Ökologie - jetzt oder nie!

Im Gespräch mit den Mitgliedern der Gründungsinitiative für eine Grüne Partei in der DDR Gerhard Bächer, Carlo Jordan und Vollrad Kuhn

Worauf führen Sie den wachsenden Einfluss der grünen Bewegung im Lande und International zurück - einen Raubbau an der Natur gibt es ja schon - wesentlich länger als diese Bewegung?

Gerhard Bächer: . . . aber massiv sichtbar sind seine Folgen erst in den letzten Jahren geworden, das Waldsterben ist ein Prozess, der sich in Zeiträumen von 20, von 50 Jahren abspielt.

Carlo Jordan: Jahrelang befand sich vieles unter der Glocke der Geheimhaltung - doch jetzt werden Zerstörungen offensichtlich. Beispielsweise am Zustand unserer Altstädte, der Luft- und Gewässerbelastung. Das für jeden Erkennbare, Riechbare, Spürbare und die wissenschaftlichen Veröffentlichungen haben die internationale Diskussion angeregt.

Wo liegen Wurzeln für eine ökologische Bewegung in der DDR und das jetzige Bestreben, eine Grüne Partei In der DDR zu gründen?

Carlo Jordan: In den siebziger Jahren gab es bereits Aktionsformen wie Baumpflanzungen. Zudem eine gewisse Stadtfluchtbewegung, in der Leute versuchten, in abgelegenen Bauernhäusern ein radikal ökologisches Leben zu führen. Anfang der achtziger Jahre folgte dann der Versuch, mit dem Anliegen Umweltschutz an die Öffentlichkeit zu treten. Aber das war sehr schwer. Beispielsweise versuchten wir mit spektakulären Radtouren, bei denen wir Plakate mitführten, die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen. Auf diese Weise haben wir 1983 verhindert, dass die Autobahn von Schwerin nach Wismar gebaut wurde und damit ein großes Naturschutzgebiet gerettet.

Aber es gab ja auch eine offizielle Organisation - Ich denke da an die Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund . . .

Vollrad Kuhn: Die kirchliche Umweltgruppe in Fürstenwalde, in der ich mitarbeitete, bekam öfter mal Hinweise über den Rat der Stadt, die uns nahelegten, doch im Kulturbund mitzuarbeiten oder im Naturschutzaktiv des Ortes. Aber diese Gruppen waren handlungsunfähig, wurden massiv an ihrer Arbeit behindert. Nur in der kirchlichen Umweltgruppe konnten wir wirksam an die Öffentlichkeit treten. Ehe die Kulturbundmitglieder die Genehmigung eines Faltblattes durchgeboxt hatten, hatten wir ganze Schriftensammlungen herausgegeben.

Carlo Jordan: Zugleich aber gibt es auch viele, die in unabhängigen Gruppen und zugleich im Kulturbund aktiv sind, und es ist sogar eine gewisse Arbeitsteilung möglich.

In Ihrem Gründungsaufruf formulieren Sie, dass nicht nur unsere Umwelt, sondern in noch viel größerem Maße unser Bewusstsein verseucht ist - nämlich durch die Annahme, ständig wachsender Wohlstand durch permanentes Wirtschaftswachstum ist Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung, die Leistung und ihre Belohnung seien zentraler Bewertungsmaßstab für menschliches sein. Wie wollen Sie dagegenhalten?

Gerhard Bächer: Voraussetzung ist zuallererst Öffentlichkeit, sind feste Sendezeiten im Fernsehen und im Rundfunk, Publikationen in den vorhandenen und In eigenen Zeitungen. Nur so ist eine breite Aufklärungsarbeit möglich. Ein weiteres Mittel ins Bewusstsein zu dringen, sind Aktionen. Gleichzeitig muss ein alternatives Gesellschaftskonzept entwickelt werden. Das Ist eine politische Arbeit, die über die Aufklärung hinausgeht, und eben das wäre die Aufgabe unserer Partei.

Welche Grundzüge müsste ein ökologisch umgebautes Land tragen?

Carlo Jordan: Ansetzen müssen wir beim ökonomischen Gesetz des Sozialismus, das die Befriedigung der ständig wachsenden Bedürfnisse durch wirtschaftliches Wachstum beinhaltet. Wir sagen: Es kann kein ständiges Wachstum geben, denn dieses hat als Kehrseite die Zerstörung unserer Lebensgrundlage.

Dagegen möchten wir eine DAUERHAFTE ENTWICKLUNG setzen. Das heißt: Bei allen wirtschaftlichen Entscheidungen werden wir danach fragen, ob sie geeignet sind, die Lebensgrund Lage der Bevölkerung über einen langen Zeitraum zu sichern. Es kann also nicht darum gehen, dass nach einem kurzen eindrucksvollen Effekt eine Wüste übrigbleibt.

Gerhard Bächer: Es ist absehbar, wann die natürlichen Ressourcen erschöpft sein werden. Wir müssen über diesen Zeitpunkt hinaus denken. In der Energieversorgung sind verstärkt regenerierbare Energieformen zu erforschen und zu produzieren. Bislang ist nicht erwiesen, wie entwickelbar Wind und Sonnenenergie noch sind. Eine wesentliche Aufgabe wäre die Dezentralisierung der Energieerzeugung zur Verminderung von Leitungsverlusten, eine andere ist die der Entwicklung geschlossener Stoffkreisläufe. Technologien dafür gibt es teilweise schon.

Es geht Ihnen aber nicht um die Propagierung eines "asketischen" Sozialismus?

Vollrad Kuhn: Auf keinen Fall. Sondern wir müssen wegkommen vom quantitativen Wachstum hin zum qualitativen nach sozialen und ökologischen Gesichtspunkten. Es geht also um Lebensqualität.

Carlo Jordan: Wir brauchen eine vielfältige Wirtschaftsstruktur und für jeden einzelnen Menschen vielfältigere Möglichkeiten, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Ansonsten wird sich das Wachstum immer auf bestimmte Schwerpunkte ausrichten. Nur ein Beispiel: Die DDR hat einen Weltspitzenverbrauch an Fleisch. Dieses einseitige Bedürfnis mag Ursachen in der Nachkriegsentwicklung haben. Aber es ist einfach ungesund und wohl ein künstlich erzeugtes Bedürfnis. Ein reichhaltigeres Angebot an - auch einheimischem - Obst und Gemüse könnte dem entgegensteuern.

Wirtschaftsprogramme in der Vergangenheit waren sehr einseitig ausgerichtet. Da gab es ein Chemieprogramm, das verhieß: Chemie bringt Schönheit und Reichtum, oder die Chemisierung der Landwirtschaft. Solche Programme setzten jeweils nur auf einzelne Punkte, ohne komplex zu berücksichtigen, welche Nachteile und Vorteile sich damit verbinden.

Gerhard Bächer: Ursachen dafür liegen wiederum auch in der staatstragenden Ideologie, die bislang eine sehr starke Simplifizierung komplexer gesellschaftlicher Verhältnisse in sich trug. So konnte auch die darauf beruhende Politik nie komplex ausgerichtet sein.

Carlo Jordan: Und natürlich dürfen wir auch den kalten Krieg nicht vergessen und die westliche Kooperationsverweigerung mit der DDR. Zudem gab es in der Nachkriegsentwicklung das Problem der Standortverteilung, die DDR erbte hauptsächlich die Schwerindustrie. Das förderte einseitige Entwicklungen.

Wie gut oder schlecht sind die in unserem Lande bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zum Umweltschutz?

Carlo Jordan: Das Gesetzeswerk wird von ausländischen Parlamentariern immer als "Spitze" eingeschätzt. Aber durch den Ministerratsbeschluss von 1982 über die Geheimhaltung von Umweltdaten war seine Einhaltung nicht kontrollierbar und nicht einklagbar. Beispielsweise ist es bis heute nicht bekannt, wie viele Mittel für den Umweltschutz ausgegeben werden, wie hoch der Anteil dafür am Nationaleinkommen und am Staatshaushalt ist. Andererseits wissen wir auch nicht, wie hoch die Strafen für Vergehen sind.

Vollrad Kuhn: Unser Umweltminister hat nicht die Möglichkeit, mit eigenerwirtschafteten Mitteln zu arbeiten, er wird immer auf die Haushaltskasse angewiesen sein, und da stand er bisher stets hintenan, weil Ökonomie eben vor Ökologie ging Ein westlicher Vorzug unser Gesellschaft, den es zu nutzen gilt, ist die Möglichkeit, Umweltsünder über die Zentrale zu bestrafen. Wir müssen uns nicht wie die Grünen in der Bundesrepublik mit einzelnen Unternehmern auseinandersetzen, die dann doch sehr schnell irgend welche Gesetzeslücken finden können.

Carlo Jordan: Bisher ist es leider so, dass unsere Gemeinden und Städte, die Volksvertretungen viel zu wenig Einfluss haben. Und auch die Bürgermeister sind machtlos. In Bitterfeld, Leipzig, den ganzen Industriegebieten müssten doch Mittel für den Städtebau, die Infrastruktur da sein. Eigenständige Kommunalvertretungen halte ich für unbedingt nötig.

Gerhard Bächer: Zudem müssen dringend alle Mandatsträger für den Umweltschutz qualifiziert werden.

Worin sehen Sie die Notwendigkeit, der grünen Bewegung in der DDR einen politischen Flügel zu geben, und welche Chancen sehen Sie für diese Partei innerhalb des politischen Spektrums in unserem Land?

Gerhard Bächer: Wichtig ist diese Partei, damit grüne Politik, grüne Gesellschaftsvorstellungen in die Volksvertretungen getragen werden. Ich vermute, dass die Volkskammer früher oder später ein Parteienparlament wird. Und in dem Moment muss eine grüne Partei her, die konsequent ökologische Interessen vertritt. Auch andere Parteien und Gruppierungen haben jetzt die Ökologie auf ihre Fahnen geschrieben, aber immer nur zweitrangig, sozusagen als nachsorgenden Umweltschutz. Notwendig aber ist eine schon vom Ansatz her ökologische Politik. Wir wollen in die Volksvertretungen, um direkten Einfluss auf die Legislative und Exekutive nehmen zu können, Kontrollorgan zu sein.

Carlo Jordan: Grüne Parteien werden momentan nicht unbedingt Massenparteien sein, aber sie spielen dennoch eine wichtige Rolle, einfach um diese Problematik in den Parlamenten zum Thema zu machen.

Was unterscheidet die Grünen im Sozialismus von den Grünen im Kapitalismus?

Carlo Jordan: Uns geht es vor allem darum, im Zuge der Öffnung des sozialistischen Lagers bestimmte Errungenschaften zu sichern. Wir können einerseits nicht den Weg des auf Großindustrie orientierten Sozialismus fortsetzen, wollen aber andererseits auch auf keinen Fall wieder in den Kapitalismus zurückfallen. Zu erhalten gilt es die gleiche Grundversorgung für alle Gesellschaftsmitglieder, grundsätzlich soziale Sicherheit.

Der Sozialismus, wenn er ernst genommen wird, hat bessere Voraussetzungen für einen ökologisch ausgerichteten Umbau der gesamten Gesellschaft als der Kapitalismus, der auf das Individuum, die Förderung von Einzelinteressen ausgerichtet ist. Von daher sind Grüne immer links, es gibt viel Übereinstimmung mit sozialistischen Idealen.

Welche Vorstellungen für die Strukturierung Ihrer Partei haben Sie?

Gerhard Bächer: In jedem Fall soll es auch weiterhin eine ökologische Bewegung in ihrer ganzen Breite geben. Wir würden uns ja die Basis wegschlagen, wollten wir alles in einer Partei zentralisieren. Wie unsere Partei strukturiert sein wird - das muss zunächst noch diskutiert werden. Wir wollen eine möglichst effektive Organisationsform finden.

Carlo Jordan: Wichtig wäre meiner Meinung nach eine regionale Orientierung, denn die Strukturierung der DDR ist ja eigentlich noch ein Relikt des Stalinismus. Durch die Schaffung von 15 Bezirken wurden viele ethnische, landschaftliche und kulturelle Eigenheiten eingeebnet. Auch das hat einen Identifikationsprozess der Bürger mit ihrer Heimat behindert. In der Arbeit des Netzwerkes Arche hat sich die Orientierung auf Regionen bewährt.

In Ihrem Gründungsaufruf charakterisieren Sie die Grüne Partei als ökologisch, feministisch und gewaltfrei. Welche Konzepte verbergen sich hinter diesen Attributen?

Gerhard Bächer: Ansatz ist die Ökologie als zentraler Ausgangspunkt für alle Aktivitäten. Dem werden auch der soziale und der wirtschaftliche Bereich untergeordnet, so unpopulär das wirken mag. Wir wollen der natürlichen Voraussetzung allen Lebens mehr Rechnung tragen. Ohne funktionierende Natur wird auch die menschliche Gesellschaft nicht funktionieren. Notwendig sind Struktur- und generelle Verhaltensänderungen, da muss also auch jeder bei sich selber anfangen.

Carlo Jordan: Das Anliegen Feminismus hat zwei Aspekte. Einmal setzen sich die Grünen ja generell für eine größere soziale Vielfalt ein, für die Gleichberechtigung aller sozialen Gruppen. Das Emanzipationsmodell nach Bebel - verknappt: die Frau macht sich durch eigenes Einkommen unabhängig vom Mann - ist bei uns eigentlich erfüllt. Aber selten nimmt die Frau gesellschaftsbestimmende Funktionen in unserer Gesellschaft ein. Feminismus meint andererseits, dass die Frauen nicht, um einen Einfluss in der Gesellschaft zu erlangen, vermännlichen sollen. Sondern die Umgangsformen, in denen sich das wirtschaftliche und politische Leben unseres Landes bewegt, müssen umgestaltet werden. Wahrscheinlich wird es in unserer Partei, zumindest was die Mandate für die Volksvertretungen betrifft, eine Quotenregelung geben.

Und zum Punkt Gewaltfreiheit.

Gerhard Bächer: Das Ziel ist totale Abrüstung. Auch dieses Problem ist komplex zu betrachten. Es geht hier nicht nur um die Friedenssicherung, das Militär ist schließlich auch einer der größten Umweltgefährder.

Man kann wohl kaum mit Grünen sprechen, ohne die Frage nach ihrer Haltung zur Atomenergie zu stellen . . .

Gerhard Bächer: Das ist in der DDR ein ganz, ganz schwieriges Problem. Fest steht nur, dass wir von der Braunkohle wegkommen müssen, um der Landschaftsverunstaltung und der enormen Schadstoffemission ein Ende zu setzen. Es sieht auf den ersten Blick so aus, als ginge es vorläufig mir mit Kernenergie. Die alternativen Energiearten werden in den nächsten Jahren maximal zehn Prozent des Bedarfs decken können. Andererseits erfordern die Atomkraftwerke Investitionen in Milliardenhöhe und eine Hochtechnologie, über die die DDR nicht verfügt.

Carlo Jordan: Ein Teil der jetzt aufgedeckten Staatsverschuldung hängt ja mit Investitionen im Atomkraftwerkbau zusammen, allein zehn Milliarden wurden dafür ausgewiesen. Stendal wird seit 1973 gebaut, der erste Block sollte in diesem Jahr in Betrieb genommen werden, das ist auf 1993 verschoben. Bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage unseres Landes ist es ein Risiko, weiterhin so große Summen in diese Atomkraftwerke zu stecken, sie binden zu viel gesellschaftliches Arbeitsvermögen. Ein Ausweg wäre verstärkte internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Energiepolitik, und wir müssen relativ kurzfristig aus bestimmten Produkten aussteigen, für die wir weder die Voraussetzungen von Seiten der Rohstoffe noch der Energie haben. So binden Bitterfeld und Buna die Energiebereitschaft ganzer Großkraftwerke, wobei sie sehr uneffektiv arbeiten.

Gerhard Bächer: Erwiesen ist, dass in der DDR relativ kurzfristig eine Energieeinsparung von 50 Prozent möglich ist, und das beträfe genau die angesprochenen Bereiche. Ich könnte mir zum Beispiel bei einer Verbesserung der Beziehungen zur BRD den kurzfristigen Einsatz von Steinkohle vorstellen - die BRD sitzt auf einer Riesenhalde von Steinkohle, mit der sie nichts anfangen kann. Damit wäre eine Emissionsminderung von 50 Prozent möglich.

Carlo Jordan: Langfristig haben wir uns in der Ökologiebewegung für einen Ausstieg aus der Atomkraft aus gesprochen.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte für den Umweltschutz in unserem Lande, wo doch die erschreckenden Daten auf einen scheinbar aussichtslosen Kampf weisen - wie kann man dennoch ermutigen?

Gerhard Bächer: Ich sehe es weniger als eine Frage des Ermutigens. Es ist einfach eine Sache der Selbsterhaltung, mehr schon der Verzweiflung.

Eine Sensibilisierung hat ja inzwischen eingesetzt, ich denke da an die Problematik der Regenwälder oder das Ozonloch. Es ist absehbar, dass bis zum Jahre 2030 die globale Temperatur um 4,5 Grad steigt. Das heißt, Länder wie Holland verschwinden dann unterm Meer, da können auch Dämme nichts mehr ausrichten. Die tiefgelegenen Landesteile in Europa werden innerhalb der nächsten 50 Jahre überschwemmt, wenn die Entwicklung so weitergeht. Dieses globale Problem bedarf einer globalen Lösung. Bis Anfang der neunziger Jahre müssen tiefgreifende, radikale Maßnahmen eingeleitet werden und da darf sich kein Land heraushalten.

Wenn man pessimistisch ist, muss man eigentlich sagen: Es hat keinen Sinn. Aber wir setzen dem ein Trotzdem entgegen. Das ist der Selbsterhaltungstrieb, ein Sachzwang, der völlig unabhängig ist von jeglicher ideologischen Begründungen.

Für das Gespräch bedankt
sich Beate Lemcke

National-Zeitung, Nr. 278, Sa./So. 25./26.11.1989

Δ nach oben