Aktiv für echte Demokratie

"Morgen"-Interview mit Dr. Frank Eigenfeld, Sprecher des NEUEN FORUMS, in Halle

DM: Wie viel hallesche Bürger haben bisher den Dialog-Aufruf des NEUEN FORUMS unterzeichnet, und welche prinzipiellen Aussagen enthalten die jetzt vorgelegten Entwürfe für ein Statut bzw. für de Grundwerte- und Aktionsprogramme?

Dr. F. EIGENFELD: Es sind rund 10 000 Unterschriften. Wir verstehen uns als eine offene Bürgerbewegung mit basisdemokratischer Orientierung und haben von Anfang an erklärt, dass wir politische Verantwortung übernehmen wollen. Das schließt die Aufstellung von eigenen Mandatsträgern auf allen Ebenen bis hin zur Volkskammer ein. Zu den Schwerpunkten und eingeforderten Grundwerten unserer regionalen wie überregionalen Aktivitäten, die in den genannten Dokumenten festgeschrieben werden, gehören die Durchsetzung von Demokratie in allen Lebensbereichen, soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Vernunft, eine lebenswerte Umwelt und die Verwirklichung grundsätzlicher Menschenrechte wie Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Pressefreiheit.

DM: Wie stehen Sie zur Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten?

Dr. F. EIGENFELD: Viele Mitglieder des NEUEN FORUMS lehnen eine sofortige Vereinigung ab, zumal die Übernahme des kapitalorientierten bundesdeutschen Wirtschaftssystems. Dennoch streben auch wir eine Leistungsgesellschaft an und halten die Teilung an sich für unnormal. Die Zusammenführung wird aber nur im Rahmen einer europäischen Lösung und als längerfristiger Prozess zu realisieren sein, wobei wir unsere eigenständige Mitbestimmung angesichts der ohnehin dynamischen Geschichtsentwicklung erst einmal organisieren müssen. Freie und geheime Wahlen sind eine entscheidende Voraussetzung dafür.

DM: Denen will sich das NEUE FORUM stellen, obschon die Parteien und die anderen oppositionellen Gruppen ja sehr ähnliche Forderungen erhoben haben, die Gefahr einer Aufspaltung der politischen Kräfte besteht?

Dr. F. EIGENFELD: Es ist wichtig, verlässliche Kontrollmechanismen zu schaffen, damit sich unsere 40jährige Vergangenheit nie wiederholt, damit sich irgendeine politische Kraft in unserem Land nie mehr auf die Dauer eine Führungsrolle anmaßt. Es geht um echte Demokratie, um das Selbstbestimmungsrecht des Volkes. In diesem Sinne repräsentieren die etablierten Parteien ja nur einen kleineren Teil der Bevölkerung, deren umfassendes Mitspracherecht jedoch gewährleistet werden muss, um alle gesellschaftlichen Probleme gemeinsam einer Lösung zuführen zu können. Deshalb stellen wir uns den Wahlen als politische Vereinigung und sind offen für ein Wahlbündnis mit den anderen neuen Parteien und Gruppierungen, weil die fähigsten Leute in den künftigen Volksvertretungen arbeiten sollen. Im übrigen hat die Pluralität ihre Existenzberechtigung zu behaupten.

DM: Ein Zusammenschluss neuer demokratischer Gruppen in Halle ist das sogenannte "Reformhaus" - Und wie verlaufen die Gespräche am "Runden Tisch"?

Dr. F. EIGENFELD: Hier wird die notwendige Arbeit bis zu den Neuwahlen geleistet, sind dringliche Aufgaben zu erfüllen, und unsererseits bestehen da keine Berührungsängste.

DM: Die LDPD hat mit dem NEUEN FORUM einen Konsens gesucht und Ihnen u. a. Unterstützung hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit angeboten. Konnte das inzwischen konkretisiert werden?

Dr. F. EIGENFELD: Nein, noch nicht, obwohl dies für uns ein Hauptproblem ist, also die wirksame Darstellung in der Öffentlichkeit. Vom Rat der Stadt erhielten wir jetzt eigene Büroräume im helleschen Steinweg 38, die aber erst völlig eingerichtet und drucktechnisch ausgestattet werden müssen, um später selbst publizieren zu können. Unter den nach wie vor miserablen Voraussetzungen, uns inhaltlich ausreichend zu artikulieren, wäre uns bis dahin natürlich jede Hilfe sehr willkommen, und wir möchten solche nötigen Kontakte jetzt gern aufnehmen. Das betrifft z. B. die von Ihnen erwähnten Statut- und Programmentwürfe, die sich nun in der Diskussion befinden.

DM: Das NEUE FORUM hat die Untersuchungskommission zur Aufdeckung von Amtsmissbrauch und Bereicherung, all der Missstände im Bezirk Halle gefordert und initiiert. Es war auch an der Sicherung von Objekten und Unterlagen beteiligt. Wie ist der Stand der Dinge?

Dr. F. EIGENFELD: Der "Runde Tisch" muss zugleich reinen Tisch machen, denn es gibt keinen wirklichen Neuanfang, ohne dass wir die Vergangenheit rückhaltlos aufarbeiten. Offenlegung und Kontrolle sind insofern eine Grundbedingung unserer parlamentarischen Kooperation. Als Vertreter des NEUEN FORUMS in der Kommission fungiert Dr. Michael Klapperstück. Wir erhalten zunehmend Hinweise aus der Bevölkerung, von Betrieben und Verwaltungseinrichtungen. Ich bekomme täglich allein fünf bis zehn Briefe, bei deren Beantwortung wir um etwas Geduld bitten, da sich die Sachlage im Detail wegen des Mangels an genauer Einsicht und Fachkenntnis als sehr kompliziert erweist. Außerdem hat sich das neue Denken gerade in den unteren Ebenen und mit den meist alten Leitern noch längst nicht durchgesetzt. Wir haben deshalb den Vorschlag unterbreitet, dort kompetente Betriebsräte aus der jeweiligen Belegschaft für derartige Untersuchungen zu bilden. Für eine tatsächlich tiefgreifende Kontrolle, die momentan kaum möglich ist, werden darüber hinaus weitere regionale Kommissionen erforderlich sein.

DM: Am 16. Dezember fand Ihr hallesches Bezirkstreffen statt, Anfang Januar ist ein Landestreffen in Leipzig geplant das NEUE FORUM formiert sich weiter, ob nun als politische Vereinigung oder künftige Partei. Und wie hält man es mit einem Streikaufruf?

Dr. F. EIGENFELD: Unser schwieriger gesellschaftlicher Prozess braucht jetzt andere Wege - Demos, Dialog-Verhandlungen, basisdemokratische Präsenz in allen Fragen. Sollte jedoch die Gefahr seiner Umkehrung bestehen, dann bekennen wir uns zum Streik, betrachten ihn als letztes Mittel, um politische Forderungen durchzubringen.

(Das Gespräch führte
Dr. Matthias Frede)

Dr. Frank Eigenfeld, Jahrgang 1943, Diplom-Geologe; nach dem Studium an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg dort bis 1982 Assistent im Fachbereich Geologie der Sektion Geografie; im Bekenntnis zu christlichen Werten frühzeitige gesellschaftliche und anti militaristischer Aktivitäten, vornehmlich in offenen kirchlichen Jugendgruppen; wegen der Verweigerung eines ZV-Lehrgangs unter massivem Druck aus dem Universitätsdienst entlassen; ab Dezember 1982 Arbeit als Hausmeister bei einer evangelischen Gemeinde am Gesundbrunnen in Halle; ständige Überwachung und Behinderung durch den Staatssicherheitsdienst; Anschluss an die Berliner Initiative für Frieden und Menschenrechte sowie zunehmende öffentliche Stellungnahme gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse; Mitbegründer des NEUEN FORUMS im Oktober 1989 in Berlin und Verbreitung des Aufrufs im Bezirk Halle; hier gehört er seither dem städtischen und dem Landessprecherrat an. [Gründung des Neuen Forum im September 1989 in Grünheide bei Berlin.]

Der Morgen, Zeitung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, NR. 303, Mittwoch 27.12.1989

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