Dr. GÜNTHER R(...),
Neues Forum, Potsdam

Einigung statt Vereinigung

Wir erwachen, wie sollte es anders sein, mit Hungergefühlen aus der SED-verordneten Vollnarkose. Der Dilettantismus der vielen Politikversuche der ehemals "führenden" Partei rächt sich jetzt aufs gräulichste. Überall erleben wir heute das logische Ende der von Anfang an unsinnigen Abgrenzungspolitik: den deutschnationalen Taumel zum Winterschlussverkauf. Ja, der Westen hat mit viel unerwarteter Hilfe den kalten Krieg der Großmächte gewonnen, aber muss denn auch dieser mit totaler Kapitulation enden? Gibt es denn gar keinen Grund mehr, als Deutscher Großdeutschland zu misstrauen, als sei nichts gewesen, als habe er dessen Opfer - Opfer so vieler Nationalitäten - nie gegeben? Der nächste Schritt sich als christlich gebender Unionisten wäre genau so vorhersagbar wie das Scheitern der absolutistischen Politbürokratie.

Gleichzeitig können und wollen wir uns hier nicht länger als die einzigen lebenden Verlierer des Nazi-Krieges fühlen müssen, eine funktionierende Wirtschaft, humanistisch-demokratische Politik und den wirklich sorgsamen Umgang mit der Natur klagen wir auch für uns ein.

Der realistische Ausweg aus diesem Dilemma kann nur "Europäische Friedensordnung" heißen. Dahinein sollten wir die DDR in einen Zustand bringen, der für die Nachbarn keine Belastung mehr bedeutet. Diesen Zustand herzustellen ist jetzt unsere Hauptaufgabe, und das sollten zuerst auch die vielen überflüssigen Sicherheitsbeamten, Kampfgruppenkommandeure, Betriebsparteisekretäre und Nationale-Front-Funktionäre endlich begreifen.

Dass wir uns auf diesem Wege mit unseren wirklichen bundesrepublikanischen Freunden über viele und wichtige Fragen einigen, uns im Kampf um Entmilitarisierung aufs engste verbünden und zum Schutz unserer natürlichen Welt völlig vereinigen können, das sind gute Voraussetzungen für den Erfolg solcher Politik - die mit dem Markenzeichen BRDDR gar so schlecht nicht beschrieben ist.

Weil ich sicher bin, dass die sozialistische Idee, den mit gesellschaftlichem und anderem Eigentum erwirtschafteten Mehrwert auf möglichst soziale Weise zu verteilen, mit dem Untergang der Stalinisten keinen Schiffbruch erlitten hat, stimme ich mit Christa Wolf und Stefan Heym "Für unser Land". Und auch weil ich finde, dass der Babelsberger Park in die Hände von Leuten wie Karl Eisbein, dem langjährigen Verwalter, gehört und nicht unter die Füße reicher Westberliner Golfspieler.

aus: Märkische Volksstimme, Nr. 285, 04.12.1989, 44. Jahrgang, Organ der Bezirksleitung Potsdam der SED, Herausgeber: Bezirksleitung Potsdam der SED