MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT
Streng geheim! |
Berlin, den 17. Mai 1984 |
Nr. 207 / 84
INFORMATION
über
beachtenswerte Erscheinungen unter negativ-dekadenten Jugendlichen in der DDR
Seit den Jahr 1982 sind von negativ-dekadenten Jugendlichen der DDR verstärkte Bestrebungen erkennbar, im Sinne der in westlichen kapitalistischen Staaten existierenden "Punk"-Bewegung in der Öffentlichkeit aufzutreten. (Angehörige der "Punk"-Bewegung in den kapitalistischen Staaten bezeichnen sich als so genannte Aussteiger aus der Gesellschaft und versuchen, durch ihr äußeres Erscheinungsbild und asoziale Lebensweise öffentlich ihre Oppositionshaltung gegenüber dem Gesellschaftssystem zum Ausdruck zu bringen.)
Zu ihrer Nachahmung werden Jugendliche in der DDR insbesondere inspiriert durch die intensive Propagierung so genannter alternativer und dekadenter Lebensformen und auffassungen seitens der elektronischen Medien der BRD und Westberlins und teilweise durch direkte gezielte Beeinflussung von Personen aus nichtsozialistischen Staaten im Rahmen ihrer Kontakttätigkeit.
Es liegen Erkenntnisse darüber vor, dass in der BRD bzw. in Westberlin ansässige "Punks" zunehmend bestrebt sind, persönliche Kontakte zu Gleichgesinnten in der DDR herzustellen und auszubauen. Derartige Zusammenkünfte, die nach außen hin häufig den Anschein von Zufallsbekanntschaften haben, finden insbesondere in solchen Treffpunkten wie gastronomischen Einrichtungen, Parks, Privat- und Abrissgrundstücken statt. Dabei werden Adressen und Telefonnummern ausgetauscht sowie aus der BRD stammendes Bildmaterial und so genannte Punkerutensilien übergeben.
Internen Hinweisen zufolge wurden durch BRD bzw. Westberliner Journalisten Personen in die DDR entsandt, um Kontakte zu "Punks" herzustellen. Durch seitens dieser Personen vorgetäuschtes Interesse für die "Punk"-Szene in der DDR wurde die Absicht verfolgt, Tonbandinterviews von und Bilddokumentationen über "Punks" in der DDR zu erhalten. Derartiges Material wurde für Veröffentlichungen in westlichen Publikationsorganen, darunter in den BRD Zeitschriften "Der Spiegel", "konkret" und "Tip" genutzt sowie in Sendungen westlicher elektronischer Medien ausgewertet. Grundtenor der darin enthaltenen Aussagen war der Versuch, den "Nachweis" über die Existenz oppositioneller Jugendlicher in der DDR zu erbringen und eine angebliche Konfliktsituation zwischen dem Staat und der Jugend in der DDR zu konstruieren. Ein derartiges Vorgehen ordnet sich ein in die seit geraumer Zeit zunehmende tendenziöse Berichterstattung westlicher Massenmedien über die Jugend der DDR und ihre Haltung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung.
Des weiteren liegen Hinweise vor, dass einzelne "Punks" Kontakt zu einigen in der DDR akkreditierten westlichen diplomatischen Vertretungen unterhalten, darunter zur Ständigen Vertretung der BRD und zur Botschaft der USA und in Einzelfällen auch an Veranstaltungen dieser diplomatischen Einrichtungen teilnehmen.
Das auf Öffentlichkeitswirksamkeit abzielende Äußere der "Punks" ist vor allem gekennzeichnet durch Züge der Entartung und der Asozialität. Besonderheiten zeigen sich in der Frisur (so genannter Irokesen- und Bürstenschnitt) und in der Haarfärbung (grelle Farben mehrfarbig) sowie im Tragen von verschlissener sowie ungepflegter Kleidung. Ferner werden von "Punks" unterschiedlichste Gegenstände wie Sicherheitsnadeln, Rasierklingen, Metallringe, Hundehalsbänder, Ketten, an der Kleidung befestigt getragen. Darüber hinaus wurde das Tragen von unterschiedlichsten Symbolen und Erkennungszeichen, teilweise westlicher Herkunft sowie in Einzelfällen von Ehrenzeichen und Medaillen der faschistischen Wehrmacht festgestellt. Dabei ist zu beachten, dass ein Teil der "Punks" in ihren Arbeits- oder Ausbildungsstätten ein normales Äußeres zeigen, um in diesen Bereichen nicht aufzufallen und nicht in Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Diese "Punks" verändern für den Freizeitbereich ihr Äußeres und ihre Verhaltensweise entsprechend den zuvor beschriebenen Merkmalen.
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen wurden bisher ca. 900 vorwiegend jugendliche Personen in der DDR als Anhänger der westlichen "Punk" Bewegung festgestellt.
Den territorialen Schwerpunkt bildet die Hauptstadt der DDR, Berlin, mit ca. 400 derartigen Personen.
Weitere Konzentrationspunkte bilden die Bezirke bzw. Bezirksstädte Leipzig mit ca. 95 sowie Magdeburg und Cottbus mit jeweils ca. 60 "Punks". Darüber hinaus gibt es eine von der Größenordnung her nicht eindeutig bestimmbare Anzahl von Sympathisanten in der DDR, die zumindest zeitweilig zum Umgangskreis der "Punks" zählen, jedoch vom Äußeren her nicht immer als solche erkennbar sind.
Die soziale Zusammensetzung der "Punks" ist differenziert einzuschätzen. Teilweise handelt es sich um Schüler von Polytechnischen Oberschulen, um in der Berufsausbildung stehende bzw. bereits im Berufsleben tätige Jugendliche/Jungerwachsene, die geordneten und materiell gesicherten Verhältnissen aufgewachsen sind. Das überwiegende Alter ist bis unter 25 Jahren.
Ein geringer Teil zählt zu den kriminell gefährdeten und zur Asozialität neigenden Jugendlichen, deren Entwicklung durch gestörte Familienverhältnisse wesentlich beeinträchtigt wurde. Erste Anzeichen für ihre Fehlentwicklung zeigten sich in solchen Erscheinungen wie; Nichtausschöpfung des Leistungsvermögens in der Schule und der Lehre, mangelnde Lern- und Leistungsbereitschaft, Disziplinlosigkeit sowie Arbeitsbummelei bis hin zu begangenen Ordnungswidrigkeiten und strafbaren Handlungen.
Durch Verbindung zu politisch negativen Kräften und deren Einflussnahme sowie durch den regelmäßigen Empfang von Sendungen westlicher elektronischer Medien und - begünstigt durch eine labile charakterliche Haltung - bildete sich bei einer Vielzahl von "Punks" eine politisch negative Grundeinstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR heraus. Sie kommt zum Ausdruck durch Identifizierung mit bürgerlichen Freiheitsauffassungen, pseudopazifistischem, teilweise linksradikalem Gedankengut und dessen Propagierung und zeigt sich in der Ablehnung von Teilgebieten der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR.
Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang auch Bestrebungen derartiger Personen, sich durch Abbruch der Lehrausbildung und durch Ausscheiden aus volkseigenen Betrieben sowie Aufnahme einer Tätigkeit in Privatbetrieben oder durch Gelegenheitsarbeiten bzw. durch Austritte aus Massenorganisationen der gesellschaftlichen Einflussnahme und Kontrolle weitgehend zu entziehen.
Die Mehrzahl der "Punks" gehört losen Gruppierungen an. Ihre Zusammenkünfte erfolgen fast ausschließlich im Freizeitbereich. Als Trefforte dienen hauptsächlich Wohngebietsgaststätten, Parks und Abrissgrundstücke, vereinzelt auch Jugendklubs.
Als überregionale Treffpunkte in der Hauptstadt der DDR, Berlin, werden insbesondere der Kulturpark im Stadtbezirk Berlin Treptow und die Fußgängerzone sowie dazugehörige gastronomische Einrichtungen im Bereich Alexanderplatz im Stadtbezirk Berlin-Mitte genutzt.
Bisherigen Feststellungen des MfS zufolge sind eine erhebliche Anzahl negativ dekadenter Jugendlicher in relativ fest gefügten "Punk"-Gruppierungen integriert. Vereinzelt (z. B. in Leipzig, Berlin und Karl-Marx-Stadt) bildeten sich kleinere "Punk"-Gruppen, die kriminelle, in Einzelfällen staatsfeindliche Handlungen begingen (z. B. Propagierung neofaschistischem und anarchistischen Gedankenguts bzw. Anbringen von Losungen gleichen Inhalts usw.).
Jugendliche, die fest gefügten "Punk"-Gruppierungen angehören bekundeten wiederholt in ihrem Umgangskreis sowie im Rahmen mit ihnen geführter Gespräche und Auseinandersetzungen seitens gesellschaftlicher Erziehungsträger ihre ablehnende Haltung zur kommunistischen Erziehung, zur Jugendpolitik, zur Wehrdienstgesetzgebung bzw. wehrpolitischen Erziehung und zu den gesetzlichen Regelungen der DDR über den Reiseverkehr in das nichtsozialistische Ausland und Westberlin.
Von "Punks" begangene Straftaten gegen die sozialistische Gesetzlichkeit richteten sich insbesondere gegen
- das sozialistische sowie das persönliche und private Eigentum,
- die allgemeine staatliche und öffentliche Ordnung.
Bei den vorrangig begangenen Delikten handelte es sich um Diebstahlshandlungen, Beeinträchtigung des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Bürger, Rowdytum, Zusammenrottung, Widerstand gegen staatliche Maßnahmen und öffentliche Herabwürdigung sowie um die Missachtung weiterer Rechtsvorschriften und der Verwendung von Gegenständen, Symbolen oder Zeichen in einer den staatlichen und gesellschaftlichen Interessen widersprechenden Weise.
Im Ergebnis der durch das MfS und die anderen Schutz- und Sicherheitsorgane geführten Untersuchungen wurden insbesondere folgende Motivationen für die begangenen Straftaten herausgearbeitet. Eine Reihe von Tätern beabsichtigte, ihre ablehnende Haltung zur sozialistischen Gesellschaftsordnung bzw. zu gesellschaftlichen Teilbereichen zum Ausdruck zu bringen und andere Personen zum Nachahmen zu veranlassen. Die Mehrzahl der Täter äußerte, mit ihrer Handlungsweise die Öffentlichkeit schockieren und provozieren und ihr "Aufbegehren gegenüber der Umwelt" sowie ihr Geltungsbedürfnis zum Ausdruck bringen zu wollen.
Einige "Punks" motivierten ihre Handlungen damit, dass sie sich von der Polizei schikaniert fühlten, wegen ihres Erscheinungsbildes Auseinandersetzungen in ihren Arbeitsbereichen hatten und ihre Meinung nach in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt würden.
Im Ergebnis der geführten Untersuchungen wurde des weiteren eine zunehmende personelle Verflechtung zwischen "Punks", wegen krimineller Delikte angefallener Jugendlicher und dem negativen Fußballanhang einiger Sportclubs, darunter des 1. FC Union Berlin, des FC Hansa Rostock und des FC Carl Zeiss-Jena, festgestellt.
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen gehen von reaktionären kirchlichen Amtsträgern zunehmende Bestrebungen aus, von ihnen als "gesellschaftliche Randgruppen" bezeichnete Jugendliche, darunter auch "Punks", in kirchliche Aktivitäten einzubinden und sie für eine Mitarbeit im Rahmen der so genannten offenen Jugendarbeit zu gewinnen.
Es werden ihnen kirchliche Räumlichkeiten für Zusammenkünfte zur Verfügung gestellt bzw. Einladungen für entsprechende Veranstaltungen ausgesprochen, wobei sie ideologisch mit pseudopazifistischem und neutralistischem Gedankengut infiltriert werden.
Darüber hinaus lassen derartige kirchliche Amtsträger nicht lizenzierte "Punk"-Rock-Formationen auf im Rahmen der "offenen Jugendarbeit" organisierten Veranstaltungen auftreten. (Solche Musik-Formationen bilden oft den Kern fest gefügter "Punk"-Gruppierungen. Sie tragen durch die z. T. feindlich negativen Texte ihrer Musiktitel wesentlich zur Weiterverbreitung negativ-dekadenter und sozialismusfremder Auffassungen unter ihren Anhängern bei. Aus diesem Grunde wurde im Jahre 1983 gegen die Mitglieder von 5 der insgesamt 17 zu diesem Zeitpunkt existierenden "Punk"-Rock-Formationen, strafrechtliche, ordnungsrechtliche und erzieherische Maßnahmen eingeleitet, in deren Ergebnis die Auflösung der 5 Formationen erfolgte.)
Zu einigen ausgewählten Beispielen:
Der Jugendpfarrer der Evangelischen Pfingstgemeinde in Berlin-Friedrichshain organisierte in der Vergangenheit spezifische Veranstaltungen, an denen zeitweilig bis zu 120 "Punks" teilnahmen. Außerdem stellte er einer "Punk"-Gruppierung einen kircheneigenen Raum für Zusammenkünfte zur Verfügung. Angesichts der durch die "Punks" angerichteten Schäden an Inneneinrichtungen sowie ihres rowdyhaften Verhaltens gegenüber Anwohnern des betreffenden kirchlichen Grundstücks sah sich die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin Brandenburg gezwungen, den weiteren Aufenthalt und die Nutzung der entsprechenden Räumlichkeiten für die "Punks" zu untersagen.
Im Interesse der weiteren Zurückdrängung von Versuchen negativ dekadenter Jugendlicher in der DDR und mit ihnen sympathisierender Personen, die westliche "Punk"-Bewegung nachzuahmen und damit demonstrativ in die Öffentlichkeit zu treten sowie durch Bildung von Gruppierungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu beeinträchtigen, wird - auch unter Beachtung der Vorbereitung und Durchführung des Nationalen Jugendfestivals der DDR im Juni 1984 in der Hauptstadt der DDR - vorgeschlagen:
1. Durch die zuständigen staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen, insbesondere die Freie Deutsche Jugend, sollte im engen Zusammenwirken mit den gesellschaftlichen Erziehungsträgern in den Bereichen der Volksbildung und der Berufsausbildung, volkseigenen Betrieben und Einrichtungen die offensive ideologische Auseinandersetzung mit Anhängern und Sympathisanten der westlichen "Punk"-Bewegung intensiviert und vor allem der sozialismusfremde Charakter dieser dekadenten Erscheinungsform überzeugend nachgewiesen werden.
Durch die verstärkte Einbeziehung von "Punks", insbesondere aber ihres Einfluss- und Umgangskreises, in eine sinnvolle Freizeitgestaltung, vor allem in den Wohngebieten, sollte dahingehend gewirkt werden, dass derartige Personen zu einem gesellschaftsgemäßen Verhalten und Auftreten zurückfinden.
2. Die zuständigen staatlichen Organe sollten im engen Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei eine ständige Übersicht über die Lage und Situation unter negativ dekadenten Jugendlichen in ihrem Verantwortungsbereich bzw. Territorium gewährleisten, um rechtzeitig sich entwickelnde Gefahrenmomente, die zu einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen könnten, zu erkennen und diese durch politisch geeignete und abgestimmte Maßnahmen zu beseitigen.
Ein wegen seiner reaktionären Haltung bekannter Kreisjugendpfarrer des Kirchenkreises Halle und ein Jugenddiakon der Evangelischen Pfingstgemeinde in Berlin Friedrichshain gehörten zu den Initiatoren eines geplanten DDR-weiten Treffens von "Punks" im Oktober 1983 in Halle. Durch unverzüglich eingeleitete differenzierte Maßnahmen der Schutz- und Sicherheitsorgane konnte im Zusammenwirken mit anderen zuständigen Organen das geplante Treffen weitgehend unterbunden werden.
Entgegen den Vorstellungen der Organisatoren, die mit 500 Teilnehmern gerechnet hatten, nahmen nur 70 Personen teil, die sich ausschließlich in einer kirchlichen Einrichtung der Christusgemeinde Halle versammelt hatten. Bei dieser Zusammenkunft führte eine "Punk"-Gruppe aus Berlin eine Spielszene zum Thema "Punks in der Kirche" auf, in der u.a. zum Ausdruck gebracht wurde, dass angebliche "Zwänge" in der sozialistischen Gesellschaft, in der Schule, in der FDJ und im Elternhaus Ursache dafür seien, dass sich Jugendliche zur "Punk"-Bewegung bekennen.
Im Jahre 1983 traten zwei "Punks" im Zusammenwirken mit weiteren Mitbeschuldigten als Mitglieder einer "Punk"-Rock-Formation mit selbstgefertigten, die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR und insbesondere die Sicherheitsorgane herabwürdigenden Liedtexte mehrfach während so genannter Blues Messen und "Werkstatt Veranstaltungen" in kirchlichen Einrichtungen, u. a. in Karl-Marx-Stadt, Halle, Leipzig und insbesondere anlässlich der von reaktionären kirchlichen Kräften in der Erlöserkirche in Berlin Lichtenberg veranstalteten "Blues Messen" auf.
In ähnlicher Weise trat eine Person, die in Erfurt mit weiteren "Punk"-Anhängern eine Rockformation gegründet hatte, in Erscheinung.
MfS, ZAIG, Nr. 207/84, 17.5.1984