Die Akten sollen zurück
Sonderbeauftragter erwartet Rückgabe des Stasi-Materials durch Verfassungsschutz
Der Verfassungsschutz sei im Besitz aller Namen und Einsatzorte der hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter, meldete gestern die Zeitung Der Morgen einen Tag nach Inkrafttreten der vorläufigen Benutzerordnung für Stasi-Unterlagen. JW sprach dazu mit Joachim Gauck, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des MfS.
Bezog der Verfassungsschutz diese Kenntnisse aus Ihrem Haus?
Ich erkläre eindeutig, dass er sie nicht aus meiner Behörde hat. Es hat keinerlei Kontaktaufnahme des Bundesamtes oder eines Landesamtes für Verfassungsschutz gegeben. Presseberichte, wonach sich in den letzten Wochen Mitarbeiter von Verfassungsschutzorganen Zutritt zum Archiv verschafften, weise ich hier nochmals nachdrücklich als Falschmeldung zurück. Ich kann jedoch nichts über Aufgabenbereiche sagen, die nicht unter meiner Aufsicht standen also was bis zum 3. Oktober geschah.
Werden Sie die Verfassungsschützer auffordern, das in ihrem Besitz befindlichen Material zurückzugeben?
Ich gehe davon aus, dass ein Verfassungsschutzorgan keinen rechtswidrigen Gebrauch von Erkenntnissen macht, die ihm zuteil wurden. Ich habe auch diesen Behörden die Benutzerordnung zustellen lassen und erwarte dass die Verantwortlichen sich Gedanken machen, wie sie die Festlegungen umsetzen können. Das warte ich ab.
Bei Sicherheitsüberprüfungen und bei der Aufklärung des Verdachts bestimmter Straftatbestände sind in der BRD Nachrichtendienste einbezogen. Können sie sich in solchen Fällen bei Ihnen melden Akteneinsicht erlangen?
Nein, sofern es nicht ihren eigenen Bereich betrifft. Für Sicherheitsüberprüfungen wenden sich die unmittelbar betroffenen Behörden des Bundes und der Länder an uns, bei Aufklärung von Straftaten an Staatsanwaltschaft und Gerichte. Wir sehen darin keinen Verlust an Sicherheit.
Prominente Verfassungsschützer warfen in den letzten Tagen Ihnen und Ihrer Behörde Inkompetenz vor.
Das sehe ich gelassen. Hier arbeiten Menschen, die sich gründlich in die Materie eingearbeitet haben und die imstande sind, die sichere Verwahrung des Materials zu garantieren, ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen.
Es wird behauptet, dass es im Stasi-Archiv einen Selbstvernichtungsmechanismus gegeben hätte. Haben Sie ihn gefunden, ist er beseitigt?
Wir gehen davon aus, dass die Verwahrung unserer Akten den Anforderungen an die Sicherheit genügt
.Haben Sie im Fall de Maizière auch die verfilmten Unterlagen zu Rate gezogen? Wo befinden sich diese eigentlich derzeit, z. B. die Kartei F217?
Über Einzelheiten möchte keine Auskunft geben. Bekanntlich sind die Verfilmungen zum großen Teil vernichtet worden - über deren Umfang habe ich noch keinen persönlichen Überblick. Jeder berechtigte Antragsteller kann aber sicher sein, dass wir alle verfügbaren Materialien bei der Auskunft berücksichtigen.
Interview: Thomas Enke
Junge Welt, Do. 20.12.1990