des Neuen Forum Leipzig, arbeitet als Journalistin. Anfang der 80er Jahre sorgte ihre fristlose Entlassung als Kulturhausleiterin für Furore in der DDR. Petra Lux hatte gewagt, basisnah Frauenveranstaltungen zu organisieren. Cornelia Matzke (29) ist kurz vor dem Ausbildungsabschluss als Fachärztin für Allgemeinmedizin.
Beide hatten sich im Neuen Forum für Frauenpolitik engagiert und die Fraueninitiative Leipzig ins Leben gerufen. Nach den enttäuschenden Erfahrungen haben die rund 150 Frauen der Initiative jetzt ihren Auszug aus der Oppositionsgruppe beschlossen.
taz: Auf dem jüngsten Delegiertentreffen des Neuen Forums wurde die Quotierung abgeschmettert. Was hast Du dabei empfunden?
Cornelia Matzke: Es hat mich unwahrscheinlich traurig gemacht. Der Antrag hatte zum Inhalt, eine Quote zwischen Männern und Frauen von 50 Prozent anzustreben. Es hieß wohlgemerkt anstreben. Trotzdem wurde der Antrag abgeschmettert, und die Diskussion verlief zum Teil recht unsachlich. Von einem Mann kam zum Beispiel der Einwurf: "Ich fordere die Quote für Brillenträger." Das macht natürlich traurig.
Neben der Trauer, gab es da auch Wut?
Cornelia Matzke: Ja, es ist auch Wut. Doch wohin die Wut richten, wenn zwei Drittel dagegen sind. Man fühlt sich so einer Mehrheit gegenüber hilflos.
Aber es sind ja wahrscheinlich nicht nur Männer gewesen, die gegen die Quotierung gestimmt haben.
Cornelia Matzke: Das ist richtig. Sehr viele Frauen, die nicht frauenbewegt sind, haben eine ganz tiefsitzende Angst vor Quotierung. Sie haben Angst vor dem Vorwurf, Du bist doch nur hier wegen der Quote, Du bist nur eine Quotilde. Wenn Frauen nicht genügend Selbstbewusstsein haben, lassen sie sich davon beeindrucken. Quotierung ist für uns immens wichtig. Denn die Vorstellung, die Gleichberechtigung werde sich schon von alleine ergeben, weil wir das über die Liebe oder sonst wie machen, die stimmt ganz sicher nicht. Frauen können Strukturen nur darüber verändern, dass sie selbst mittun.
Bleibt es bei der Trauer? Oder habt Ihr schon Konsequenzen gezogen?
Cornelia Matzke: Es gibt Konsequenzen. Die Fraueninitiative Leipzig, die bisher im Neuen Forum angesiedelt war, hat auf ihrer Vollversammlung jetzt mit großer Mehrheit beschlossen, aus dem Neuen Forum auszuziehen. Das ist natürlich schwierig. Eine Zersplitterung der oppositionellen Kräfte ist, zumal zu diesem Zeitpunkt, sicher nicht gut. Und Frauen sind wieder draußen, zumindest aus dieser Organisation. Andererseits denke ich, dass Frauen jetzt einen starken Rückhalt brauchen. Den könnten sie in einer Initiative haben, die parteiübergreifend arbeitet. Es ist ja immer wieder so gewesen, dass sich Frauen in Bewegungen, die eine Gesellschaftsveränderung wollten, ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr repräsentiert fühlten. So entstanden auch in anderen Ländern autonome Frauenbewegungen.
Aber das Neue Forum gilt als eine der wichtigsten oppositionellen Gruppen. Nehmt Ihr Euch nicht einfach eine Chance?
Petra Lux: Die Schlagkraft und Durchsetzungsfähigkeit unserer Ideen ist im Neuen Forum, so wie es sich jetzt darstellt und entwickelt, nicht gegeben. Ohne zersplittern zu wollen - ich sehe diese Gefahr schon auch - aber wir werden wirksamer, wenn wir uns außerhalb organisieren, weil wir dann mehr Kraft haben. Die Kraft wird sonst zerschlissen und in ganz vielen Teilbereichen verzettelt. Wir fragen uns: wie können wir die Kraft bündeln? Damit finden wir wahrscheinlich mehr Gehör und können dann auch in der Öffentlichkeit kämpfen.
Wie stark ist denn Eure Initiative? Und welche Rolle kann sie in der Öffentlichkeit spielen?
Cornelia Matzke: Tja, wie stark sind wir? Zur Zeit sind wir rund 150 Frauen. Ich denke, wir werden mehr, je besser wir uns in der Öffentlichkeit bewegen können. Auf den Montagsdemonstrationen sind wir mit eigenen Plakaten vertreten. Dann bringen wir uns am Runden Tisch ein, sowohl an dem des Bezirkstages als auch an dem Runden Tisch auf Kreisebene. Es laufen Anträge auf Gründung eines Frauenhauses und eines Frauenzentrums. Und wir haben im "Haus der Demokratie" eigene Räume.
Petra, Du bist Journalistin. Wird es in Zukunft eine Frauenzeitung geben?
Petra Lux: Es gibt eine Frauengruppe, die seit Jahren von einer eigenen Frauenzeitung geträumt hat. Die haben jetzt ein erstes Vordruckexemplar herausgebracht - die "Zaunreiterin". Wenn ich Zeit habe, werde ich auch für die Zaunreiterin arbeiten. Ansonsten gibt es ab ersten Februar die erste unabhängige Zeitung, 'DAZ', Die andere Zeitung Leipzig. Ich habe erstritten, dass es eine eigene Seite gibt zum Thema Frau, die ich redaktionell betreuen werde.
Bis vor kurzem warst Du Sprecherin des Neuen Forum Leipzig. Wie hat auf Dich der Auszug der Fraueninitiative aus dem Neuen Forum gewirkt?
Petra Lux: Ich war eine der wenigen Frauen im Forum, die das Thema Quote eingebracht hat und ich war eine der wenigen Sprecherinnen überhaupt. Es gab immer wieder Proteste gegen die Quotierung, immer wieder hieß es: warum Frauen. Ich habe angekündigt, dass es mit der Fraueninitiative deshalb böses Blut geben wird. Das fiel unter den Tisch, das hat keiner so richtig Ernst genommen. Auf dem Koordinierungstreffen des Neuen Forum Leipzig Stadt habe ich dann den Auszug bekannt gegeben. Es gab eigentlich gar keine Reaktion.
Wenn eine Gesellschaft wirklich verändert und demokratisiert werden und die Politik ein menschliches Gesicht bekommen soll, dann müssen Frauen und Männer von Anfang an gleichermaßen vertreten sein. Wenn wieder nur Männer Politik machen, auf Kosten von Frauen, denn sie können es nur, wenn sie jemanden haben, die zu Hause alles abfängt, dann ist diese Utopie nicht machbar. Denn dann beruht diese Opposition von Anfang an auf der Ausbeutung anderer Menschen. Das habe ich von Anfang an eingebracht. Und dass es dann gestern keine Reaktion gab, das stimmt mich sehr traurig.
Das heißt, eigentlich waren die Männer ganz froh, dass die ewig meckernden und Quotierung einfordernden Frauen nun weg sind?
Petra Lux (lacht): Ich lache, aber es ist ein bisserl bitter. Ich glaube schon, dass es so ist. Wahrscheinlich hat mancher jetzt erleichtert gedacht: Gott sei Dank, die sind wir los.
Sucht Ihr denn jetzt andere Bündnispartner, Partnerinnen? Will sich die Initiative dem unabhängigen Frauendachverband anschließen?
Petra Lux: Das ist zum Teil schon passiert; wir haben Kontakte nach Berlin und zu vielen Initiativen im Land. Wenn der Dachverband ein organisatorisches Netzwerk für alle autonomen Frauenbewegungen in diesem Land wird, dann finden wir uns dort repräsentiert.
Im Moment wird die öffentlich Diskussion sehr bestimmt vom Wahltermin, der Diskussion über Wahlbündnisse, wer mit wem. Wie werden sich Fraueninteressen da artikulieren? Wollt Ihr in der Volkskammer vertreten sein?
Petra Lux: Das ist noch nicht ausdiskutiert. Nur eine Anmerkung zu dem Wort Wahlkampf. Dazu gibt es eine hübsche Begebenheit. Auf dem jüngsten Koordinierungstreffen brachte eine Frau dazu einen Antrag ein, der wurde nur belächelt. Sie erklärte, das Neue Forum lehne eindeutig Gewalt ab und das Wort Wahlkampf möchte sie deshalb ersetzt haben durch das Wort Wahlwettbewerb. Von der Denkweise finde ich das sehr in Ordnung, aber es ist natürlich kein Zufall, dass darüber gelächelt wird.
Wollt Ihr Euch denn aus diesen Machtkämpfen raushalten?
Petra Lux: Ich denke, dass Frauen nicht so machtgeil und machtbesessen sind, dass sie um Regierungssessel rangeln. Unsere größte Chance ist, und die gab es in diesem Land noch nie, uns eine Öffentlichkeit zu erstreiten. Mit Zeitungen, mit der Teilnahme an Runden Tischen. Wenn sich dann Frauen finden, die sich so einem Wahlwettbewerb stellen, so finde ich das in Ordnung. Aber die brauchen Unterstützung und Rückhalt.
Aber das mit der Machtgeilheit, das wird noch kommen. Der Appetit kommt beim Essen.
Petra Lux: Aber es gibt wirklich einen deutlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Am Wochenende war die DDR-weite Delegiertenkonferenz und ein paar Tage später die Frauenvollversammlung. Wir hatten auch eine Menge Punkte abzuarbeiten, wir haben alles geschafft. Es gab natürlich auch gegenteilige Positionen, aber es gab nicht diesen Kampf, dieses böse Blut.
Letztendlich hat das bessere Argument überzeugt, und das war für mich absolut wohltuend. Ich will nicht dafür reden, dass Frauen a priori die besseren Menschen sind, aber es bestand ein ganz deutliches Gefälle zwischen den beiden Veranstaltungen.
Ihr habt jetzt Eure bitteren Erfahrungen mit dem Neuen Forum gemacht. Wie sieht es denn bei den anderen Oppositionsgruppen aus?
Petra Lux: Ich habe mich sehr gefreut, als sich die Grüne Partei gründete. In ihrem Aufruf stand nämlich ein Wort, das sonst nirgends zu lesen ist: Feminismus. Aber vor einigen Wochen wurde das wieder gestrichen.
Warum?
Cornelia Matzke: Weil das viele schockiert. Feminismus ist bei uns mehr ein Schimpfwort. Insofern haben Gruppen, die sich das auf ihre Fahnen schreiben, von vorneherein ein schlechtes Omen - das ist leider tatsächlich so.
Die SDP hat wohl auch Ansätze zur Quotierung, aber ich sehe sie in keiner Weise verwirklicht; es gibt wenig aktive Frauen. Beim Demokratischen Aufbruch Leipzig arbeiten sehr viele Frauen mit, mir ist allerdings nicht bekannt, inwieweit Frauenpolitik im Programm steht. Wir wollen aber in Zukunft die Programme der oppositionellen Gruppierungen durchgucken und auf ihre Frauenfreundlichkeit prüfen. Dafür gibt es eine extra Arbeitsgruppe.
Also Wahlprüfsteine erarbeiten?
Petra Lux: Ja, so kann man das nennen. Das ist gar kein schlechtes Wort.
Werden denn Frauen, die sich als Feministinnen bezeichnen, auch persönlich angemacht? Müssen die sich irgendwelche Macho-Sprüche anhören?
Petra Lux: Sicher. Ein üblicher Spruch lautet: Du hast eben noch nicht den richtigen Mann abgekriegt. Der sitzt ganz locker in der Tasche, der Spruch über die frustrierte Frau.
Kommt das direkt in der politischen Auseinandersetzung oder mehr hintenrum?
Petra Lux: Die Sprüche kommen hintenrum, am Stammtisch, oder werden dir zugetragen. Am Runden Tisch hat sich eine Vertreterin von uns, als sie sich bemühte, in die sogenannte innere Runde zu kommen, da von dem Mann neben ihr anhören müssen: Frauen sollen nicht soviel reden, sie sollen lieber arbeiten.
Das werden harte Zeiten für Euch.
Cornelia Matzke: Der Wind weht ganz schön kalt. Aber wir müssen uns einbringen, und wir müssen das aushalten. Denn der Sozialabbau wird auf unserem Rücken ausgetragen werden. Das sehen wir jetzt schon ganz deutlich. Der Abbau im Verwaltungsbereich trifft in hohem Maße Frauen. Die verlieren ihren Arbeitsplatz, ohne dass Umschulungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Das geht nicht, und das müssen wir zur Sprache bringen.
Petra Lux: Diese Woche ist der Runde Tisch beim Rat der Stadt. Dazu hat der Regierende Oberbürgermeister Günther Hedrich eingeladen. Daran werde ich teilnehmen. Das hat noch eine persönliche Geschichte. Heute vor sieben Jahren, im Januar '83, bin ich fristlos entlassen worden, weil ich als Kulturhausleiterin ein Frauenzentrum gründen wollte. Und besagter Günther Hedrich war damals der Vorgesetzte, der mich entlassen hat. Frauenzentrum meinte damals einmal in der Woche eine Veranstaltungsreihe für Frauen. Um von einem Tag auf den anderen auf der Straße zu liegen - da muss man in unserem Land schon ein Verbrechen begehen. Und ich habe mir das schon lange vorgenommen, dass das, was dieser Mann sich gegenüber Frauen geleistet hat, öffentlich wird.
Die Geschichte von dem Leipziger Frauenzentrum ist ein bisschen Legende hier in der DDR unter den frauenbewegten Frauen. Was ist da eigentlich damals passiert?
Petra Lux: Es stimmt, es ist wirklich Legende. So verrückt das klingt, mich sprechen heute noch Frauen darauf an. Das Neue waren nicht so sehr die Themen als die Form, die damals nicht möglich war. Frauen, die Lust hatten, zu einem Thema zu arbeiten, sollten sich einfach in einer Arbeitsgruppe eintragen. Und das war damals revolutionär. Üblicherweise musste immer ein Referent her, es sollte kontrollierbar sein. Wir haben es genau gekippt. Zwei Veranstaltungen durfte ich noch machen, dann bekam ich Kulturhaus-Verbot. Es gab massenhaft Eingaben, Briefe der Frauen, Aktionen. Es endete dann ganz bitter. Uns wurde das Programm auf zehn Veranstaltungen reduziert, immer zu einem bestimmten Anlass, zum Beispiel Tag des Kindes. Die Referenten waren fast nur Männer, und auch die Themen wurden vorgegeben. Zum Beispiel: Wer liebt, muss auch hassen können - Frauen und Armee. Dann gab es ein Frauenfest, und dafür wurde angeboten: Deckchen häkeln und Makramee! Die anderen vier Frauen haben das dann nicht mehr mitgemacht. Trotz der harten Zeit, ich lebte mit meiner Familie am Rande des Existenzminimums, war dieses Jahr für mich eine ganz wichtige Erfahrung. Ich erfuhr eine unwahrscheinliche Solidarität.
Aber das ist nicht nur meine Geschichte, sondern es ist ganz symptomatisch dafür, wie Frauenfragen in diesem Land behandelt wurden.
Beim Neuen Forum wird es jetzt wieder eine Sprecherwahl geben. Wie sieht es denn da aus? Wird es wieder eine Frau werden, oder gleitet das auch ab in die Männerhände?
Petra Lux: Momentan sieht es so aus, dass die Männer in der Überzahl sind. Beim jüngsten Koordinationstreffen Leipzig Stadt plädierte auch jemand dafür, dass eine Frau dabei ist. Sofort schlugen die Emotionen wieder hoch. Wieso denn eine Frau! Es gab null Einsicht, dass es auch eine Frau sein könnte. Das schlug wie eine Bombe ein, die erwachten plötzlich alle aus ihrem Schlaf. Als erstes hieß es: wir haben keine Frauen. Dabei waren drei Frauen anwesend. Aus einer Ecke kam dann der Vorschlag Cornelia Matzke, aus der anderen Ecke Petra Lux. Das wurde dann mit Argumenten unter die Gürtellinie abgeschmettert. Der Gesprächsleiter sagte, das lehne er grundsätzlich ab. Wenn überhaupt, dann müsse es eine ganz integre Frau sein. Cornelia Matzke habe für Quotierung gestimmt, und Petra Lux sei die "Bärbel Bohley von Leipzig". Und "breite Bevölkerungskreise" würden mich ablehnen. Hintergrund ist der: Ich habe auf einer Kundgebung für Frauen gesprochen. Daraufhin gab es drei Leserbriefe von Männern nach dem Motto "frustrierte Frau".
Aber das Neue Forum besteht doch fast zur Hälfte aus Frauen. Was sagen die denn?
Petra Lux: Immer mehr Frauen ziehen sich zurück. Die Macher sind Männer, und Frauen fühlen sich zunehmend unwohl. Nicht unbedingt, weil sie Frauenfragen besprechen wollen, fühlen sie sich an den Rand gedrängt, sondern von einer ganz menschlichen Seite her. Mein Angebot an jede Frau, die mir da was vorjammert, lautet jetzt: Fraueninitiative.
Das Gespräch führte Ulrike Helwert und Helga Lukoschat
Wer die Fraueninitiative Leipzig mit Sach- oder Geldspenden unterstützen möchte, kann sich an folgende Adresse wenden: Fraueninitiative Leipzig, Haus der Demokratie, Bernhard-Göring-Str. 152, 7030 Leipzig.
aus: taz Nr. 3009 vom 17.01.1990