"Die D-Mark hat durchgeschlagen"
"Wir werden mit unseren Mitteln weiterkämpfen"
Gerd Poppe, Noch-Minister im Kabinett Modrow und Spitzenkandidat des Bündnis 90 in Erfurt zum Wahlausgang/"Die massive Einmischung des Westens hat die Wahl entschieden"
taz: Was bedeutet die überraschend deutliche Mehrheit der Konservativen für die nächste Zukunft der DDR?
Gerd Poppe: Das bedeutet zunächst einmal den Versuch, den Anschluss der DDR an de Bundesrepublik nach Artikel 23 durchzusetzen. Das aber scheint die Mehrheit der WählerInnen nicht abgeschreckt zu haben. Das Versprechen der D-Mark hat offensichtlich durchgeschlagen und der CDU zu ihrem Wahlsieg verholfen. Das ist natürlich ein Wahlsieg von Kohl, nicht von de Maizière. Die massive Einmischung von Westen hat die Wahl entschieden, wobei es der Fehler der SPD war, dass sie zu früh mit dem Wahlkampf aufgehört hat. Für die demokratischen Bewegungen in diesem Lande ist es im Grunde nicht überraschend, dass sie nicht gewählt werden. Wir sind hier jahrzehntelang in einer extremen Minderheit gewesen. In der Opposition gegen das SED-Regime waren wir damals 2 500 Leute jetzt sind wir immerhin 250 000 Leute. Wenn für das Bündnis, die Grünen und den Frauenverband insgesamt 5 Prozent rauskommen, dann ist das etwa das Ergebnis, mit dem wir gerechnet haben. Überraschend am Ausgang der Wahl ist natürlich schon, dass die Allianz vor der SPD liegt, weil es hier doch immer eine traditionelle Neigung der DDR-BürgerInnen zur Sozialdemokratie gegeben hat.
Die Bürgerinitiativen haben diese Wahlen im Herbst erkämpft. Habt ihr nicht doch für das Bündnis auf ein besseres Ergebnis gehofft?
Erhofft hätten wir zumindest, dass die DDR-BürgerInnen ein größeres Maß an Souveränität entwickelt hätten. Aber vielleicht war das doch zu viel verlangt, dass die BürgerInnen nach einem halben Jahrhundert Entmündigung freie und selbständige Entscheidungen treffen, Entscheidungen, die auch von einem gewissen Selbstwertgefühl getragen sein müssten. Das ist nicht geschehen. Die DDR-BürgerInnen haben jetzt erneut den Weg beschritten, den sie jahrelang gegangen sind. Sie haben sich auf Parteien eingestimmt, die ihnen weiter das Lehen in der Nischengesellschaft, am Biertisch und am Fernsehschirm ermöglichen werden.
Hat aber nicht auch das Bündnis Fehler gemacht, wart ihr möglicherweise doch zu intellektuell, um mehr Wähler zu gewinnen?
Wenn es ein Fehler ist, intellektuell zu sein, dann haben wir diesen Fehler sicher gemacht. Wir haben aber auch versucht, ganz praktische Politik zu machen. Darüber muss man natürlich reden, und wir haben versucht, das nicht mit markigen Worten zu tun. Immerhin können wir uns auf die Fahnen schreiben, dass wir die Staatssicherheit besiegt haben, die jetzt durch die CDU wiedereingeführt wird; sie werden jetzt das Amt für Verfassungsschutz einführen, das wir im Januar verhindert haben. Wir werden weiter dagegen kämpfen mit unseren Mitteln. d.h. mit den Mitteln der außerparlamentarischen Opposition das sind Mittel, die wir beherrschen und die wir unter sehr viel widrigeren Umständen jahrzehntelang in diesem Land versucht haben.
die tageszeitung, Sonderausgabe, Mo. 19.03.1990