Was es heißt, Mann und Frau gleichzustellen

Gleichstellung - ein Begriff, der mit den Herbstereignissen kam. Anfangs häufig mit Unverständnis aufgenommen oder nur belächelt. Jetzt scheint es, als hätten wir uns an ihn gewöhnt. Zumindest an die äußere Hülle, das Wort. Was aber ist bekannt über Inhalt, Ziel und Zweck des Strebens nach Gleichstellung von Mann und Frau?

Die Gleichberechtigung der Geschlechter war in der DDR wieder ins Gerede gekommen. An Runden Tischen und in sich neu gründenden Verbänden äußerten Frauen heftige Kritik an der tatsächlichen Situation von Frauen. Die staatliche Sozialpolitik orientierte einseitig auf Vereinbarkeit von Mutterschaft (statt Elternschaft) und Berufstätigkeit, brachte mit sich, dass die sowieso schon Jahrhunderte zählende Benachteiligung der Frau sich auch unter DDR-Bedingungen weiter festigte. Es gibt keine akzeptablen Alternativen für andere Lebenskonzepte - die Katze beißt sich immer wieder in den eigenen Schwanz.

Trotz annähernd gleicher Qualifikation erhält der DDR-Mann etwa 25 Prozent mehr Lohn und bleibt somit als „Haupternährer" wegen Babyjahr, erkrankter Kinder oder Hausarbeit nicht für längere Zeit daheim. Mit nur einem Verdienst lässt es sich nur äußerst bescheiden leben, und Frauen gehen also auch der klingenden Münze im Portemonnaie wegen arbeiten. Drei Viertel der Haus- und Familienarbeit werden nach wie vor von den meist voll berufstätigen Frauen geleistet. Nach einem oder mehreren Babyjahren folgen Zeiten der Kinderkrankheiten. Der Wiedereinstieg in den Beruf war zwar bislang gesichert, aber die Profilierung und Anerkennung gelang der Mutter nur unter großen Mühen. Chefposten sind dann meist schon von Männern besetzt, mit denen Frauen zeitgleich die Ausbildungsbank gedrückt haben. Die Kette der Benachteiligung setzt sich bis ans Lebensende fort: Das niedrigere Einkommensniveau und die Zeit, die ausschließlich den Kindern galt, schlägt sich auf die Renten nieder. Fast 90 Prozent derer, die sich im unteren Drittel des heutigen Rentenniveaus befinden, sind Menschen weiblichen Geschlechts.

Das Problem der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann steht als politische Frage auf der Tagesordnung. Eine humanistische und sozial progressive Gesellschaftsentwicklung ist ohne die Lösung der Geschlechterfrage, die zuerst die Frage nach der Situation von Frauen ist, ausgeschlossen. Gleichstellungsbeauftragte, die sich jetzt in Ministerien und Kommunen mit dieser Thematik befassen, haben sich zum Ziel gesetzt, die bestehenden patriarchalischen Strukturen und Mechanismen durchschaubar und öffentlich zu machen, sie letztlich abzubauen. Wie ein Netz sollen sich die Instrumentarien über alle gesellschaftlichen Bereiche legen, um alles auf "Frauenfreundlichkeit" zu prüfen. Einen langen Atem braucht es für das ferne Ziel: tatsächliche paritätische Mitbestimmung und Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen der Gesellschaft.

CORINNA FRICKE

Neues Deutschland, Do. 05.07.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 154

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